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Kernspintomographie (fMRI) zu durchleuchten. Diese Methoden liefern farbige Schnittbilder, die mit

immer höherer Genauigkeit widerspiegeln, wo sich im Gehirn Aktivitäten abspielen, wenn der Mensch

eine bestimmte Tätigkeit vollführt. Mit diesen Sichthilfen haben die Neurobiologen dem Gehirn ihrer

Probanden bei allen erdenklichen Sinnesleistungen zugeschaut: Beim Sehen und Hören, beim Verarbeiten

von Sprache, beim Träumen und Schlafen und beim Lösen unzähliger Denksportaufgaben.

Das Ergebnis war in allen Fällen gleich: Jede dieser Leistungen belegte stets ziemlich gleichmäßig

beide Hemisphären mit Beschlag.»Die Forschungen mit den neuen bildgebenden Verfahren brachten

überwältigende Beweise, dass viele unterschiedliche Regionen in beiden Hemisphären beansprucht

werden, wenn wir irgendeine beliebige kognitive Aufgabe erledigen«, fasst der Neurologe Robert Efron

den Forschungsstand zusammen.»Die Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren haben zeigen können,

dass es keine Alltagstätigkeit gibt, bei der nicht die linke und die rechte Gehirnhälfte aktiviert sind und

zusammenarbeiten«, bestätigt Dr. Dietmar Heubrock vom Institut für Rehabilitationsforschung der

Universität Bremen.7»Es gibt also keine einzige Aktivität, bei der nicht innerhalb und zwischen den

beiden Hemisphären unterschiedliche Regionen zusammenarbeiten.«

«Es gibt mittlerweile eine schweigende Mehrheit von kognitiven Gehirnforschern, die es einfach nicht

der Mühe für wert halten, der Öffentlichkeit mitzuteilen, dass der Kaiser keine Kleider trägt«, bringt der

Neurologie-Professor Robert Efron den desolaten Zustand der hemisphärischen Spezialisierung auf den

Punkt. Die naiven Vorstellungen über die Zweiteilungen unserer Gehirnfunktion kamen zum größten Teil

durch Fehlinterpretationen der Daten zustande. Die Studien an Patienten mit Hirnverletzungen und

durchtrenntem Balkenkörper erbrachten zwar Hinweise auf separate Leistungsschwerpunkte. Doch diese

vermeintlichen Asymmetrien seien» nicht systemimmanent«, formuliert der Psychologe Preilowski

elegant. Es seien Artefakte, die nur deshalb auftreten, weil die Verletzung eine natürliche Balance

durcheinander bringt.»Wir haben die Ergebnisse damals zu stark verallgemeinert«, räumt die

Biopsychologin Levy ein, die selbst an der frühen Splitbrain-Forschung beteiligt war.

Die Experimente, die Geschwindigkeitsvorteile der beiden Hemisphären bei unterschiedlichen

Aufgaben ans Licht brachten, weisen laut Efron noch größere Mängel auf: Es gibt heute massive

Anhaltspunkte, dass diese zeitlichen Differenzen gar nicht im Gehirn entstehen. Sie lassen sich

vermutlich auf die peripheren Nerven, die Leitungsbahnen von den Sinnesorganen zum Gehirn,

zurückführen, die Informationen auf beiden Seiten des Körpers unterschiedlich schnell transportieren.

In Wirklichkeit sind die beiden Hemisphären einander so ähnlich, dass jede von ihnen nach einer

chirurgischen Durchtrennung des Balkens erstaunlich gut, wenn auch nicht vollkommen funktionieren

kann. Unter dem Mikroskop finden sich zwar geringfügige anatomische Differenzen, die jedoch hinter

der überwältigenden Übereinstimmung verblassen, stellt der Psychologe Corballis heraus. Wenn man bei

einem Kind die ganze linke Hemisphäre wegen einer schwerwiegenden Schädigung entfernt, kann die

rechte das gesamte Leistungsspektrum der verlorenen» dominanten «Hälfte übernehmen. Selbst bei den

hochgradig» linkslastigen «Sprachleistungen sind die Betreffenden später völlig unauffällig.

Zwar sind speziell sprachliche Funktionen bei normalen Erwachsenen tatsächlich (etwas) stärker

seitenspezifisch als andere Leistungen. Das heißt aber absolut nicht, dass die rechte Hemisphäre bei der

Sprache keine Rolle spielt, gibt das Magazin» New Scientist «zu bedenken. 1 »Die Sprache ist auf beiden

Seiten des Gehirns repräsentiert, und zwar in den korrespondierenden Regionen. Die Zentren auf der

linken Seite werden stärker von den zentralen Aspekten der Sprache wie Grammatik und Wortbildung

beansprucht, während die rechte Seite im höheren Maße zur Intonation und zur Satzmelodie beiträgt.«

Auch das viel gescholtene logische Denken ist nicht nur auf die linke Hemisphäre beschränkt, meint

Levy.»Patienten mit Verletzungen der rechten Hemisphäre zeigen häufiger schwerwiegende Störungen

des logischen Denkens als Patienten, deren linke Hemisphäre beschädigt ist. «Manche rechtsseitig

Verletzte streiten zum Beispiel ab, dass ihnen ihr linker Arm gehört. Und sie sind außerstande, diesen

Mangel an logischem Denken einzusehen. Umgekehrt gibt es keinen Beweis dafür, dass Kreativität oder

Intuition exklusive Eigenschaften der rechten Hemisphäre seien.»Tatsächlich sind wahre Kreativität und

Intuition, was immer das beinhalten mag, mit ziemlicher Gewissheit von einem engen Zusammenspiel der

Hemisphären abhängig«, versichert Levy.»Was die Geschichte der Forschung beweist«, betont Corballis,

«ist, dass die mutmaßlichen kreativen und intuitiven Talente der rechten Hemisphäre bei weitem nicht

bewiesen sind und stärker auf der Macht der Mythen beruhen als auf aussagekräftigen wissenschaftlichen

Befunden.«

Lovis Corinth, ein bedeutender Maler, stellte nach einer Schädigung der rechten Hemisphäre weiterhin

mit großer Kunstfertigkeit Bilder her, schildert Levy.»Sein Stil war sogar ausdrucksstärker und mutiger

als zuvor.«

Da beide Hemisphären nicht unabhängig voneinander arbeiten und jede von ihnen mit ihren speziellen

Fertigkeiten zu jeder geistigen Aktivität beiträgt, ist es auch völlig unmöglich, jeweils nur eine Hälfte

auszubilden und zu kultivieren. In einem Literaturseminar wird die rechte Hirnhälfte ebenso gefordert

und trainiert wie die linke, und umgekehrt wird die linke in einem Musik- oder Malkurs nicht weniger

beansprucht als die rechte.

«Menschen unterscheiden sich danach, welche Hemisphäre bei ihnen bevorzugt aktiviert wird«

Es ist ein lieb gewordenes Freizeitvergnügen, Menschen in solche und solche einzuteilen. Auch das

Fach Psychologie stellt zahlreiche» Schubladen «bereit, in die man seine Mitmenschen stecken kann. Die

insgesamt eher fragwürdigen Forschungsarbeiten zur hemisphärischen Spezialisierung haben eine weitere

Klassifizierungsmöglichkeit mit sich gebracht. Nach dieser Theorie kann man Menschen in

«Rechtsdenker «und» Linksdenker «einteilen — je nachdem, mit welcher Hemisphäre die Betreffenden am

liebsten denken.

Wer bevorzugt mit seinem linken Gehirn operiert, hat nach dieser Sichtweise überdurchschnittliche

sprachliche und analytische Fähigkeiten und tut sich allgemein beim Lösen von Problemen hervor,

skizziert der amerikanische Hirnforscher John T Bruer den Trend.8 Das weibliche Geschlecht, so räumen

jetzt viele Lateralitätsgläubige ein, hat besonders häufig einen linken Drall im Hirn. Menschen mit einer

rechten Schokoladenseite — überwiegend Männer — können besser malen und zeichnen, sind gut in

Mathematik und kommen insgesamt besser mit räumlichen Aufgaben als mit sprachlichen zurecht. Die

Schule, so ein weiterer Glaubenssatz, ist eine überwiegend linkshirnige Institution. Deshalb fühlen sich

Mädchen in dieser Umgebung viel eher pudelwohl.

Doch in Wirklichkeit wurden die Geschlechtsunterschiede bei den sprachlichen und mathematischen