Sie wählte meistens Nebenwege, und führte den Reiter höchstens zwei- bis dreimal durch Dörfer, von zwei zu zwei Stunden aber machten sie halt. Endlich nach vier solchen Stationen sah man in der Entfernung von einer kleinen halben Stunde ein Städtchen liegen; der Weg schied sich hier, und ein Fußpfad führte links ab in ein Dorf. An diesem Scheidepunkt blieb das Mädchen stehen und sagte: »Was Er dort sehet ist Pfullinga, von dort kann Ich jedes Kind da Weg nach Lichtastoi zeiga.«
»Wie? Du willst mich schon verlassen?« fragte Georg, der sich an die munteren, sinnigen Reden seiner Begleiterin so gewöhnt hatte, daß ihn der Abschied überraschte; »warum gehst du nicht wenigstens mit mir bis Pfullingen? Dort kannst du in der Herberge etwas essen und trinken; du willst doch nicht geradezu nach Haus laufen?«
Das Mädchen suchte freundlich auszusehen und zu scherzen, doch konnte sie einen schmerzlichen Zug um den Mund und trübe Augen nicht verbergen; denn wohl mochte auch ihr die Nähe ihres schönen Gastes teurer geworden sein, als sie vielleicht selbst wußte. »Do mueß i von Ich geh, gnädiger Herr«, sagte sie, »so gerne au no weiters mitging; aber d'Muetter will's so; dort in dem Dörfle am Berg hanne a Baas, und bei der bleibe heut, und morga gange wieder noch Hardt. Jetzt b'hüet Ich Gott der Herr und d' heilig Jungfrau und älle seine Heilige nemmet Ich in Schutz. Grüeßet mer de Vater und au«, setzte sie lächelnd hinzu, indem sie schnell eine Träne abschüttelte, »grüeßet mer sell Frähla, die Er so gern hent.«[A25]
»Dank dir Bärbele«, entgegnete Georg, und reichte ihr die Hand zum Abschied vom Pferd hinab. »Ich kann dir deine treue Pflege nicht vergelten. Aber wenn du nach Haus kommst, so schau in den geschnitzten Schrank, dort wirst du etwas finden, das vielleicht zu einem neuen Mieder oder zu einem Röckchen für den Sonntag reicht. Nun, und wenn du es dann zum erstenmal anhast und dein Schatz dich darin küßt, so denke an Georg von Sturmfeder!«
Der junge Mann gab seinem Pferde die Sporen, und trabte über die grüne Ebene hin dem Städtchen zu. Zweihundert Schritte weit entfernt, schaute er sich noch einmal nach der Tochter des Spielmannes um. Sie stand noch dort, wo er sie verlassen hatte, im roten Mieder, im kurzen Röckchen, mit langen Zöpfen und weißen Strümpfen, sie war es und keine andere; aber sie hielt die Hand vor die glänzenden Augen, und Georg war ungewiß, ob sie die Strahlen der Sonne dadurch abhalten wolle, indem sie ihm nachblickte, oder ob sie vielleicht jene Träne verwische, die er in ihren Wimpern blinken sah, als sie Abschied nahm.
Bald war er am Tor der kleinen Stadt angelangt. Er fühlte sich ermüdet und durstig, und fragte daher auf der Straße nach einer guten Herberge. Man wies ihn nach einem kleinen düsteren Haus, wo ein Spieß über der Türe und ein Schild mit einem springenden Hirsch geziert, zur Einkehr einluden. Ein kleiner barfußiger Junge führte sein Pferd in den Stall, ihn selbst aber empfing in der Türe eine junge, freundliche Frau und führte ihn zur Trinkstube.
Es war dies ein weites, finsteres Zimmer, an dessen Wänden sich schwere eichene Tische und Bänke hinzogen. Die ungeheure Menge von Kannen und Bechern, die blank gescheuert von den Gestellen am Getäfer herabblinkte, bewies, daß die Herberge zum Hirsch sehr besucht sein müsse. In der Tat saßen auch, obgleich es erst Mittag war, schon viele Gäste beim Wein. Sie schauten den stattlichen jungen Ritter prüfend an, als er an ihren Tischen vorüber zum Ehrenplatz, in ein sechseckiges, wie eine Laterne aus lauter Fenstern erbautes Erkerlein geführt wurde; doch ließen sie sich in ihrem Gespräch durch den vornehmen Gast nicht lange stören, sondern schwatzten weiter über Krieg und Frieden, über Schlachten und Belagerungen, wie ehrsame Spießbürger in so unruhigen Zeiten, wie etwa anno 1519, zu tun pflegen.
Die Wirtin schien an ihrem Gast Gefallen zu finden. Sie schaute mit lächelnder Miene nach ihm herüber, wenn sie am Erkerlein vorbeiging, und als sie ihm eine Kanne alten Heppacher und einen silbernen Becher vorsetzte, zog sich ihr etwas großer Mund zu holdseliger Freundlichkeit. Sie versprach ihm auch, ein junges Huhn zu braten und einen Tisch zu decken, wenn er sich nur ein wenig gedulden wolle; einstweilen solle er sich den Wein gut bekommen lassen. Das laternenförmige Erkerlein lag um zwei Stufen höher als die übrige Trinkstube, Georg konnte daher mit Muße die Tische übersehen und trinkend die Gäste mustern. Obgleich er nicht viel in Herbergen und Weinstuben sich herumzutreiben pflegte, so hatte er doch, vielleicht dadurch, daß er weniger sprach als beobachtete, einen eigenen Takt in Beurteilung solcher Umgebungen gewonnen, der ihn auch bei seinen jetzigen Beobachtungen unterstützte.
Die Gesellschaft, die um einen der großen eichenen Tische saß, bestand aus etwa zehn bis zwölf Männern. Sie unterschieden sich auf den ersten Anblick nicht sehr voneinander; große Bärte, kurze Haare, runde Mützen, dunkle Wämser gehörten dem einen so gut wie dem anderen an. Doch sonderte ein schärferer Blick bald vorzüglich drei von den übrigen. Der eine, er saß Georg am nächsten, war ein kleiner, fetter freundlicher Mann. Sein Haar war im Nacken etwas länger als das der anderen, er hatte es sorgfältiger gekämmt, auch schien sein dunkler Bart besser gepflegt zu sein. Ein Mantel von feinem schwarzem Tuch, und ein Filzhut mit spitzigem Kopf und breiter Krempe, die hinter ihm an einem Nagel hingen, bezeichneten einen Mann von einigem Gewicht, vielleicht gar einen Ratsherrn. Er mochte auch eine bessere Sorte trinken als die übrigen, denn er schlürfte bedächtig, und wenn er mit dem Deckel an seinem Krug das Zeichen gab, daß er leer sei, tat er dies mit einem gewissen Anstand, und vernehmlicher als die übrigen. Er sah bei allem, was gesprochen wurde, überaus fein und listig aus, als wisse er noch manches, ohne es gerade hier preisgeben zu wollen. Auch hatte er das Vorrecht, das Kellnermädchen in die Wangen zu kneipen oder ihren runden Arm zu »tätscheln«, wenn sie ihm die gefüllte Kanne brachte.
Ein anderer Mann, der am entgegengesetzten Ende des Tisches saß, stach nicht minder gegen seine Umgebungen ab, als der Fette; alles war an ihm länglich und hager. Sein Gesicht, von der Stirne bis zu dem langen, zugespitzten Kinn, maß wohl eine gute Mannesspanne; seine Finger, mit welchen er auf dem Tische den Takt eines Liedes spielte, das er leise vor sich hin pfiff, hatten etwas Spinnenartiges, und als sich Georg einmal zufällig bückte, gewahrte er zu seinem großen Erstaunen, daß der hagere Mann lange, dünne Beine, beinahe unter dem ganzen Tisch hin, ausgestreckt hatte. Er hatte um seine Nase etwas Hochfahrendes, das sich auch in der Art, wie er allem, was die Bürger vorbrachten, widersprach, ausdrückte; er sah aus, wie einer der viel mit vornehmen Herren umgegangen ist, ihre Art und Weise angenommen hat, aber doch nicht recht bequem damit zurechtkommt. Er konnte nicht aus dem Städtchen sein, denn er hatte die Wirtin nach seinem Pferd gefragt. Nach Georgs Mutmaßungen war er ein reisender Arzt, wie sie zu jener Zeit im Land umherzogen, um die Menschen künstlich umzubringen.
Der dritte Mann, der dem Gast im Erker auffiel, sah etwas zerrissen und zerlumpt aus; er hatte übrigens etwas Bewegliches, Listiges in seinem Wesen, das ihn von der gutmütigen, behaglichen Ruhe der Spießbürger merklich unterschied. Er hatte über dem einen Auge ein großes Pflaster, das andere aber blickte kühn und offen um sich. Ein großer Reisestock mit eiserner Spitze, der neben ihm lag, und sein lederbesetzter Rücken, worauf er gewöhnlich einen Korb oder eine Kiste tragen mochte, ließen schließen, daß er entweder ein Bote sei, oder wahrscheinlicher noch einer jener herumziehenden Krämer, die auf Märkte und Kirchweihen, nebst wunderbaren Nachrichten aus fernen Landen, für die Weiber wirksame Mittel gegen verhextes Vieh, und für die Mädchen schöne bunte Bänder und Tücher bringen.
Diese drei waren es auch, die das Gespräch führten, das nur hin und wieder durch einen Ausruf der Verwunderung oder durch ein Klopfen mit den Krugdeckeln von den übrigen ehrsamen Bürgern unterbrochen wurde.
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»Hier muß ich Scheiden; so gerne ich noch weiter mitginge. Die Mutter will es so. Dort in dem Dorf am Berge habe ich eine Muhme. Bei ihr bleibe ich heute nacht. Behüt Euch Gott. Grüßt mir den Vater und jenes Fräulein, das Ihr liebt!«