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Wie das Nest eines Vogels auf die höchsten Wipfel einer Eiche oder auf die kühnsten Zinnen eines Turms gebaut, hing das Schlößchen auf dem Felsen. Es konnte oben keinen sehr großen Raum haben, denn außer einem Turm sah man nur eine befestigte Wohnung, aber die vielen Schießscharten im unteren Teil des Gebäudes, und mehrere weite Öffnungen, aus denen die Mündungen von schwerem Geschütz hervorragten, zeigten, daß es wohlverwahrt und trotz seines kleinen Raumes eine nicht zu verachtende Feste sei; und wenn ihm die vielen hellen Fenster des oberen Stockes ein freies, luftiges Ansehen verliehen, so zeigten doch die ungeheuren Grundmauern und Strebepfeiler, die mit dem Felsen verwachsen schienen, und durch Zeit und Ungewitter beinahe dieselbe braungraue Farbe, wie die Steinmasse, worauf sie ruhten, angenommen hatten, daß es auf festem Grunde wurzle, und weder vor der Gewalt der Elemente noch dem Sturm der Menschen erzittern werde. Eine schöne Aussicht bot sich schon hier dem überraschten Auge dar, und eine noch herrlichere, freiere, ließ die hohe Zinne des Wartturms und die lange Fensterreihe des Hauses ahnen.

Diese Bemerkungen drängten sich Georg auf, als er erwartend an der äußeren Pforte stand, die wohlverschanzt herwärts über der Kluft, auf dem Lande den Zugang zu der Brücke deckte. Jetzt tönten Schritte über die Brücke, das Tor tat sich auf, und der Herr des Schlosses erschien selbst, seinen Gast zu empfangen. Es war jener ernste, ältliche Mann, den Georg in Ulm mehreremal gesehen, dessen Bild er nicht vergessen hatte; denn die düsteren, feurigen Augen, die bleichen aber edlen Züge, seine große Ähnlichkeit mit der Geliebten, hatten sich tief in die Seele des Jünglings geprägt.

»Ihr seid willkommen in Lichtenstein«, sagte der alte Herr, indem er seinem Gast die Hand bot, und eine gütige Freundlichkeit den gewöhnlichen strengen Ernst seiner Züge milderte. »Was steht ihr müßig da ihr Schlingel!« wandte er sich nach dieser ersten Begrüßung zu seinen Dienern. »Soll etwa der Junker sein Roß mit hinauffahren in die Stube? schnell, hinein mit in den Stall; das Rüstzeug traget auf die Kammer am Saal! – Verzeihet, werter Herr, daß man Euch so lange unbedient stehenließ, aber in diese Bursche ist kein Verstand zu bringen. Wollet Ihr mir folgen?«

Er ging voran über die Zugbrücke, Georg folgte. Sein Herz pochte bei diesem Gang, voll Erwartung, voll Sehnsucht, seine Wangen röteten sich vor Liebe und vor Scham, wenn er an die letzte Nacht und an die Gefühle zurückdachte, die ihn zuerst vor diese Burg geführt hatten. Sein Auge suchte an den Fenstern umher, ob es nicht die Geliebte erspähe, sein Ohr schärfte sich um vielleicht ihre Stimme zu vernehmen, wenn auch ihr Anblick ihm jetzt noch verborgen war. Aber umsonst suchten seine Blicke diese Mauern zu durchbohren, umsonst fing sein scharfes Ohr jeden Laut begierig auf, noch schien sie sich nicht zeigen zu wollen.

Sie gelangten jetzt an das innere Tor. Es war nach alter Art tief, stark gebaut, und mit Fallgattern, Öffnungen für siedendes Öl und Wasser, und allen jenen sinnreichen Verteidigungsmitteln versehen, womit man in den guten alten Zeiten den stürmenden Feind, wann er sich der Brücke bemeistert haben sollte, abhielt. Doch die ungeheuren Mauern und Befestigungen, die sich von dem Tor an rings um das Haus zogen, verdankte Lichtenstein nicht der Kunst allein, sondern auch der Natur; denn ganze Felsen waren in die Mauerlinie gezogen, und selbst der schöne, geräumige Pferdestall und die kühlen Kammern, die statt des Kellers dienten, waren in den Felsen eingehauen. Ein bequemer, gewundener Schneckengang führte in die oberen Teile des Hauses, und auch dort waren kriegerische Verteidigungen nicht vergessen; denn auf dem Vorplatz der zu den Zimmern führte, wo in anderen Wohnungen häusliche Gerätschaften aufgestellt sind, waren hier furchtbare Doppelhaken und Kisten mit Stückkugeln aufgepflanzt. Das Auge des alten Ritters ruhte mit einem gewissen Ausdruck von Stolz auf diesem sonderbaren Hausrat, und in der Tat konnten diese Geschütze damals für ein Zeichen von Wohlhabenheit und selbst Reichtum gelten, denn nicht jeder Privatmann war imstande, seine Burg mit vier oder sechs solchen Stücken zu versehen.

Von hier ging es noch einmal aufwärts in den zweiten Stock, wo ein überaus schöner Saal, ringsum mit hellen Fenstern, den Ritter von Lichtenstein und seinen Gast aufnahm. Der Hausherr gab einem Diener, der ihnen gefolgt war, mehr durch Zeichen als Worte einige Befehle, die ihn aus dem Saale entfernten.[31]

VIII

–Und der Graf, gerührt von solches

Hohen Opfers hohem Geiste

Bei der Freude süßer Regung,

Kann der Freundschaft mildem Taue

Der durchs Herz ihm, der durchs Auge

Schon ihm schleicht, nicht widerstehen.

P. Conz

Als die beiden Männer in dem weiten Saale von Lichtenstein allein waren, trat der Alte dicht vor Georg hin, und schaute ihn an, als messe er prüfend seine Züge. Ein Strahl von Begeisterung und Freude drang aus seinen Augen, die Melancholie seiner Stirne war verschwunden, er war heiter, fröhlich sogar, wie der Vater, der einen Sohn empfängt, der von langen Reisen zurückkehrt. Endlich stahl sich eine Träne aus seinem glänzenden Auge, aber es war eine Träne der Freude, denn er zog den überraschten Jüngling an sein Herz.

»Ich pflege nicht weich zu sein«, sprach er nach dieser feierlichen Umarmung zu Georg, »aber solche Augenblicke überwinden die Natur, denn sie sind selten. Darf ich denn wirklich meinen alten Augen trauen? trügen die Züge dieses Briefes nicht? ist dieses Siegel echt und darf ich ihm glauben? doch – was zweifle ich! hat nicht die Natur Euch ihr Siegel auf die freie Stirne gedrückt? sind die Züge nicht echt, die sie auf den offenen Brief Eures Gesichtes geschrieben? nein, Ihr könnet nicht täuschen – die Sache meines unglücklichen Herrn hat einen Freund gefunden!«

»Wenn Ihr die Sache des vertriebenen Herzogs meinet, so habt Ihr recht gesehen, sie hat einen warmen Anhänger gefunden. Der Ruf bezeichnete mir längst den Herrn von Lichtenstein, als einen treuen Freund des Herzogs, und ich wäre vielleicht auch ohne den Rat jenes unglücklichen Mannes, der mich zu Euch schickte, gekommen, Euch zu besuchen.«

»Setzet Euch zu mir, junger Freund«, sagte der Alte, dessen Augen immer noch mit Liebe auf dem Jüngling zu ruhen schienen; »setzet Euch hier und höret was ich sage. Ich liebe es sonst nicht, wenn die Leute ihre Farbe ändern, ich habe in meinem langen Leben gelernt, daß man die Überzeugung eines jeden ehren müsse, und daß ein Mann, wenn er nur sonst reine Absichten hat, nicht gerade deswegen zu verdammen sei, weil er anderer Meinung ist, als wir. Aber wenn man seine Farbe mit so uneigennützigen Absichten ändert wie Ihr, Georg von Sturmfeder, wenn man dem Glück den Rücken kehrt, um sich an das Unglück anzuschließen, da hat die Änderung großen Wert, denn sie trägt das Gepräge einer edlen Tat an der Stirne.«

Georg errötete über sich selbst, als er hörte, wie der Lichtensteiner seine uneigennützigen Absichten pries. War es denn nicht auch die schöne Tochter, was ihn zu der Fahne des Vaters führte? Und mußte er nicht in der Achtung dieses Mannes sinken, wenn über kurz oder lange dieses Motiv seines Übertrittes ans Licht kam? »Ihr seid zu gütig«, antwortete er; »die Absichten eines Menschen liegen oft tiefer verborgen, als man auf den ersten Anblick glaubt; seid versichert, daß mein Übertritt zu Eurer Sache zwar zum Teil von dem empörten Gefühl des Rechtes geleitet wurde; doch könnte es auch einen irdischeren Beweggrund geben, Herr Ritter; und ich möchte nicht, daß Ihr mich für zu gut hieltet, es würde mir um so weher tun, wenn Ihr nachher ungünstiger von mir urteiltet.«

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31

Crusius beschreibt in seiner Chronik das Schlößchen Lichtenstein, wie wir es hier nacherzählen. Er sah es zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts, also etwa siebzig Jahre nach dem Jahr 1519. Dort findet sich auch die hieher gehörige Stelle: »Im oberen Stockwerk ist ein überaus schöner Saal, ringsum mit Fenstern, aus welchen man bis an den Asperg sehen kann: darin hat der vertriebene Fürst Ulerich, v. Württemberg öfter gewohnt, der des Nachts vor das Schloß kam und nur sagte: ›Der Mann ist da!‹ so wurde er eingelassen.« Wo aber wohnte er den Tag über? wo hielt sich der Vertriebene auf? Die Frage lag sehr nahe. Jetzt ist in die Ruinen des alten Schlosses ein Jägerhaus erbaut, das noch immer den Namen des »Lichtensteiner Schlößleins« trägt, und am fröhlichen Pfingstfest einer lebensfrohen Menge zum Tummelplatz dient.