»Ich liebe Euch um dieser Offenheit willen nur noch mehr«, entgegnete der Herr des Schlosses, und drückte seinem Gast die Hand. »Doch traue ich meiner Erfahrung und meiner Kenntnis der Gesichter, und von Euch will ich kühn behaupten, daß, wenn Euch auch noch eine andere Absicht leitet, als das Gefühl des Rechtes, diese Absicht doch keine schlechte sein kann. Wer Schlechtes im Schilde führt, ist feig, und wer feig ist, wagt es nicht, den Truchseß, den Herzog von Bayern und den Schwäbischen Bund vor den Kopf zu stoßen und so aufzutreten, wie Ihr aufgetreten seid.«
»Was wisset Ihr von mir«, rief Georg mit freudigem Erstaunen; »habt Ihr denn je von mir gehört vor diesem Augenblick?«
Der Diener, welcher bei diesen Worten die Türe öffnete, unterbrach die Antwort des alten Herrn; er setzte Wildbret und volle Becher vor Georg hin, und schickte sich an, den Gast zu bedienen. Doch ein Wink seines Herrn entfernte ihn aufs neue. »Verschmähet diesen Morgenimbiß nicht«, sagte er zu dem jungen Mann; »den ersten Becher sollte zwar die Hausfrau kredenzen, wie es die angenehme Sitte heischt; aber die meinige ist schon lange tot, und meine einzige Tochter, Marie, die an ihrer Stelle das Hauswesen versiehet, ist ins Dorf hinabgegangen, um am hohen Feste eine Predigt zu hören und die Messe. Nun, Ihr fragtet mich, ob ich noch nie von Euch gehört hatte? Ihr seid ja jetzt unser, daher darf ich Euch wohl sagen, was man sonst verschweigt. Ich war zur Zeit, als Ihr in Ulm einrücktet, in jener Stadt, um meine Tochter abzuholen, die sich dort aufhielt, hauptsächlich aber, um manches zu erfahren, was für den Herzog zu wissen wichtig war; Gold öffnet alle Pforten«, setzte er lächelnd hinzu, »auch die des Hohen Rates, und so hörte ich täglich, was die Bundesobersten beschlossen. Als der Krieg erklärt wurde, war ich genötigt, abzureisen; ich hielt aber treue Männer in jener Stadt, die mir auch das Geheimste berichteten, was vorging.«
»War nicht einer davon der Pfeifer von Hardt«, fragte Georg, »den ich bei dem Geächteten traf?«
»– Und der Euch über die Alb führte? ja wohl! Diese brachten immer Kundschaft. So erfuhr ich denn auch, daß man beschloß, einen Späher hinter den Rücken des Herzogs zu schicken, etwa in die Gegend von Tübingen, um dem Bunde sogleich Nachricht von unseren Schritten zu erteilen. Ich erfuhr auch, daß die Wahl auf Euch gefallen sei. Nun muß ich Euch redlich gestehen, Ihr und Euer Name war mir ziemlich gleichgültig, nur bedauerte ich Euch, als ich hörte, daß Ihr noch solch ein junges Blut seid, denn sobald Ihr über die Alb kamet als Kundschafter, wäret Ihr ohne Gnade und Barmherzigkeit totgeschlagen oder unter die Erde gesetzt worden, wo keine Sonne und kein Mond hinscheint. Um so überraschender war mir und vielen Männern die Nachricht, wie Ihr es ausgeschlagen, und wie tapfer Ihr vor jenen Herren gesprochen. Auch daß Ihr absagtet und auf vierzehn Tage Urfehde schwören mußtet, erfuhr ich. Und wie freut es mich, daß Ihr nun gar unser Freund geworden seid!«
Die Wangen des jungen Mannes glühten, sein Auge strahlte vor Freude, brach ja doch dieser Augenblick alle Schranken, welche die Verhältnisse zwischen ihm und Marie gezogen hatten. Sein langer Wunsch, dessen Erfüllung oft so weit in die Ferne hinausgerückt schien, war in Erfüllung gegangen, er hatte unbewußt Mariens Vater für sich gewonnen. »Ja, ich habe ihnen abgesagt«, antwortete Georg, »weil ich ihr Wesen nicht mehr leiden mochte, ich bin Euer Freund geworden, doch wäre es möglich, ich hätte mich nicht so bald zu Eurer Sache bekannt; aber als ich unten in der Höhle neben jenem geächteten Mann saß, als ich bedachte, wie man mit den Edeln und selbst mit dem Herrn des Landes umgehe, wie seine gewaltigen Reden so mächtig an meiner Brust anklopften: da war es mir auf einmal hell und klar, hieher müsse ich stehen, hier müsse ich streiten. Und glaubt Ihr, es werde bald etwas zu tun geben? denn ich bin nicht zu Euch herübergeritten, um die Hände in den Schoß zu legen!«
»Das konnte ich mir denken«, sagte der Ritter lächelnd; »vor vierzig Jahren hatte ich auch so rasches Blut, und es ließ mich nicht lange auf einem Fleck. Wie die Sachen stehen, wißt Ihr; man kann sagen eher schlimm als gut. Sie haben das Unterland, sie haben den ganzen Strich von Urach herauf. Auf eines kommt alles an: hält Tübingen fest, so siegen wir.«
»Die Ehre von vierzig Rittern bürgt dafür«, rief Georg mit Unmut, »das Schloß ist stark, ich habe kein stärkeres gesehen, Besatzung ist hinlänglich da, und vierzig Männer von Adel werden sich so leicht nicht ergeben. Es kann nicht sein, es darf nicht sein. Haben sie nicht des Herzogs Kinder bei sich und den Schatz des Hauses? sie müssen sich halten.«
»Wohl, wenn sie alle dächten wie Ihr. Es kommt gar viel auf Tübingen an. Wenn der Herzog Entsatz bringen kann, so hat er an Tübingen einen festen Punkt, von wo aus er sein Land wieder erobern kann; es sind große Kriegsvorräte, es ist ein großer Teil des Adels dort; solange sie zu seiner Partie halten, ist Württemberg nur dem Boden nach gewonnen, dem Geiste nach ist es noch des Herzogs! aber ich fürchte, ich fürchte!«
»Wie? unmöglich können sich die vierzig ergeben!«
»Ihr habt noch wenig erfahren in der Welt«, erwiderte der Alte, »Ihr wißt nicht, welche Lockungen und Schlingen manchen ehrlichen Mann straucheln machen können. Und es ist mancher in der Burg, dem der Herzog zu viel getraut hat. Er merkt auch wohl, daß es nicht ganz lauter und rein hergeht, denn er schickte den Ritter Marx Stumpf von Schweinsberg an sie mit einem beweglichen Schreiben[32], das Schloß nicht zu übergeben, sondern ihm Gelegenheit zu machen, in dasselbe zu kommen, weil er dort zu sterben bereit sei, wenn es Gott über ihn verhänge.«
»Der arme Herr!« rief Georg bewegt. »Aber ich kann nicht glauben, daß der Landesadel so schändlich freveln könne; sie werden ihn einlassen in die Burg, er wird ihren Mut aufs neue beseelen, er wird Ausfälle machen, er wird sie schlagen die Belagerer trotz Bayern und Frondsberg, wir werden uns an ihn anschließen, wir werden fechtend durch das Land ziehen und diese Bündler verjagen.«
»Marx Stumpf ist noch nicht zurück«, sagte der Ritter von Lichtenstein mit besorgter Miene; »auch haben sie seit gestern das Schießen eingestellt. Sonst hörte man jeden Stückschuß hier auf dem Lichtenstein, aber seit gestern ist es still wie im Grabe.«
»Vielleicht schweigt das Geschütz wegen des Festes; gebt acht sie werden morgen oder am Ostermontag wieder donnern lassen, daß es durch Eure Felsen hallt.«
»Was da!« entgegnete jener. »Wegen des Festes? seinem Herzog treu zu dienen ist auch ein frommer Dienst; und es wäre den Heiligen im Himmel vielleicht lieber sie hörten den Donner der Feldschlangen von Tübingens Wällen, als daß sie die Ritter müßig sehen. Müßiggang ist aller Laster Anfang! aber wenn nur der Stumpf in das Schloß kommt, der wird sie aufrütteln aus ihrem Schlummer.«
»Der Herzog hat den Ritter von Schweinsberg nach Tübingen geschickt, sagt Ihr? der Herzog will ins Schloß, weil die Besatzung seit einigen Tagen zu wanken scheint? da kann also Ulerich nicht bis Mömpelgard entflohen sein, wie die Leute sagen; da ist er vielleicht in der Nähe? O daß ich ihn sehen könnte, daß ich mich mit ihm nach Tübingen schleichen könnte!«
Ein sonderbares Lächeln zog flüchtig über die ernsten Züge des Alten; »Ihr werdet ihn sehen, wenn es Zeit ist«, sagte er. »Ihr werdet ihm angenehm sein, denn er liebt Euch schon jetzt. Und ist das Glück gut, so sollt Ihr auch mit ihm nach Tübingen kommen, Ihr habt mein Wort drauf. – Doch jetzt muß ich Euch bitten, Euch ein Stündchen allein zu gedulden. Mich ruft ein Geschäft, das aber bald abgetan sein wird. Nehmt Euch meinen Wein zum Gesellschafter, schauet Euch um in meinem Haus, ich würde Euch einladen auf die Jagd auszureiten, wenn ein solches Vergnügen zum Karfreitag paßte.«
Der alte Herr drückte seinem Gast noch einmal die Hand und verließ das Zimmer; bald nachher sah ihn Georg aus dem Schlosse dem Wald zu reiten.
32
Er schickte einen tapfern Ritter, Marx Stumpf von Schweinsberg an sie mit einem beweglichen Schreiben, das Schloß nicht zu übergeben sondern, wo sie solches auch tun wollten, ihm wieder Gelegenheit zu machen, in dasselbe zu kommen; weil er in selbigem zu sterben bereit sei, wenn es Gott über ihn verhänge. Sattler, Gesch. der Herz. v. Würtemb. II. 15.