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Der Himmel über dem Meer war wolkenlos. Ein trüber Mond schien auf die träge daliegende Wasserwüste hinab, und als Kim sich zur Seite beugte und nach unten sah, konnte er einen winzigen gleißenden Lichtpunkt auf der Wasseroberfläche ausmachen, die Reflexion der sonnenhellen Atomflamme, auf der er ritt.

Eine Insel tauchte unter ihm auf, wuchs zu einer schwarzen, großen Landmasse heran und versank dann wieder in der Nacht. Er drückte den Beschleunigungshebel weiter nach vorn, spürte das Vibrieren der mächtigen Triebwerke und beschleunigte weiter und immer noch weiter. Schließlich flog er so schnell, daß er sehen konnte, wie sich der Mond von seinem Platz löste und am Himmel entlangzuwandern begann.

Auf dem Armaturenbrett blinkte eine rote Warnlampe auf, dann noch eine, und dann setzte ein dünner, summender Warnton ein. Kim warf einen Blick aus dem Fenster und sah, daß die Spitzen der Tragfläche dunkelrot zu glühen begonnen hatten.

Mit einem Seufzer des Bedauerns zog er den Beschleunigungshebel zurück. Die Maschine wurde langsamer. Der Summton verstummte, und nach wenigen Augenblicken erloschen auch die Warnlämpchen. Die Viper war ein ungeheuer schnelles Schiff, aber sie war - auch wenn sie es mit jedem beliebigen Flugzeug aufnehmen konnte - im Grunde für den freien Raum konstruiert worden. Falls Kim die volle Schubkraft der beiden Triebwerke überhaupt jemals entfesseln konnte, dann nur dort. Er flog noch immer mit zigfacher Schallgeschwindigkeit, und wahrscheinlich würde das Meer tief unter ihm unter den Hammerschlägen der dutzendfach durchbrochenen Schallmauer beben. Aber all das war nichts gegen die Kraft, die wirklich in dem schlanken Rumpf steckte.

Kim nahm noch mehr Tempo weg und ging tiefer. Die Viper trudelte ein wenig, aber er fing die Bewegung geschickt mit einer Rolle auf, die ihn nach einem dreifachen Überschlag auf seinen ursprünglichen Kurs zurückbrachte. Plötzlich fühlte er tiefe Verbundenheit zwischen sich und dem Schiff. Sie waren nicht länger zwei verschiedene Wesen, Maschine und Pilot, sondern eine perfekt verschmolzene Einheit.

Das Meer glitt wie eine uferlose Masse aus grauem, geschmolzenem Blei unter ihm hinweg. Er ging noch tiefer, bis er den langgestreckten Schatten der Viper über die Oberfläche hinhuschen sah, zog dann wieder hoch und beschleunigte vorsichtig, jedoch ohne wieder in den Bereich gefährlicher Geschwindigkeiten zu gelangen.

Am Horizont tauchte eine dünne weiße Linie auf, wuchs binnen Sekunden zu einer mächtigen Steilküste aus Eis und Schnee, hinter der sich eine schimmernde Wüste aus Kälte und Eis und gefrorener Luft erstreckte. Kim ging tiefer, drosselte die Geschwindigkeit und ließ den Schatten der Viper langsam, wie einen großen, lautlosen Vogel, über das mondbeschienene Eis hüpfen. Ein winziger weißer, nach Norden trottender Punkt erschien auf dem Eis, wandte den Kopf und blickte dem Phantom verwundert nach. Kim lachte laut auf, grüßte den Eisbären, indem er scheinbar mit den Flügeln wackelte, und beschleunigte wieder. Das Eis wurde zu einer glitzernden Fläche, auf der keine Einzelheiten mehr zu erkennen waren.

Der kleine Magnetkompaß im Armaturenbrett begann zu kreiseln. Die Nadel zitterte, drehte sich einen Moment wie irr um die eigene Achse und schlug dann um hundertachtzig Grad um, als die Viper über den Nordpol jagte und dem Morgen entgegensprang.

Der Tag dämmerte herauf, als Kim die Küste überflog und erneut Kurs auf das offene Meer nahm. Wie in einer phantastischen Zeitrafferaufnahme kletterte die Sonne als kleiner, glühender Ball über den Horizont, wuchs zu einer flammenden Scheibe, deren Licht selbst durch das getönte Glas seines Helmvisiers noch schmerzhaft hell war, stieg jählings am Himmel empor, um dann ebensoschnell wieder hinter dem dahinjagenden Raumschiff zu versinken. Die Nacht brach herein, verging genauso plötzlich wie der Tag und wich einem neuen Morgen, als die Viper die Sonne ein weiteres Mal überholte. Unter ihm lag noch immer Meer, endlos hingestreckt, bar jeder Insel, jeder Unterbrechung und jeder Bewegung. Wieder lief ein ganzer Tag in wenigen Minuten ab. Die Maschine trug Kim weiter und immer weiter nach Süden, weiter, als je ein Mensch gelangt oder ein Gedanke geflogen war.

Dann, als sich der Himmel das dritte Mal mit Dunkelheit und der glitzernden Pracht der Sterne überzog, tauchte am Horizont eine schwarze, schnurgerade Linie über dem Meer auf.

Die Viper wurde langsamer.

Kim blickte verwirrt auf seine Kontrollen und tippte auf den Beschleunigungshebel. Aber diesmal weigerte sich die Maschine, seinen Befehlen zu gehorchen. Sie wurde im Gegenteil immer langsamer und sackte gleichzeitig sanft, aber beständig ab.

Vorsichtig bewegte Kim den Steuerknüppel nach rechts. Die Viper legte sich auf die Seite und begann in eine langgezogene, nach unten geneigte Kurve zu gehen. Kim atmete erleichtert auf. Wenigstens gehorchte die Maschine noch dem Kurs, den er ihr gab.

Er zog wieder hoch, brachte das Schiff auf geraden Kurs zurück und betrachtete neugierig die Landschaft, die tief unter ihm dahinzog. Er flog noch immer zu hoch und zu schnell, um Einzelheiten erkennen zu können, dennoch ließ ihn der Anblick schaudern. Unter ihm waren Felsen. Nackter, glasiger Stein, eine ungeheure Einöde aus Grau und Schatten und immer wieder Grau. Die Welt dort unter ihm schien ungeformt, eine leere Bühne, auf der das Leben noch nicht aufgetreten war, auf der es nicht einmal Erde oder Sand, sondern nur kahles, totes Felsgestein gab. So oder so ähnlich mußte die Erde einst ausgesehen haben, vor vielen Millionen Jahren, lange bevor das erste primitive Leben auf ihrer Oberfläche erschien.

Kim fröstelte. Das dort unten mußte das Reich der Schatten sein, von dem Themistokles erzählt hatte.

Er riß sich gewaltsam von dem schaurigen Anblick los, klappte das Helmvisier hoch und suchte mit zusammengekniffenen Augen den Horizont ab. Irgendwo vor ihm mußten die Schattenberge liegen.

Es dauerte lange, ehe er merkte, daß der schwarze Schatten vor ihm nicht der Horizont - sondern Berge waren!

Kim schrie vor Schreck und Überraschung auf, als ihn die Erkenntnis traf. Seine Augen weiteten sich. Themistokles hatte gesagt, daß die Schattenberge höher als der Mond seien, aber natürlich hatte Kim die Worte des alten Zauberers für eine romantische Übertreibung gehalten.

Er erwachte erst wieder aus seiner Erstarrung, als auf dem Instrumentenbrett vor ihm eine ganze Batterie roter Warnlämpchen zu flackern begann. Hastig richtete er sich auf, griff nach dem Steuerknüppel und zog die spitze Nase der Maschine steil empor. Die Anzeigeninstrumente der Viper begannen verrückt zu spielen, als sie vergeblich versuchten, Höhe, Masse und Ausdehnung dieses Alptraumgebirges zu vermessen. Kim schaltete kurzerhand die Geräte ab und konzentrierte sich voll darauf, den Jäger an der senkrecht emporstrebenden Felswand entlangzusteuern.

Er verlor jedes Zeitgefühl. Vielleicht vergingen nur wenige Augenblicke, vielleicht dauerte es Stunden, ehe endlich, weit über ihm und von schwarzen Wolkenmassen umhüllt, die eisbedeckten Gipfel der Schattenberge auftauchten. Er atmete tief durch. Mit einem letzten, machtvollen Schub der Triebwerke brachte er die Viper über die Gipfel und steuerte langsam wieder in die Waagrechte zurück.

Eine Weile flog er parallel zur Bergkette. Der Fels fiel zu beiden Seiten so tief ab, daß Kim den Boden nicht einmal mehr schemenhaft erkennen konnte. Die Berge schienen direkt aus der Unendlichkeit zu wachsen.

Kim drosselte erneut die Geschwindigkeit, legte die Hände auf das Steuerruder und ließ sie unschlüssig wieder sinken. Er war hier. Er hatte die Schattenberge erreicht und überwunden. Doch damit war er mit seiner Weisheit auch schon am Ende. Themistokles hatte versprochen, hier irgendwo auf ihn zu warten. Aber er hatte nicht gesagt, wo.