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Der Erdboden schien zu beben, als die beiden Heere aufeinandertrafen. Waffenlos und nur mit ihren dreieckigen hölzernen Schilden gegen die Pfeile der Morgoner geschützt, prallte der Angriffskeil der Steppenreiter gegen die Phalanx der Feinde. Stahl klirrte, Pferde und Menschen bäumten sich auf, und für einen Moment wurde die Sicht von hochgewirbeltem Staub verdunkelt, so daß man Freund und Feind nicht mehr unterscheiden konnte. Die Krieger Morgons waren weit in der Überzahl. Sie hatten offensichtlich geglaubt, mit ihren unbewaffneten Gegnern leichtes Spiel zu haben. Zu spät erkannten sie den verhängnisvollen Irrtum. Die Steppenreiter mochten wehrlos erscheinen, aber ihre Hände und Füße, Ellbogen und Knie verwandelten sich im Moment des Aufeinanderpralls in unwiderstehliche Waffen. Ein schwarzer Reiter nach dem anderen fiel erschlagen oder kampfunfähig aus dem Sattel. Der Kampf dauerte nur Minuten. Die Phalanx der schwarzen Reiter wankte, formierte sich neu und brach dann endgültig zusammen. Nur wenigen gelang es, sich in Sicherheit zu bringen. Als die Steppenreiter ihre Pferde herumzwangen, zeigte sich, daß auf zehn Reiter Morgons, die reglos auf der blutgetränkten Erde lagen, einer der ihren kam.

Für einen Moment geriet die Schlacht ins Stocken. Das schwarze Heer kroch zurück wie ein großes, schwerfälliges Tier, holte Atem und brandete dann erneut gegen die gläsernen Mauern.

Plötzlich riß die schwarze Wolkendecke über dem Schlachtfeld auf. Ein hoher, siegender Ton erfüllte die Luft. Und dann raste ein breiter, farbenschillernder Regenbogen über den Himmel heran und senkte sich mitten auf das Schlachtfeld herab.

Sekundenlang verharrten sowohl Angreifer wie Verteidiger in ungläubigem Staunen. Tausende Gesichter wandten sich der phantastischen Erscheinung zu; für die Dauer eines Herzschlags schien die Schlacht wie erstarrt. Ein vielstimmiger Entsetzensschrei aus den Kehlen der schwarzen Reiter zerschnitt die Stille. Über den Regenbogen, in kühnem Schwung direkt aus dem Himmel herabstoßend, kam eine Armee goldgepanzerter Reiter herangaloppiert, angeführt von einer kleinen, ganz in Schwarz gekleideten Gestalt. Die goldenen Reiter erreichten den Boden und stießen mitten ins Herz der schwarzen Armee. Kein Schild, kein Panzer, kein noch so hartnäckiger Widerstand konnte sie aufhalten. Mit ungebrochener Kraft schlugen sie eine Bresche in das schwarze Heer und galoppierten auf die Burg zu. Erst vereinzelt, dann von mehr und mehr Stimmen aufgenommen, erhob sich aus den Reihen der Heerscharen Märchenmonds ein donnernder Schlachtruf, unter dem die gläsernen Mauern der Burg zu vibrieren schienen.

»Rettet Gorywynn!«

Im gleichen Maße, in dem die Verteidiger neuen Mut gewannen, begann sich unter den schwarzen Reitern Panik auszubreiten. Zum ersten Mal, seit vor fünf Tagen die Schlacht begonnen hatte, wankten ihre Reihen, zögerten die schwarzen Krieger, sich dem Feind entgegenzuwerfen. Mehr und mehr wandten sich zur Flucht, und als die goldenen Reiter unter Kims Führung den ersten geborstenen Wall erreichten, trieben sie eine Schar versprengter schwarzer Reiter vor sich her und schlugen sie vollends in die Flucht. Die schweren Bronzetore des zweiten Walles schwangen auf, und der Reitertrupp galoppierte auf den glasgepflasterten Hof. Triumphierendes Jubelgeschrei empfing sie. Hunderte von Männern und Frauen strömten auf den Hof, halfen den Reitern aus den Sätteln und labten sie mit Speise und Trank. Für einen Moment hatte Gorywynn wieder Hoffnung.

Auch Kim wurde von der Welle des Jubels erfaßt. Trotz seiner heftigen Gegenwehr wurde er aus dem Sattel gehoben und im Triumphzug über den Hof getragen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis sich die Begeisterung gelegt hatte und er wieder auf den Boden gesetzt wurde.

»Wo ist Themistokles?«

Jemand deutete auf die Befestigung hinter ihm. Kim drehte sich um und sah die weißgekleidete Gestalt des Zauberers, der mit eiligen Schritten die Treppe von der Mauer herabstürmte und sich einen Weg durch die Menge bahnte.

»Kim!« rief er erfreut. »Den Göttern sei Dank. Du lebst!«

»Ja. Und wie du siehst, komme ich nicht allein!« Kim wies auf die Reihen goldener Reiter, die sich um ihn versammelt hatten. »Ich bringe Hilfe und Rettung für Gorywynn!«

»Du lebst!« wiederholte Themistokles, als hätte er Kims Worte gar nicht gehört. »Du ahnst ja nicht, welche Sorgen uns dein Verschwinden bereitet hat. Wo sind die anderen? Gorg, Kelhim, der Drache und Priwinn?«

Kims Triumphgefühl verschwand schlagartig und machte einem Gefühl dumpfer Trauer Platz. »Gorg und Rangarig sind tot«, sagte er leise. »Sie opferten sich freiwillig, um mich und die anderen zu retten. Meine Freunde sind bei den Weltenwächtern zurückgeblieben.«

»Die Weltenwächter!«, sagte Themistokles mehr zu sich selbst. »Du warst dort? Burg Weltende existiert also wirklich?«

»Ja. Ich war dort. Und ich war auch an einem Ort, der noch viel phantastischer ist als Weltende.«

»Du... du hast den König der Regenbogen gesehen?«

»Ja, Themistokles. Und mehr noch.« Kim zögerte einen Moment und begann dann in knappen Worten zu berichten, was er erlebt hatte. Als er geendet hatte, breitete sich im ganzen Hof staunendes Schweigen aus.

»So ist es also wahr«, murmelte der Zauberer endlich. »Vielleicht ist doch noch nicht alles verloren. Vielleicht kann Gorywynn noch gerettet werden.«

»Es wird gerettet werden«, sagte Kim im Brustton der Überzeugung. »Die Krieger, die ich brachte, sind nur die Vorhut. Der König der Regenbogen versprach mir, selbst zu kommen. Ich weiß, daß er sein Wort halten wird.«

Themistokles lächelte. Es war ein trauriges, mutloses Lächeln, das Kim nicht begriff und das ihn schaudern ließ.

»Komm mit«, sagte Themistokles. Er nahm Kim beim Arm, führte ihn über den Hof zur Befestigung und deutete schweigend auf die schmale gläserne Treppe, die zu den Zinnen emporführte. Kim folgte dem Zauberer die Stufen hinauf. Die Krieger hinter den Zinnen traten respektvoll beiseite, um die beiden vorbeizulassen.

Der Zauberer führte Kim in die Mitte des Walles, genau über dem großen bronzenen Tor.

»Sieh«, sagte er.

Die Ebene, die sich hinter der Burg erstreckte, so weit das Auge reichte, war schwarz von Kriegern. Noch hatte sich das schwarze Heer nicht von dem Schlag erholt, aber über den Horizont im Osten kroch unablässig Verstärkung heran. Zug um Zug. Reiter um Reiter. Kleine Gruppen von zehn, fünfzehn Mann, ein anderes Mal Hunderte; und einmal schien der Horizont selbst in Bewegung zu geraten, als ein riesiger, wohl an die Tausend zählender Heereszug herankam und sich mit der wartenden Armee vereinigte.

»So geht es seit Tagen«, sagte Themistokles ruhig. »Was du hier siehst, ist nur ein Teil von Boraas' Armee. Die Zahl seiner Krieger ist unerschöpflich. Die Männer, die du mitgebracht hast, mögen Helden sein, vielleicht die größten, die Märchenmond jemals hervorgebracht hat. Aber auch wenn einer von ihnen tausend schwarze Reiter aufwöge, hätten wir keine Chance.«

Kim starrte den Zauberer fassungslos an. »Ja, hast du mich denn nicht verstanden?« rief er. »Nicht sie allein sind die versprochene Hilfe. Der Regenbogenkönig selbst wird kommen und Boraas' Heer zerschlagen!«

»Glaubst du das wirklich?« fragte Themistokles.

»Selbstverständlich!«

»Ich wollte, du behieltest recht.«

»Aber er wird kommen!« bekräftigte Kim.

Themistokles schüttelte den Kopf. »Es ist sinnlos, Kim, sich an einen Traum zu klammern. Sinnlos und gefährlich. Auch ich habe es einen Moment lang getan. Nein, Kim. Wir haben verloren. Keine Macht der Welt kann Boraas daran hindern, Gorywynn zu nehmen. Du hast getan, was in deinen Kräften stand, ja vielleicht mehr. Aber es ist aus.«

»Aber du darfst jetzt nicht aufgeben!« rief Kim. »Jetzt erst recht nicht!«

»Dieser Meinung bin ich auch«, sagte eine Stimme hinter ihnen.