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Themistokles fuhr überrascht herum. Ein schlanker, in ein einfaches braunes Gewand gekleideter Mann stand hinter ihm.

»Unser kleiner Held hat recht, Themistokles. Du gibst zu rasch auf. Noch ist der Kampf nicht verloren.«

Themistokles sah den Fremden verblüfft an. »Wer seid Ihr? Und woher kommt Ihr?«

»Wer ich bin? Nun, wenn du Kim nicht geglaubt hast, wirst du mir wohl auch nicht glauben, oder?«

»So seid Ihr...« Themistokles beendete den Satz nicht.

»Wer ich bin, spielt keine Rolle, Herr von Gorywynn. Manche nennen mich den König der Regenbogen, andere anders. Aber ich bin der, auf den ihr gewartet habt.«

»Und... Ihr seid gekommen, um uns zu helfen?«

»Nicht euch«, widersprach der Regenbogenkönig. Er wies mit einer Handbewegung auf Kim. »Ihm. Aber das läuft wohl aufs gleiche hinaus.« Er blickte auf das schwarze Heer und den geborstenen Wall zu seinen Füßen und seufzte. »Ich sehe, ihr seid wirklich in großen Schwierigkeiten«, murmelte er.

Themistokles nickte. »Wenn der zweite Wall fällt, haben wir keine Männer mehr, den dritten zu besetzen.«

Der Regenbogenkönig schien zu überlegen. Plötzlich straffte er sich, deutete mit einer Kopfbewegung auf den Hof hinunter und sagte: »Gehen wir.«

Sie verließen die Mauer. Die Menge im Hof teilte sich, um ihnen den Weg zum Tor freizugeben.

»Öffnet das Tor!« befahl der Regenbogenkönig.

Themistokles hob gebieterisch die Hand, und zwei Männer setzten einen verborgenen Mechanismus in Gang, der die tonnenschweren Bronzeflügel lautlos nach außen schwingen ließ.

Der Platz zwischen dem Tor und dem geborstenen ersten Wall war leer. Die Krieger, die dem Ansturm der goldenen Reiter und dem Pfeilhagel von den Zinnen entronnen waren, hatten sich weit hinter seine Linie zurückgezogen. Die drei überquerten den mit Gefallenen und Glastrümmern übersäten Platz und erklommen die gezackten Ruinen des ersten Walles. Von hier aus wirkte das schwarze Heer noch bedrohlicher. Es war, als wogte die Steppe selbst schwarz und gefährlich heran.

Kim ballte die Fäuste, damit man nicht merkte, wie seine Hände zitterten. Er war kein Feigling, das hatte er hinlänglich bewiesen. Aber dieser Anblick war beinah mehr, als er ertragen konnte. Die vorderste Reihe der Krieger war höchstens zehn Meter von ihnen entfernt, nahe genug, daß Kim ihre haßerfüllten Blicke spüren und ihren Schweiß riechen konnte.

»Männer Morgons!« rief der Regenbogenkönig. Seine Stimme hallte so mächtig über die Steppe, daß auch der letzte Krieger jedes Wort deutlich verstehen konnte, so als stünde der Sprecher direkt vor ihm. »Hört mich an! Euer Kampf ist aussichtslos. Euer Anführer hat euch belogen, als er sagte, Gorywynn könne erobert werden. Ihr kämpft für die falsche Sache, und wenn ihr weiterkämpft, werdet ihr einen sinnlosen Tod sterben.«

Er wartete einen Moment, um seine Worte einwirken zu lassen. Dann fuhr er fort. »Zieht ab, und keinem von euch wird etwas geschehen! Legt eure Waffen ab, und ich garantiere für eure Sicherheit!«

Ein einzelner schwarzer Pfeil zischte heran und bohrte sich dicht vor seinen Füßen in das Glas.

»Gebt auf!« rief der Regenbogenkönig beschwörend. »Ihr steht auf der falschen Seite. Die Mächte des Bösen dürfen nicht siegen!«

Ein ganzer Schwarm schlanker schwarzer Pfeile hagelte gegen den Wall. Doch nicht einer von ihnen erreichte sein Ziel. Auf halbem Weg glühten sie auf, entluden sich in grellen Explosionen in allen Farben des Regenbogens und verschwanden.

Ein dröhnender, vielstimmiger Kampfschrei erhob sich aus den Reihen der schwarzen Krieger. Das Heer setzte sich in Bewegung und brandete wie eine gigantische schwarze Welle heran. Kim wollte erschrocken zurückweichen, aber Themistokles hielt ihn mit eisernem Griff am Arm fest.

Der Regenbogenkönig hatte sich hoch aufgerichtet und die Hände zum Himmel erhoben. Dünne, farbige Lichtstrahlen zuckten aus seinen Fingerspitzen nach oben, und der Himmel erstrahlte plötzlich in grellem, ungeheuer intensivem Licht. Ein Regenbogen, größer und prächtiger als alle, die Kim bisher gesehen hatte, spannte sich über das Firmament, und aus seiner Mitte zuckten Blitz auf Blitz in das schwarze Heer hinab, tauchte die Krieger in eine Flut aus Farben und Licht und ließ sie zu Hunderten aus den Sätteln stürzen.

Der Ansturm des Heeres kam ins Stocken. Ein Vorhang aus Licht fiel vom Himmel, legte sich vor das Heer und ließ auf eine Tiefe von etwa vierzig Metern Männer und Tiere hilflos zusammenbrechen. Aber Kim sah auch, daß die Männer nicht tot waren. Ihre Rüstungen glühten auf, wenn sie von den Blitzen getroffen wurden, verloren ihre tiefschwarze Farbe und verwandelten sich in normales Metall. Als einer der Reiter dicht vor Kim niederstürzte und seinen Helm verlor, sah Kim auf seinem Gesicht einen Ausdruck maßloser Verblüffung, als hätte er von einem Moment auf den nächsten jegliche Erinnerung an sich und den Grund seines Hierseins verloren. Und Kim begriff, daß die Blitze des Regenbogenkönigs nicht töteten, sondern nur Boraas' Zauber brachen.

Ohne Unterlaß peitschten die Blitze in die schwarze Armee, und am Himmel loderte ein bengalisches Feuer. Das Kriegsgeschrei hatte sich längst in einen Chor verzweifelter Hilferufe verwandelt, und der Vormarsch des Heeres war endgültig zum Stillstand gekommen.

Aber Kim sah noch etwas, was weder Themistokles noch der Regenbogenkönig zu bemerken schienen. Der Himmel flammte weiter in einem grellen Durcheinander von Farben, aber dazwischen waren plötzlich kleine schwarze Punkte entstanden, gleich dunklen Löchern in dem Schirm aus Licht, der die Wolken verdeckte. Und mit jedem Blitz, der herniederfuhr, mit jedem Reiter, der aus dem Sattel fiel, wurden es mehr, als verlöre der Regenbogen mit jedem schwarzen Krieger ein klein wenig an Kraft. Bald schon wirkte der Regenbogen pockennarbig und durchlöchert, und die schwarzen Punkte begannen zu großen, häßlichen Flecken zu verschmelzen, zwischen denen die Farben mehr und mehr verblaßten. Nach einer Weile begann der Regenbogen zu zerfasern, fing an, sich in einzelne, zerfressen wirkende Lichtstränge aufzulösen. Die niederzuckenden Blitze waren längst nicht mehr so grell wie zu Anfang, und während zuerst Hunderte von Reitern unter ihren Einschlägen gefallen waren, waren es jetzt nur noch einige wenige.

Und auch der Lichtschirm selbst verlor sichtlich an Kraft. Zwar glühten die Pfeile, die auf den Wall zielten, nach wie vor in der Luft auf und vergingen, ehe sie ihr Ziel erreichen konnten, aber sie kamen jetzt schon merklich näher.

»Themistokles!« rief Kim entsetzt. »Sieh doch!«

Themistokles nickte. Auch er schien die Gefahr endlich erkannt zu haben. »Zurück«, schrie er. »Schnell!«

Kim zögerte noch. Das schwarze Heer rückte langsam, doch unerbittlich näher. Kim fühlte sich hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, sich in Sicherheit zu bringen, und dem, dem Regenbogenkönig zu helfen.

Noch immer fuhren grelle Blitze vom Himmel nieder. Aber der unheimliche Zersetzungsprozeß des Regenbogens schien jetzt immer schneller voranzuschreiten.

Plötzlich geschah etwas Furchterregendes. Die Dunkelheit schien sich über dem Heer zusammenzuballen, eine wogende, lichtverschlingende Nebelbank aus beinah greifbarer Finsternis. Und mitten darin erschien ein riesiges, hageres Gesicht.

»Boraas!« rief Themistokles entsetzt.

Ein schauerliches Lachen ließ die Mauern Gorywynns erbeben.

»Ja, Themistokles, ich bin es!« verkündete die Erscheinung. »Eure Zeit ist endgültig abgelaufen! Meine Pläne sind aufgegangen, schneller und besser, als ich zu hoffen gewagt habe! Ich danke euch für eure Hilfe. Besonders dir, Kim. Ohne dich wäre ich niemals ans Ziel gelangt.«

Kim unterdrückte einen verzweiflungsvollen Aufschrei. Er begann zu ahnen, daß er einen fürchterlichen Fehler begangen hatte.

Wieder zuckte ein greller Blitz vom Himmel, bohrte sich mitten in das riesige Antlitz Boraas' und fuhr harmlos in den Boden, ohne der Erscheinung irgend etwas anhaben zu können. Kim wandte rasch den Kopf und schaute zum Regenbogenkönig hinüber. Er sah, wie dessen schlanke Gestalt wankte. Sein Gesicht verzerrte sich wie unter einer ungeheuren Anstrengung. Die Pfeile, die auf ihn abgeschossen wurden, kamen jetzt schon fast bis an seinen Körper heran.