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Das Buch

»Es sind die Kinder, die verschwinden. Sie gehen fort und kommen nicht wieder - oder sie legen sich zum Schlaf nieder und sind nicht mehr da, wenn die Sonne aufgeht. Niemand weiß, was mit ihnen geschieht. Auf dir ruht nun all unsere Hoffnung. Hilf uns, Kim, wie du uns schon einmal geholfen hast.«

Als Kim den Märchenmond betritt, fühlt er schon die tiefgreifende Veränderung, von der diese Welt hinter den Träumen erfaßt ist. Auch seine Freunde sind davon betroffen. In jedem von ihnen scheinen die dunklen Seiten der Seele die Oberhand zu gewinnen. Gemeinsam mit Rangarig, dem Golddrachen, und Priwinn, dem Prinzen der Steppenreiter, macht sich Kim auf den Weg zur gläsernen Burg. Es wird eine Reise durch verwüstetes Land und tausenderlei Gefahren. Rangarig wird von einem Eisendrachen schwer verletzt, und Kim wird von den Zwergen gefangengenommen. Tief unter der Erde muß er nun in ihrer Schmiede Sklavendienste tun. Ein Entkommen scheint unmöglich. Doch Kim hat gelobt, all seine Kraft und Klugheit einzusetzen, um Märchenmond zu retten...

Die Autoren

Wolfgang Hohlbein, geboren in Weimar, und Heike Hohlbein, geboren in Neuss, leben heute mit ihren Kindern in der Nähe von Düsseldorf. Sie gelten als erfolgreichstes Autorenteam auf dem Gebiet der Phantastik.

Von Wolfgang Hohlbein liegen im Heyne Verlag vor: Das Druidentor (01/9536), Das Netz (01/9684), Das Siegel (Öl/10262), Azrael (01/9882), Hagen von Tronje (01/10037), Saint Nick (01/10147), Azraeclass="underline" Die Wiederkehr (01/10558), Im Netz der Spinnen - Videokill (01/10507).

WOLFGANG UND HEIKE HOHLBEIN

MÄRCHENMONDS KINDER

Roman

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

HEYNE ALLGEMEINE REIHE

Nr. 01/10711

Besuchen Sie uns im Internet:

http://www.heyne.de

Umwelthinweis:

Das Buch wurde auf chlor- und säurefreiem Papier gedruckt.

Copyright © 1990 by Verlag Carl Ueberreuter, Wien

Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Printed in Germany 1998

Umschlagillustration: Bernhard Faust/Agentur Holl

Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München

Satz: Pirtkuin Satz- und Datentechnik, Berlin

Druck und Bindung: Ebner Ulm

ISBN 3-453-13573-3

Scanned by Bloodronin

FÜR ALLE, DIE DAS TRÄUMEN

IMMER NOCH NICHT VERLERNT HABEN -

DENN MASCHINEN HABEN KEINE TRÄUME.

I

Nachdem alles im Krankenhaus angefangen hatte, war es eigentlich nur logisch, daß es dort auch weiterging. Nicht, daß an dieser Geschichte irgend etwas logisch gewesen wäre, dachte Kim, nein, ganz sicher nicht.

Indessen betrachtete er mit einer Mischung aus Betroffenheit und Neugier das blitzende Blaulicht des Krankenwagens, das sich in den Scheiben des gegenüberliegenden Hauses spiegelte. Viel lieber hätte sich Kim natürlich den Krankenwagen selbst angesehen; beziehungsweise den Grund, aus dem er keine zehn Meter vor der Einfahrt der Universitätsklinik Düsseldorf stand und auf den Abschleppdienst wartete. Ein Krankenwagen, der selbst einen Verkehrsunfall hatte - das war schon beinahe lächerlich. Tante Birgit war wieder einmal dazu verdonnert worden, Kim Gesellschaft zu leisten und zu warten, bis Mutter und Becky aus der Klinik kamen und sie gemeinsam zurückfahren konnten. Sie hatte Kim versichert, daß bei dem Unfall niemand ernsthaft zu Schaden gekommen war - er brauchte also kein schlechtes Gewissen haben, daß er einfach grinsen mußte bei der Vorstellung eines verunfallten Unfallretters. Kim schob den letzten Kaugummi aus der Packung, die ihm Tante Birgit spendiert hatte, steckte ihn in den Mund und schnippte das dazugehörige Papier zielsicher einen halben Meter neben die Abfalltonne am Straßenrand. Er sah sich verstohlen nach seiner Tante um. Keine Spur von ihr - jedenfalls schien es so. Dann erblickte er ihr kurzgeschnittenes schwarzes Haar in dem dichten Kreis, den die Neugierigen um den zerdepperten Rot-Kreuz-Wagen bildeten und damit sowohl die Polizei als auch die Krankenpfleger nach Kräften bei ihrer Arbeit behinderten. Das war wieder einmal typisch Erwachsene, dachte Kim verärgert: Vorträge halten, daß man so etwas nicht tut und es sich nicht gehöre, neugierig herumzustehen und zu gaffen, wenn ein Unfall passiert war, schließlich (Originalton Tante Birgit) war so etwas keine Volksbelustigung, sondern eine schlimme Sache - und sich dann selbst nicht daran halten.

Kim war ein wenig verärgert. Nicht, daß er etwas gegen seine Tante hatte - ganz im Gegenteil, er mochte Tante Birgit sehr. Aber so nett sie auch war, sie war eben eine Erwachsene, und das, was sie tat, war wieder mal typisch Erwachsene, dachte er noch einmal. Bäh!

Außerdem war Kim ohnehin nicht in besonders guter Laune. Er haßte es, wenn man ihn als kleines Kind behandelte, und daß er jedesmal mitkommen und noch dazu seine Tante als Leibwächter mitschleifen mußte, wenn Becky zur Untersuchung ins Krankenhaus mußte. Was, bitteschön, war das anderes als die Behandlung, die man einem kleinen Kind angedeihen ließ? Kim hatte sich mehrmals bitter darüber beschwert, aber sein Vater war in diesem Punkt unerbittlich. - Und das alles nur, weil Kim ein einziges Mal, als er allein daheim geblieben war, ein paar Freunde zu Besuch gehabt hatte, die in dieser Zeit ein klitzekleines bißchen Unordnung gemacht hatten. Es war einfach nicht gerecht! Was zum Teufel konnte Kim dafür, wenn dieser blöde Fernseher im Wohnzimmer so wackelig auf seinem Tisch stand, daß er bei der kleinsten Berührung - nämlich eines Fußballs - herunterfiel und einen kleinen Riß - nämlich in der Bildröhre - davontrug? Seine Eltern hatten sowieso seit Monaten davon gesprochen, ein neues Gerät zu kaufen - und es dann auch getan. Im elterlichen Wohnzimmer thronte jetzt ein 90-cm-Monstrum von Fernseher, wie es sich sein Vater immer gewünscht, aber gegen den sich Mutter stets mit dem Argument gewehrt hatte, der alte täte es ja noch. Dankbar sollte sein Vater ihm sein, statt ihn zu bestrafen! Es war einfach nicht fair!

Aber wer hatte je davon gehört, daß Erwachsene fair zu Kindern waren?

Kim hatte die Lust am Kaugummi verloren. Er spuckte ihn in großem Bogen aus, und er landete ebenso weit neben der Mülltonne, wie das Papier zuvor, nur auf der anderen Seite. Dann vergrub er die Hände in den Hosentaschen und drehte sich lustlos um, als seine Tante auf der anderen Straßenseite kurz den Kopf wandte, um sich davon zu überzeugen, daß ihr Schützling noch da stand, wo sie ihn zurückgelassen hatte. Er könnte sich ja etwa heimlich dem Ort des Geschehens nähern, um ebenfalls einen neugierigen Blick zu riskieren - und unweigerlich seelisch Schaden zu nehmen, dachte Kim spöttisch. Schließlich war der Anblick einer zerknautschten Stoßstange nun wirklich nichts für schwache Nerven. Bäh!

Kims Fingerspitzen berührten ein paar Münzen in seiner Hosentasche. Er zögerte einen Moment, zog sie heraus und zählte seine Barschaft flüchtig durch - etwas über drei Mark. Eigentlich genug, dachte er, um ins Cafe hinüber zu gehen und sich eine Cola zu genehmigen. Bis seine Mutter und Becky zurück waren, würde sicher noch eine Stunde vergehen, vielleicht auch mehr. Kim fragte sich zum x-ten Male, warum eine Untersuchung, die eigentlich nur zehn Minuten beanspruchte, immer drei oder vier Stunden dauern mußte; und er fand zum x-ten Male keine Antwort darauf. Es schien ein ehernes Gesetz zu sein, daß in Krankenhäusern eben alles lange dauerte, selbst wenn es im Grunde schnell gehen könnte. Er fragte sich übrigens auch zum ebensovielten Male, warum seine Schwester nach all der Zeit immer noch regelmäßig alle sechs Wochen zur Untersuchung mußte, wo doch längst alles wieder mit ihr in Ordnung war.

Vielleicht lag es daran, daß die Ärzte im Grunde immer noch nicht begriffen hatten, was damals eigentlich geschehen war - und wie konnten sie auch? Es gab auf dieser ganzen Welt nur zwei Menschen, die das wußten, und diese beiden würden es niemals jemandem verraten - ganz davon abgesehen, daß es ohnehin keiner glauben würde ... Unwillkürlich kehrten Kims Gedanken zu jenem Tag zurück, an dem vor langer Zeit alles angefangen hatte. Vielleicht lag es an der Umgebung, denn genau in diesem Krankenhaus hatte er Themistokles das erste Mal gesehen. Und dort, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, hatte er Kim durch das Fenster des Cafes, in dem sie danach saßen, noch einmal zugelächelt. Genau da hatte er das erste Mal gespürt, daß die Krankheit seiner Schwester keine Krankheit war, sondern etwas völlig anderes, und daß ...