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Kim schloss die Augen und zählte in Gedanken bis fünf. »Und welcher ist der richtige Weg?«, fragte er, so ruhig er gerade noch konnte.

Turock grinste.

»Kann ich wenigstens einen Schluck Wasser haben?«, fragte Kim.

Turocks Grinsen wurde noch breiter.

»Also gut«, seufzte Kim. »Was muss ich dafür tun?«

Turock sagte es ihm.

Nach drei oder vier Tagen gab er es schließlich auf, jeden Morgen mit dem ersten Sonnenstrahl in den Wald zu gehen und nach zwei, drei oder vier Stunden erschöpft und durstig zurückzukehren. Turock nahm diese Veränderung in seinem Verhalten stillschweigend zur Kenntnis, erwies sich aber in den nächsten Tagen als umso erfindungsreicher, wenn es darum ging, neue Arbeiten für ihn zu finden. Nachdem eine Woche vergangen war, befand sich der Turm in vermutlich besserem Zustand als am Tag seiner Erbauung. Es gab auf der gesamten Lichtung keinen einzigen Halm Unkraut mehr und das kleine Feld war ordentlich gepflügt. Die Scheune und die Pferde blitzten vor Sauberkeit, die Gemüsesaat war ausgebracht und zwei Vogelscheuchen waren aufgestellt worden. Kim hatte den Keller unter dem Turm aufgeräumt und gesäubert und Turocks Geschirr auf Hochglanz poliert. Seine Möbel waren gereinigt und eingewachst und Kim hatte sogar die Kleider des Alten gewaschen und wieder in Ordnung gebracht. Der geschmiedete Ständer neben dem Kamin war bis unter die Decke mit Holz gefüllt. Es gab einfach nichts mehr zu tun!

»Verrätst du mir jetzt, welchen Weg ich nehmen muss, um aus dem Wald herauszukommen?«, bat er.

»Aber du bist noch nicht fertig«, antwortete Turock.

Kim quollen vor Unglauben schier die Augen aus den Höhlen. »Aber ... aber es ist doch gar nichts mehr zu tun«, ächzte er.

»Die Scheune«, antwortete Turock. »Das Dach hat ein Loch.«

»Aber das ist doch nicht meine Schuld!«, protestierte Kim.

»Du hast es hineingemacht«, antwortete Turock. »Also ist es nur recht und billig, dass du es auch wieder reparierst.«

»Aber ich weiß doch noch nicht einmal, wie -«, begann Kim, schüttelte dann den Kopf und fragte in resignierendem Ton: »Wo ist das Werkzeug?«

Turock erklärte es ihm - und auch, dass er keine Bretter hätte, wodurch Kim nichts übrig blieb, als eine Säge zu nehmen und sich an die mühselige Aufgabe zu machen, passende Stücke aus den Baumstämmen hinter Turocks Turm herauszuschneiden.

Er brauchte zwei Tage.

Als sie am späten Nachmittag zusammen in der Scheune Kims Werk begutachteten, sagte Turock: »Das ist gute Arbeit. Ich hätte gar nicht damit gerechnet, dass du das kannst.«

»Ich auch nicht«, gestand Kim. »Verrätst du mir jetzt, wie ich nach Gorywynn komme?«

»Natürlich«, antwortete Turock. »Sobald du deine Schulden abgearbeitet hast.«

»Aber das habe ich doch!«, protestierte Kim. »Ich habe schließlich das Dach repariert!«

»Und zwei Tage dazu gebraucht«, sagte Turock. »Du hast in dieser Zeit gegessen und geschlafen.«

»Und geatmet, nicht zu vergessen«, knurrte Kim.

Turock zuckte mit den Schultern, wandte sich wortlos um und ging. Kim starrte ihm fast hasserfüllt nach. Er war ja ein geduldiger Mensch, aber was zu weit ging, ging zu weit. Er war nun schon seit über einer Woche hier, und wenn es nach diesem gierigen alten Kerl ging, dann würde er wahrscheinlich noch in einem Jahr hier sein und irgendwelche Arbeiten verrichte, die Turock sich ausdachte.

Es wurde Zeit, dass er einmal ein paar ernsthafte Worte mit Turock wechselte.

Der alte Mann war nicht da, als er die Scheune verließ. Kim nahm an, dass er im Turm sei, aber als er das Gebäude betrat und Turocks Namen rief, bekam er keine Antwort.

Kim rief noch zwei- oder dreimal nach seinem Gastgeber und trat dann an die einzige Tür, die es neben dem Eingang noch gab. Er wusste, dass dahinter einen steile Treppe ins obere Stockwerk das Turmes hinaufführte, war aber in der ganzen Zeit, in der er Turocks Gast war, noch niemals dort oben gewesen. Und er zögerte auch jetzt. Er hatte Turock noch nie gefragt, was dort oben lag - schon weil er keine Lust hatte, für die Antwort auf diese Frage eine Stunde arbeiten zu müssen -, aber Turock mochte seine Gründe haben, nicht von sich aus über das zu reden, was sich dort oben befand. Vielleicht war es besser, wenn er nicht dort hinaufging.

Aber er musste mit Turock reden.

Entschlossen stieg er die knarrenden Stufen empor und öffnete die Tür an ihrem oberen Ende. Er war gespannt, welche Überraschung nun wieder auf ihn wartete.

Helles Sonnenlicht kitzelte seine Nase und ließ ihn blinzeln, als er durch die Tür trat. Er befand sich nicht in einer weiteren Kammer, sondern im zerstörten Teil des Turmes. Die Wände waren teilweise ausgebrochen und eine Menge Schutt bedeckte den Boden. Kim musste sehr vorsichtig gehen um an eine der niedergebrochenen Mauern zu gelangen.

Der Anblick ließ ihn ungläubig die Augen aufreißen. Der Turm ragte ein Stück über die Baumwipfel hinaus. Kim konnte die gesamte Lichtung überblicken und natürlich auch den Wald. Er hatte erwartet eine unendliche wogende, grüne Fläche zu sehen - aber der Wald, der die Lichtung umgab, war nicht einmal einen Steinwurf tief! Es war nicht einmal ein richtiger Wald, sondern eigentlich nur ein Ring aus Bäumen, der den Turm umgab.

Das ist unmöglich! dachte Kim. Das war vollkommen ausgeschlossen! Er war doch Stunde um Stunde durch diesen Wald gelaufen!

»Du hättest nicht heraufkommen sollen«, sagte eine Stimme hinter ihm.

Kim drehte sich herum und erkannte Turock, der ihm lautlos gefolgt war. Vielleicht zum ersten Mal, solange er den Alten kannte, betrachtete ihn Turock nicht mit einem Ausdruck von Herablassung und Misstrauen, sondern mit einem Blick, in dem sich beinahe etwas wie Mitleid spiegelte.

»Was bedeutet das?«, fragte Kim. »Warum hast du mir das nicht gesagt?«

»Was? Dass es keinen Weg aus diesem Wald heraus gibt?«

»Dass es kein Wald ist!«, antwortete Kim zornig. »Das ... das ist doch nur eine bessere Baumreihe!«

»Und doch führt kein Weg hinaus«, antwortete Turock. »Du hast es selbst erlebt. Du kannst gehen, so lange und so weit du willst, du wirst niemals irgendwo anders hingelangen als zu dieser Lichtung. Der Schattenwald ist verwunschen. Wer ihn einmal betritt, der kann ihn nie wieder verlassen.«

»Und die Quelle?«

»Der Weg führt zu ihr, wenn du Wasser brauchst«, antwortete Turock. »Sonst nicht.«

»Aber ... aber warum hast du es mir ... nicht gesagt?«, fragte Kim stockend. »Hattest du Angst, dass du meine Arbeitskraft verlierst?« Der letzte Satz tat ihm auf der Stelle wieder Leid, aber Turock schien ihn gar nicht zur Kenntnis zu nehmen.

»Ich wollte dir die Enttäuschung ersparen, Junge«, sagte er. »Ich weiß noch, wie es mir erging, als ich einsehen musste, dass ich an diesem Ort den Rest meines Lebens verbringen würde. Ich wäre vor Schmerz fast gestorben. Das wollte ich dir ersparen.«

»Früher oder später hätte ich es doch sowieso gemerkt«, sagte Kim bitter.

»Ich weiß«, antwortete Turock. »Vielleicht war es ein Fehler. Aber ich bin ein alter Mann. Bitte verzeih mir.«

Das war gar nicht nötig, Kim konnte Turock gar nicht böse sein - nicht, nachdem er sich wieder herumgedreht und einen weiteren Blick auf dieses unmöglich schmale, grüne Band geworfen hatte, das zu einem endlosen Wald auswuchs, sobald man es betrat.

»Wie lange bist du schon hier?«, fragte er, ohne zu Turock zurückzusehen.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Turock. »Sehr lange. Viele, viele Jahre. Ich habe vor langer Zeit aufgehört sie zu zählen.«

»Und du hast nie versucht herauszukommen?«, fragte Kim.

»Unzählige Male«, antwortete Turock. »Es ist unmöglich. Du hast es doch selbst erlebt.«

»Das ist mir egal«, antwortete Kim. »Ich werde mich bestimmt nicht damit abfinden.«