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Es hatte zwar keine Ahnung, wie er hierher kam oder warum, aber er wusste jetzt wenigstens, wo er war.

Kim erlebte die nächste Überraschung, nachdem Turock - wie sich sein Lebensretter vorgestellt hatte - ihn aus der Scheune heraus und zum Haus geführt hatte. Das Haus war nämlich kein Haus, sondern ein aus klotzigen Steinbrocken erbauter Turm, dessen oberes Drittel fehlte. Wo das Dach, die Zinnenkrone oder was immer es auch gewesen sein mochte, sein sollte, ragten nur zerborstene und von Kletterpflanzen und Moos überwucherte Steintrümmer empor. Der Turm erhob sich auf einer großen, allseits von Wald umschlossenen Lichtung, von der zwei schmale Wege ausgingen.

In seinem Inneren war es dunkel und erstaunlich kühl, wenn man die sengende Hitze berücksichtigte, die Kim schon auf den wenigen Schritten draußen gespürt hatte. In dem wuchtigen Kamin, der das Zimmer beherrschte, glommen sogar noch die Reste eines Feuers, das Turock offensichtlich erst vor kurzem angezündet hatte.

Turock bedeutete ihm an dem Tisch Platz zu nehmen und verschwand ohne ein weiteres Wort in einem Nebenzimmer. Kim nutzte die Zeit, bis er zurückkam, um sich in aller Ruhe umzusehen.

Sehr viel gab es allerdings nicht zu entdecken. Wände, Boden und Decke des halbrunden Zimmers waren aus nacktem, unverputztem Stein. Es gab ein Bett, das wenig mehr als ein Brett auf vier Pfosten war, auf dem ein dünner Strohsack lag, einen Tisch, zwei unbequeme Hocker und eine aus groben Brettern gezimmerte Truhe, die vermutlich die wenigen Habseligkeiten des Alten enthielt. Turock war ein armer Kerl und das war noch geschmeichelt. Das einzige, schmale Fenster hoch unter der Decke enthielt kein Glas und ließ nur wenig Licht und so gut wie keine Wärme herein. Im Winter musste es hinter den meterdicken Mauern des Turmes bitterkalt werden.

Turock kam zurück und kredenzte ihm immer noch ohne ein einziges Wort zu sagen einen Becher mit Wasser, einer Schale mit kalter Suppe und ein Stück hartes Brot. Kim verspürte zwar beim Anblick der primitiven Mahlzeit kaum mehr Hunger, aber weil die Mahlzeit, die Turock ihm anbot, so einfach war, vermutete er, dass sie auch alles war, was der alte Mann erübrigen konnte. Es wäre unhöflich gewesen, sie abzulehnen. Es würgte tapfer die halbe Mahlzeit herunter, schob die Schüssel und den Teller mit dem abgeknabberten Brotkanten dann von sich und dachte über eine plausible Ausrede nach, falls Turock darauf bestehen sollte, dass er aufaß. Der Alte sagte jedoch nichts dergleichen, sondern räumte die Reste ebenso wortlos ab, wie er sie aufgetragen hatte, und ließ sich dann auf dem zweiten Stuhl Kim gegenüber am Tisch nieder. »Dir ist auch wirklich nichts passiert?«, fragte er.

»Nein«, antwortete Kim. Er bewegte die Beine unter dem Tisch. Er fühlte etwas wie einen leichten Muskelkater, aber mehr auch nicht. Er hatte wirklich noch einmal Glück gehabt. »Aber ich verstehe immer noch nicht -«

»Das ist gut«, unterbrach ihn Turock. »Dann kannst du ja arbeiten.«

»Arbeiten?«

Turock nickte. »Du hast meine Gastfreundschaft in Anspruch genommen. Du hast mein Essen gegessen und du hast an meinem Herd gesessen.« Er deutete auf das erloschene Kaminfeuer. »Da ist es nur recht und billig, dass du etwas für mich tust.«

Kim widersprach nicht. Die Argumentation seines Gastgebers war ein wenig abenteuerlich, aber er wollte nicht undankbar sein. Außerdem bestand auf diese Weise vielleicht die Möglichkeit, mit Turock ins Gespräch zu kommen, was ziemlich schwierig erschien.

»Was soll ich tun?«, fragte er.

»Ich brauche Feuerholz«, antwortete Turock. »Ich würde es selber machen, aber ich bin alt. Mein Rücken macht mir zu schaffen.«

Kim atmete innerlich auf. Ein paar Holzscheite hereinzuholen war wirklich nicht zu viel verlangt. »Zeig mir, wo es ist«, sagte er.

Turock stand auf und schlurfte zur Tür. Kim folgte ihm nach draußen. Es war kein Feuerholz zu sehen. Vermutlich lag es auf der Rückseite des Turmes, wohin der Alte auch sofort mit hängenden Schultern schlurfte.

Während er Turock folgte, nutzte Kim die Gelegenheit, den Waldrand noch einmal genau in Augenschein zu nehmen. Er wirkte tatsächlich wie eine Mauer. Die Bäume standen so dicht, dass es an manchen Stellen fast unmöglich erschien, sich zwischen ihnen hindurchzuquetschen, und in den schmalen Lücken dazwischen wucherte dichtes, teilweise mit spitzen Dornen besetztes Buschwerk. Kim brauchte nur einen einzigen Blick um zu wissen, dass es vollkommen unmöglich war, diesen Wald zu durchqueren. Er würde einen der beiden Wege nehmen müssen um die Lichtung zu verlassen.

Dann hatten sie die Rückseite des Turmes erreicht. Kim sah immer noch kein Feuerholz. Nur einen Stapel mannslanger Baumstämme. In einem Holzklotz steckte eine Axt, deren Stiel fast länger war als Kim.

»Wo ... ist denn das Brennholz?«, fragte er vorsichtig.

Er war nicht einmal mehr besonders überrascht, als Turock mit dem Kopf auf die Baumstämme deutete. »Es muss noch gehackt werden«, sagte er. »Ich würde es selber tun, wenn mein Rücken noch zehn Jahre jünger wäre, aber ...«

»Schon gut«, seufzte Kim. »Ich verstehe.«

»Und beeil dich besser«, fuhr Turock fort. »Es wird bald dunkel. Bei Nacht kommen die Pack wieder.«

»Was waren das überhaupt für komische Geschöpfe?«, fragte Kim.

Turock drehte sich herum. »Du solltest lieber anfangen«, knurrte er. »Wenn du noch lange trödelst, dann lernst du sie vielleicht besser kennen, als dir lieb ist.« Er schlurfte davon, rief Kim dann aber noch über die Schulter zu: »Wir reden beim Abendessen darüber.«

Kim sah ihm kopfschüttelnd nach, wandte sich dann aber dem Holzklotz zu, spuckte in die Hände und zog mit einiger Mühe das Beil heraus.

Es war viel schwerer, als er erwartet hatte, aber dafür erwiesen sich die Baumstämme auch als sehr viel härter, als sie aussahen. Kim brauchte eine gute halbe Stunde um genug Scheite davon abzuspalten, mit denen er seine Arme füllte. Als er schwer beladen und unter seiner Last stöhnend ins Haus zurückwankte, war er in Schweiß gebadet.

Turock saß am Tisch und verzehrte eine Mahlzeit, deren bloßer Anblick ihm schon das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. Bevor Kim auch nur den Mund aufmachen konnte, deutete er mit einer dreizinkigen Gabel, auf der ein saftiges Stück Braten steckte, auf einen geschmiedeten Ständer neben dem Kamin, der offensichtlich dazu bestimmt war Feuerholz aufzunehmen. Er war nicht nur erstaunlich groß, Kim war auch fast sicher, dass er vorhin noch nicht da gewesen war. Schweigend schlurfte er hin, lud seine Last ab und drehte sich mit einem hörbar erleichterten Seufzer herum.

»Das war's«, sagte er. »Welchen der beiden Wege muss ich nehmen?«

»Wege?«

»Um aus diesem Wald herauszukommen«, erläuterte Kim.

Turock ließ das Fleisch zwischen seinen gelben Zähnen verschwinden und antwortete kauend: »Du kannst nicht gehen. Es ist zu spät.«

Kim sah zum Fenster hoch. Selbst durch die schmale Öffnung konnte er erkennen, dass die Sonne noch ziemlich hoch am Himmel stand. »So spät kommt es mir gar nicht vor«, sagte er. »Der Wald ist groß. Du würdest es nicht vor Einbruch der Dunkelheit schaffen. Und du willst nicht in diesem Wald übernachten, glaub mir.« Er säbelte ein Stück von dem Braten ab und schob es sich in den Mund. »Außerdem ist der Ständer noch nicht voll. Und du willst doch nicht etwa ...«

»... undankbar sein, ich weiß«, seufzte Kim. »Natürlich nicht. Ich hole noch eine Ladung.« Er hatte im Moment ziemlich große Lust undankbar zu sein. Aber vielleicht hatte der alte Mann ja Recht und es wäre wirklich besser, wenn er hier übernachtete statt in diesem unheimlichen Wald.

Er ging wieder hinaus, hieb eine weitere halbe Stunde mit der Axt auf die Baumstämme ein und kehrte mit einer zweiten Ladung zurück. Turock hatte den Braten mittlerweile verdrückt und war dabei, ein gewaltiges Stück Obstkuchen in sich hineinzustopfen. Kim lud seine Last ab, schlurfte zum Tisch und ließ sich schwer auf den freien Schemel fallen.