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Das Etwas befand sich auf ihrer windabgewandten Seite, aber das sollte keine Rolle spielen. Sie hatte sich mit einer magischen Barriere umgeben, so dass die Gerüche, die sie verströmte, nicht nach außen dringen konnten.

Und davon gibt es mehr als genug, dachte sie kläglich. Nach einem Monat des Reisens und ohne Kleider zum Wechseln würde jeder übel riechen. Wie Rozea lachen würde, wenn sie mich jetzt sehen könnte. Die Favoritin ihres Hurenhauses schläft, bedeckt mit Schlamm und Dreck, auf hartem Boden, und ihr einziger Gefährte ist ein verrückter Traumweber.

Sie dachte an Mirar, der einige hundert Schritte hinter ihr am Feuer saß. Wahrscheinlich brabbelte er wieder vor sich hin und stritt mit der anderen Identität in seinem Kopf.

Dann kam die Kreatur in Sicht, und alle Gedanken an Mirar waren vergessen.

Ein Breem!, durchzuckte es sie. Ein wohlschmeckendes, fettes kleines Breem!

Sie sandte einen Strahl Magie aus, der das Tier auf der Stelle tötete. Dann stand sie auf, hob das kleine Geschöpf auf und traf alle Vorbereitungen, um es später garen zu können. Sie häutete es, weidete es aus und suchte sich schließlich einen guten Bratstock. Als alle Vorarbeiten erledigt waren, ging sie mit erwartungsvoll knurrendem Magen zurück zu ihrem Lagerfeuer.

Mirar saß genau so da, wie sie es sich vorgestellt hatte. Er starrte in die Flammen, und seine Lippen bewegten sich. Er bemerkte nicht, dass sie näher gekommen war. Sie wählte ihre Schritte mit großer Vorsicht, weil sie hoffte, ein wenig von seinen Worten hören zu können, bevor er ihrer gewahr wurde und in Schweigen verfiel.

»… wirklich nicht wichtig, ob sie dir vergibt oder nicht. Du darfst sie nicht wiedersehen.«

»Es ist wichtig. Es könnte für unsere Leute wichtig sein.«

»Vielleicht. Aber was willst du sagen? Dass du in jener Nacht nicht du selbst warst?«

»Es ist die Wahrheit.«

»Sie wird dir nicht glauben. Sie wusste, dass ich in dir existierte, aber sie hat nie genug mitbekommen, um zu begreifen, was das bedeutete. Wenn ihr zusammen wart, habe ich mich zurückgehalten. Meinst du, ich hätte das aus reinem Anstand getan?«

Er schwieg eine Weile.

»Sie«, dachte Emerahl. Wer ist »sie«? Eine Frau, der er Unrecht getan hat, wenn dieses Gerede von Vergebung etwas zu bedeuten hat. War diese Frau der Quell all seiner Schwierigkeiten, oder ist sie nur für einen Teil davon verantwortlich? Sie lächelte. Typisch Mirar.

Sie wartete, aber er blieb still. Ihr Magen rumorte. Er blickte auf, und sie trat vor, als sei sie gerade erst gekommen.

»Eine erfolgreiche Jagd«, erklärte sie ihm und hielt das Breem hoch.

»Das ist den Tieren gegenüber wohl kaum gerecht«, sagte er. »Gegen eine große Zauberin antreten zu müssen.«

Sie zuckte die Achseln. »Es wäre nicht gerechter, wenn ich einen Bogen hätte und eine gute Schützin wäre. Was hast du getan?«

»Ich habe darüber nachgedacht, wie schön es wäre, wenn es keine Götter gäbe.« Er stieß einen sehnsüchtigen Seufzer aus. »Welchen Sinn hat es, ein mächtiger, unsterblicher Zauberer zu sein, wenn man nichts Nützliches tun kann, weil man stets befürchten muss, ihre Aufmerksamkeit zu erregen?«

Sie machte sich daran, das Breem über das Feuer zu hängen. »Was würdest du denn gern Nützliches tun, das ihre Aufmerksamkeit erregen würde?«

Er zuckte die Achseln. »Einfach nur… irgendetwas, das nützlich wäre.«

»Nützlich für wen?«

»Für andere Menschen«, erwiderte er mit einem Hauch von Entrüstung. »Dinge wie… wie das Freiräumen einer Straße nach einem Erdrutsch. Dinge wie das Heilen.«

»Du würdest nichts für dich selbst tun?«

Er rümpfte die Nase. »Gelegentlich. Es könnte notwendig werden, mich zu schützen.«

Emerahl lächelte. »Das wäre möglich.« Als sie sich davon überzeugt hatte, dass das Breem in der richtigen Position über den Flammen hing, hockte sie sich auf den Boden. »Es wird immer Götter geben, Mirar. Wir haben es in der letzten Zeit lediglich geschafft, ihnen in die Quere zu kommen.«

Mirar lachte verbittert auf. »Ich bin ihnen in die Quere gekommen. Ich habe sie provoziert. Ich habe versucht, sie daran zu hindern, Menschen zu betrügen und die Macht an sich zu reißen, indem ich die Wahrheit über sie verbreitet habe. Aber du und die anderen…« Er schüttelte den Kopf. »Ihr habt nichts getan. Nichts, außer eure Macht zu genießen. Dafür haben sie uns den Namen ›Wilde‹ gegeben und ihre Lakaien ausgesandt, uns zu töten.«

Sie zuckte die Achseln. »Die Götter haben uns immer im Zaum gehalten. Du kannst nach wie vor andere Menschen heilen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.«

Er hörte nicht zu. »Es ist so, als wäre man in einer Kiste gefangen. Ich möchte hinaus ins Freie und meine Glieder recken!«

»Wenn du das tust, sei so freundlich und tu es weit entfernt von mir. Es gefällt mir immer noch, am Leben zu sein.« Sie blickte auf. »Bist du dir sicher, dass die Siyee unser Feuer nicht sehen werden?«

»Ganz sicher«, erwiderte er. »Es ist gefährlich, in mondlosen Nächten in diesen engen Schluchten der Berge zu fliegen. Sie sehen gut, aber nicht so gut.«

Emerahl drehte das aufgespießte Breem über dem Feuer und sah dann Mirar an. Er lehnte an einem Baumstamm. Das gelbe Licht des Feuers betonte die kantigen Umrisse seines Kinns und ließ seine blauen Augen hellgrün schimmern.

Als er sich zu ihr umwandte und ihren Blick erwiderte, durchzuckte sie eine erregende Mischung aus Schmerz und Glück. Sie hatte geglaubt, dass sie ihn nie wiedersehen würde, und jetzt saß er dort, lebendig und…

… nicht ganz er selbst. Sie wandte den Blick ab und dachte an die Gelegenheiten, bei denen sie versucht hatte, ihm Fragen zu stellen. Er konnte ihr nicht erzählen, wie es kam, dass er noch lebte. Er hatte keine Erinnerung an das Ereignis, das ihn hätte töten sollen, obwohl er davon gehört hatte. Dies machte seine Behauptungen, er trage noch eine zweite Persönlichkeit in sich – Leiard -, glaubwürdiger. Leiard vermutete, dass er eine Annäherung an Mirars Persönlichkeit in seinem Geist trug, gebildet aus der großen Anzahl von Netzerinnerungen an den toten Anführer der Traumweber.

Aber dies ist Mirars Körper, dachte sie. Oh, er ist viel dünner als früher, und sein weißes Haar lässt ihn erheblich älter aussehen, aber seine Augen sind dieselben.

Mirar glaubte, dass sein Körper sein eigener war, konnte aber nicht erklären, warum es sich so verhielt. Leiard dagegen hielt es für einen bloßen Zufall, dass er Mirar ähnelte. Wenn Leiard die Kontrolle hatte, bewegte er sich vollkommen anders als Mirar, und Emerahl fragte sich, wie es ihr überhaupt gelungen war, ihn wiederzuerkennen. Erst wenn Mirar die Kontrolle übernahm, war sie wirklich davon überzeugt, dass es sein Körper war.

Also hatte sie Leiard nach den Netzerinnerungen gefragt. Wenn das, was er sagte, die Wahrheit war, wie hatte sich das Ganze dann entwickelt? Wie war er zu einer so großen Anzahl von Mirars Netzerinnerungen gekommen? War es möglich, dass Leiard oder jemand, mit dem Leiard sich vernetzt hatte, Mirars Netzerinnerungen von vielen, vielen Traumwebern gesammelt hatte?

Leiard konnte nicht mehr sagen, von wem er die Erinnerungen hatte. Tatsächlich erwies sich sein Gedächtnis als ebenso unzuverlässig wie das von Mirar. Es war, als hätten die beiden jeweils eine halbe Vergangenheit, obwohl keine der beiden Hälften die Lücken in der jeweils anderen zu füllen vermochte.

Sie hatte sowohl Leiard als auch Mirar nach dem Turmtraum gefragt, der sie seit Monaten verfolgte und der ihr, wie sie vermutete, Mirars Tod zeigte. Keiner der beiden Männer hatte den Traum erkannt, obwohl es Emerahl schien, als verursache er Mirar Unbehagen.