Mir stockte der Atem. »Sie haben es abgeschossen?«, flüsterte ich ungläubig.
»Es ist in den Hügeln heruntergekommen. Es gab einen hellen Blitz, aber die direkte Sicht war uns versperrt.« Seine Stimme war jetzt ohne Betonung. Marcel hatte ein paar Illusionen verloren in dieser Nacht, soviel war offensichtlich, und vielleicht sogar die eine oder andere aufrichtige Hoffnung. »In den nächsten Tagen waren wir wieder in Navy-Diensten, nur dass wir diesmal aufräumten und Spuren verwischten. Da habe ich auch das Wrack gesehen oder besser gesagt das, was davon noch herumlag, nachdem die Navy ihr Team wieder abgezogen hatte.«
»So hat es also angefangen«, stellte ich beklommen fest.
»Wir haben es abgeschossen, Sohn«, sagte Marcel. »Sie kamen in Frieden, um zu reden, und wir haben das Feuer eröffnet. Bach und seine Leute haben keine Schiffbrüchigen aufgesammelt, sondern Kriegsgefangene. Oder Tote. Ich habe nie herausbekommen können, ob noch einer der anderen... der Grauen am Leben war.«
»Nun«, sagte ich, »einer ist definitiv tot. Ich habe ihn in einer Kühlkammer bei Majestic gesehen.«
Bevor Marcel etwas sagen konnte, klingelte das Telefon. Marcel runzelte überrascht die Stirn. Ich war mit einem einzigen Schritt beim Telefon und hob ab, bevor er Einwände erheben konnte. »Ja?«
»Ich habe einen von Bachs Männern gesehen«, sagte Kim übergangslos.
»Wann sind sie angekommen?«
»Keine Ahnung«, sagte sie drängend. »John, er kam aus dem Hotel, um zu rauchen. Sie müssen durch einen anderen Eingang rein sein. Ich weiß nicht, wie lange sie schon hier sind.«
»Wer war es?«
»Ich weiß nicht, wie er heißt. Kurze, helle Haare. Verschwindet, so schnell ihr könnt.« Sie hängte einfach ein.
Ich wandte mich wieder zu Marcel um. Auch er war mittlerweile aufgestanden und ich bemerkte ohne besondere Überraschung, dass er wieder so angespannt und sprungbereit war wie vorhin, als er mir die Tür aufgemacht hatte. »Was ist passiert?«, fragte er.
»Anscheinend ist mir doch jemand gefolgt«, antwortete ich. »Wir bekommen gleich Besuch.«
Marcel nahm seine Pistole vom Tisch, schob sie unter den Gürtel und schlüpfte in der gleichen Bewegung in sein Jackett. »Wir reden später weiter«, sagte er. »Raus jetzt. Schnell.« Er ging zur Tür, öffnete sie ohne das mindeste Zögern und winkte mir, ihm zu folgen.
»Wir nehmen die Treppe«, sagte er. Es war kein Vorschlag. Aus dem Bibelverkäufer war endgültig ein Soldat geworden, der ohne das leiseste Zögern das Kommando übernommen hatte, und ich gehorchte ihm ebenso automatisch. Gleichzeitig warf ich einen nervösen Blick zum Lift. Der grüne Leuchtpfeil über der Tür war noch dunkel, aber das würde bestimmt nicht mehr lange so bleiben. Seit Kims Anruf war eine knappe halbe Minute vergangen. Zeit genug für Bach und seine Begleiter, den Lift zu erreichen. Und wahrscheinlich auch das Treppenhaus.
Marcel blieb nach einem Schritt wieder stehen. »Mein Ticket.«
»Wie?«
»Ich habe mein Flugticket im Zimmer liegen gelassen«, antwortete er. »Wenn Bach es findet, weiß er Bescheid. Mein Name steht darauf.«
»Wenn er Sie dort drinnen erwischt, weiß er auch Bescheid«, sagte ich, aber Marcel wischte meinen Einwand mit einer Handbewegung zur Seite.
»Er wird mich nicht erwischen«, behauptete er. »Jetzt verschwinden Sie endlich. Wir bleiben über Kennedy in Kontakt.«
Offensichtlich zögerte ich immer noch zu lange, seiner Anweisung nachzukommen, denn Marcel ergriff mich kurzerhand bei den Schultern, drehte mich herum und versetzte mir einen Stoß, der mich auf die Tür zum Treppenhaus zustolpern ließ. Als ich sie öffnete, erscholl hinter mir ein heller Glockenton, der die Ankunft des Liftes verkündete. Ich widerstand der Versuchung, mich noch einmal herumzudrehen, zog die Tür stattdessen lautlos hinter mir zu, lief die Treppe hinunter und blieb auf dem nächsten Absatz wieder stehen.
Unter mir hörte ich Schritte die Treppe heraufkommen.
Für einen Moment drohte ich in Panik zu geraten. Ich saß in der Falle. Ich konnte weder zurück, noch die Treppe weiter hinuntergehen, und ich hatte eine Fifty-fifty-Chance, dass es Steel war, der mir da entgegenkam; im Klartext: eine immerhin fünfzigprozentige Chance, mir eine Kugel einzufangen. Mein erster Impuls war, die Treppe wieder hinaufzustürmen, aber dann öffnete ich die Tür neben mir so leise wie möglich, schlüpfte hindurch und lehnte mich mit klopfendem Herzen dagegen. Mein Puls raste. Ich presste die Hände mit aller Kraft gegen die Tür, um ihr Zittern zu unterdrücken, und für ein paar Sekunden war ich einfach nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich war in Panik, ob ich es nun zugeben wollte oder nicht, und der Grund dafür war nicht einmal die unmittelbare Gefahr, in der ich mich zweifellos befand. Es war die vollkommene Ausweglosigkeit der Situation, in die Bach und seine perfide Organisation Kim und mich hineingezwungen hatten.
Doch mein Zorn auf Bach würde mich nicht hier herausbringen. Der Aufzug musste die vierte Etage mittlerweile fast erreicht haben und wer immer hinter mir die Treppe herauf kam, konnte auch nicht mehr allzu weit entfernt sein. Ich hatte weiß Gott dringendere Probleme, als mit dem Schicksal zu hadern.
Ich verschwendete noch eine weitere Sekunde, in der ich vergeblich nach irgendeiner Möglichkeit suchte, die Tür hinter mir abzuschließen, dann gab ich es endgültig auf und lief mit raschen Schritten den Flur hinunter. Es gab nur ein einziges Fenster, das sich noch dazu am anderen Ende des langen Ganges befand, aber ich widerstand der Versuchung zu rennen. Sollte irgendeiner der anderen Gäste zufällig aus seinem Zimmer kommen, würde er sich vielleicht an mich erinnern, wenn ich an ihm vorbeiging und man ihn später danach fragte; aber ganz bestimmt, wenn ich an ihm vorbeirannte.
Es trat niemand aus seinem Zimmer und auch die Aufzugtüren bewegten sich nicht, bis ich das Fenster erreichte. Und ich hatte abermals Glück: Offenbar nahm man es in Fort Worth mit den Bauvorschriften genauer als in den meisten anderen amerikanischen Städten, denn das Fenster führte direkt auf eine Feuertreppe hinaus. Rasch öffnete ich es, kletterte ins Freie und zog das Fenster sorgfältig hinter mir wieder zu, ehe ich den Abstieg begann. Drei Minuten später trat ich auf den Bürgersteig vor dem TEXAS hinaus, überquerte mit schnellen, aber nicht hastigen Schritten die Straße und betrat das Café. Kim saß am gleichen Tisch wie vorhin, trank einen Kaffee und sah so perfekt gelangweilt aus, dass ich mich für einen Moment lang ernsthaft fragte, ob ich mir ihren Anruf vielleicht nur eingebildet hatte.
Sie war nicht mehr allein. An dem zweiten Tisch am Fenster, der vorhin noch leer gewesen war, saß jetzt ein junges Paar, das sich angeregt unterhielt. Die beiden beachteten weder Kim noch mich, sondern schienen ganz mit sich selbst beschäftigt zu sein. Sie wirkten vollkommen harmlos.
Ungefähr so unverdächtig wie Kimberley.
Ich setzte mich zu ihr, gab dem Kellner mit einem Wink zu verstehen, dass er mir noch einen Kaffee bringen sollte, und sah aus dem Fenster. Vor dem Hotel blieb alles ruhig. Wahrscheinlich waren Bach und seine Leute noch damit beschäftigt, nach Marcel und mir zu suchen.
»Nun, Liebling«, fragte Kimberley, eine Spur lauter, als vielleicht notwendig war, »wie ist es gelaufen?«
»Gut«, antwortete ich. »Ich glaube, dieser Marcel ist genau der Mann, den wir brauchen. Wir werden wohl ins Geschäft kommen. Aber die Konkurrenz ist auch hinter ihm her.« Ich sah an Kimberley vorbei zum Nachbartisch. Die beiden dort drüben nahmen noch immer keinerlei Notiz von uns. Wenn sie Schauspieler waren, dann die besten, die ich jemals gesehen hatte. Aller Wahrscheinlichkeit nach waren sie harmlos.
Trotzdem senkte ich meine Stimme fast zu einem Flüstern, als ich weitersprach. »Wie viele sind es?«