Am 9. Oktober 1947, kurz vor der Flucht Celans aus Rumänien, schreibt A. Margul-Sperber einen Empfehlungsbrief an den Wiener Lyriker und Herausgeber der Zeitschrift „Plan" Otto Basil, um seinem jungen Freund den Zugang zu Publikationsmöglichkeiten im Westen zu erleichtern. Dieser seitdem oft zitierte Brief soll hier wenigstens fragmentarisch angeführt werden, denn er bezeugt nicht nur Sperbers äußerst kluge protegierende Strategie, sondern auch seine geradezu hellseherische Gabe, echte dichterische Talente sofort zu erkennen: „Lieber Herr Otto Basil, — heißt es dort, — ich sende Ihnen beigeschlossen ein Gedichtmanuskript „Der Sand aus den Urnen“ von Paul Celan. Ohne Ihrem gewiss zuständigeren Urteil vorauszugreifen, möchte ich Ihnen doch gerne sagen, dass Paul Celan cfer Dichter unserer west-östlichen Landschaft ist, den ich ein halbes Menschenalter von ihr erwartet habe und der diese Gläubigkeit reichlich lohnt. […] Sein Werk scheint mir unter allen Äußerungen der jüngsten deutschen Dichtergeneration die eigenartigste und unverwechselbarste; es gibt sich dem Leser allerdings nicht leicht und fordert liebende Aufgeschlossenheit, Bereitschaft und Hingabe. Nicht nur, dass die Begebenheiten seiner Dichtung in einem mythischen Raum spielen — das Licht, das darin waltet, entstammt geradezu einem anderen Spektrum —: auch die poetische Wirklichkeit ist transfiguriert, es ist sozusagen der Astralleib dieser Wirklichkeit, was uns begegnet. Das Emotionelle, Sonore, Visionäre, alles hat versetzte Vorzeichen, die Assoziation ist die Assoziation des Traums, die — auch sprachliches — Neuland abtastet. Ich — für mein bescheidenes Teil — glaube, dass „Der Sand aus den Urnen” das wichtigste deutsche Gedichtbuch dieser letzten Dezennien ist, das einzige „lyrische” Pendant des Kafkaschen Werkes”[2]
Diese Sperbersche Charakteristik der frühen lyrischen Produktion Celans hat sich in der Folge durchaus bewahrheitet. Die durch seinen Gönner 1948 inspirierten Veröffentlichungen in der Zürcher Zeitung „Die Tat“ (7. Februar 1948) und in der Wiener Zeitschrift „Plan“ (2. Folge 1948, Nr. 6) bildeten eine gute Grundlage für Celans ernste Überlegungen über die Möglichkeiten einer selbständigen Buchedition. Zuerst verband er seine Hoffnungen mit dem Wiener Erwin Müller Verlag, der die auf moderne Literatur orientierte Reihe „Stimmen aus Österreich“ führte und ihm als geeigneter Ort für seine Absicht erschien. Der Band sollte eine Auswahl von etwa 40 Gedichten in einem einzigen Zyklus umfassen. Doch im April 1948 ging der Verlag in Konkurs und die vom Autor für den Druck angezahlten zweitausend Schilling, die ihm Freunde zur Verfügung stellten, wurden zur Deckung von Verlagsschulden verwendet, was ein spürbarer Schlag für den mittellosen politischen Flüchtling war.
Der zweite Anlauf Celans bei seinen editorischen Bemühungen in der österreichischen Hauptstadt war erfolgreicher — er gipfelte in der Herausgabe des Gedichtbandes „Der Sand aus den Urnen“. Doch das war nur ein Scheinerfolg, denn diese Geschichte endete schließlich ganz traurig. Das Buch erschien im September 1948, dank der Vermittlung des surrealistischen Malerfreundes Edgar Jene, im kleinen Wiener Verlag A. Sexl, hatte die Auflage von 500 Exemplaren und enthielt 48 Gedichte, welche in drei Zyklen eingeteilt wurden: „An den Toren“ (17 Gedichte), „Mohn und Gedächtnis“ (30 Gedichte) und „Todesfuge“ (als eigenständiger Zyklus). Zu diesem Zeitpunkt war Celan allerdings schon in Paris. Seine Wiener Freunde aus dem Kreise von Jene, welche die Aufsicht über Druck und Herstellung des Buches übernahmen, kümmerten sich in Wirklichkeit kaum darum. Als Celan das Buch endlich zugeschickt bekam, war er über seine polygraphische Qualität entsetzt: es war mit einem farblosen, durchaus ordinären Einband sowie mit zwei geschmacklosen Illustrationen Jenes ausgestattet und wimmelte (was viel schlimmer war) von zahlreichen sinnentstellenden Druckfehlern, so dass der Autor nach einigen Überlegungen schweren Herzens veranlassen musste, das Buch aus dem Verkehr zu ziehen und einzustampfen (lediglich 9 Exemplare sollten laut der Abrechnung der Verlagsbuchhandlung verkauft werden). Damit scheiterten Celans Bemühungen, seinen ersten Gedichtband in Österreich herauszubringen.
Aber auch in Paris gab Celan die Hoffnung nicht auf, seinen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Jene Zwischenstationen, die durch gescheiterte Buchprojekte entstanden, benutzte er zur ständigen Umstrukturierung seiner Typoskripte, indem er die Zahl und Anordnung der Gedichte änderte und ihnen neu geschriebene Texte beifügte. Das war ein natürlicher Prozess der Suche nach einer sinngemäßen und adäquaten Form, der im Endergebnis die Einheitlichkeit, den inneren Zusammenhang und den künstlerischen Wert seines Gedichtbandes erhöhte. Nach der negativen Erfahrung mit österreichischen Verlagen setzte er jetzt auf Deutschland, wo einige seiner ersten Versuche ebenfalls schief gingen. So erhoffte er sich im Jahre 1949 seinen umgewandelten Gedichtband zuerst im Düsseldorfer Karl Rauch Verlag zu publizieren, wo schon vorher seine Übersetzung von Jean Cocteaus „Der goldene Vorhang. Brief eines Amerikaner“ erschienen war, erhielt dort aber eine Absage. Eine Zeit lang erwog er auch den Gedanken, den Suhrkamp Verlag dafür zu gewinnen, aber auch dieses Vorhaben missglückte. Solch erfolgloses Abklopfen mehrerer Türe sollte Celan sehr deprimiert haben. In einem Brief an seine niederländische Freundin Diet Kloos-Barendregt vom 6. September 1949 versucht er seinen damaligen psychologischen Zustand wie folgt zu beschreiben: „Was ich brauche, was ich so dringend brauche, eben deshalb, weil ich so oft von mir weg muss, auf Reisen gehen muss — und wie unbequem ist dieses Reisen: ich selber bin dabei reglos, wechsle nicht den Ort, die Welt aber saust unter meinen Füssen vorbei! — was ich also brauche, ist das Gefühl, dass es bei all diesem Hin und Her einen Ausgangspunkt gibt, der, wenn er auch nie wieder erreicht werden kann, dennoch bestehen bleibt — ein solcher Ausgangspunkt wären meine Gedichte, wenn ich sie in Sicherheit wüsste, sauber abgedruckt und gebunden“[3]. Dieser Seelenschrei des einsamen jungen Dichters in der fremden Stadt beweist sehr gut, welche Bedeutung er schon damals seinen Gedichten beigemessen hat — für ihn waren sie das wertvollste Kleinod und der einzige Sinn seines Lebens.
Erst nach der Tagung der Gruppe 47 in Niendorf, die im Frühjahr 1952 stattfand und zu der Celan dank den Bemühungen seiner Freunde, vor allem Milo Dors und Ingeborg Bachmanns, eingeladen war, öffnete sich für ihn eine reale Perspektive, seine Gedichte endlich in einem deutschen Verlag veröffentlicht zu sehen. Obwohl seine Lesung bei dieser Tagung kaum geglückt zu nennen ist (Celans ästhetische Vorstellungen stimmten mit der auf realistische, sachliche Pragmatik orientierte Gruppe nicht überein, daher schien den meisten Teilnehmern sein Lesen — insbesondere der „Todesfuge“ — zu pathetisch), konnte er dort jedoch einige verständnisvolle Zuhörer und einen Verleger finden, den seine Gedichte tief beeindruckt hatten. Das war Willy A. Koch, der Cheflektor der Deutschen Verlags-Anstalt Stuttgart. Nach seiner Rückkehr aus Deutschland erhielt Celan am 25. Juni 1952 von ihm einen Brief mit der Bitte, möglichst bald eine Auswahl seiner Gedichte an den Verlag zu schicken, und bereits am 30. Juni konnte Koch den Eingang des Manuskripts für den Cedichtband „Mohn und Gedächtnis“ bestätigen. Nach weiteren zwei Wochen hatte die Verlagskonferenz auf Initiative Kochs beschlossen, „das Manuskript eines außerordentlichen Lyrikers, der in Deutschland so gut wie unbekannt ist, als Weihnachtsgabe zu drucken mit der Motivierung, dass es sich um die Entdeckung eines Dichters von hohem Rang handelt“[4]. Man kann sich leicht die Reaktion Celans auf diesen Beschluss des Verlags vorstellen. In seinem Brief vom 21. August, den er an den damaligen Verlagsleiter Helmut Dingelday adressiert, schrieb Celan: „Für mich bedeutete dieser Brief die Nachricht — ich weiß ihr kaum eine andere aus den letzten Jahren zur Seite zu stellen —, brachten diese Zeilen die Befreiung von tausend Ungewissheiten und Undeutlichkeiten und damit die Zuversicht, von der beinahe alles Weitere abhängt“[5]. Am 17. Dezember 1952 liegen die ersten Exemplare des Bandes ausgedruckt vor, die dann als Weihnachtsgeschenk an die Freunde des Verlags gehen, und seit Januar 1953 kann man das Buch in den Buchhandlungen erwerben.
2
Profile. Magazin des Österreichischen Literaturarchivs. Hrsg. von Volker Kaukoreit und Wendelin Schmidt-Dengler. — 2/1998, S. 56 [Otto Basil und die Literatur um 1945].
3
Paul Celan. „Du mußt versuchen, auch den Schweigenden zu hören“. Briefe an Diet Kloos-Barendregt. Handschrift — Edition — Kommentar. Hrsg. von Paul Sars. — Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 2002, S. 71–72.
4
Markus May, Peter Goßens, Jürgen Lehman (Hrsg.) Celan-Handbuch. Leben — Werk — Wirkung. — Stuttgart; Weimar: Verlag J. B. Metzler 2008, S. 56.