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Er fühlte sich total allein. Die fünf menschlichen Gestalten neben ihm konnten eigentlich keine Menschen sein; sie sahen wie seltsame fremde Totems aus. Dann erkannte er, daß sie Fremde waren, genauso wie er selbst. Hier auf dem Mars sind wir alle fremde Eindringlinge, sagte sich Jamie.

Er überlegte, ob Marsianer zwischen den Felsen versteckt lagen, unsichtbar für ihre Augen, und sie beobachteten, wie rote Männer die ersten Weißen beobachtet hatten, als diese vor Jahrhunderten in ihrem Reich an Land gegangen waren. Er fragte sich, was sie gegen diese Invasion aus dem All unternehmen würden, und was die Invasoren tun würden, falls sie einheimische Lebensformen fänden.

Im Helmkopfhörer hörte Jamie, wie der russische Teamleiter sich mit dem Kommandanten der Expedition oben in dem kreisenden Raumschiff unterhielt. Seine tiefe Stimme hatte noch nie so erregt geklungen. Connors überprüfte die vorn auf dem nunmehr reglosen Bauroboter montierte Fernsehkamera.

Schließlich wandte sich Wosnesenski an seine fünf Schutzbefohlenen, die in einem Halbkreis um ihn Aufstellung nahmen. »Es ist alles bereit. Unsere nächsten Worte werden von sämtlichen Menschen auf der Erde gehört werden.«

Wie abgesprochen, standen sie mit dem Rücken zum Landefahrzeug, während sich die Kamera des Roboters auf sie richtete. Später würden sie die Kamera schwenken und die soeben errichtete Kuppel sowie die trostlose Marsebene zeigen, auf die sie den Fuß gesetzt hatten.

Wosnesenski hob eine behandschuhte Hand, fast wie ein Operndirigent, trat befangen einen halben Schritt vor und verkündete: »Im Namen von Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski, Sergei Pawlowitsch Koroljow, Juri Alexejewitsch Gagarin und aller anderen Pioniere und Helden der Raumfahrt kommen wir in Frieden und zum Nutzen aller Völker der Menschheit zum Mars.«

Er sagte es zunächst auf Russisch und dann auf Englisch. Erst danach wurden die anderen gebeten, ihre kleinen, vorher niedergeschriebenen Ansprachen zu halten.

Pete Connors deklamierte mit dem leichten texanischen Akzent, den er sich während seiner Jahre in Houston erworben hatte: »Das ist der größte Tag in der Geschichte der menschlichen Forschung, ein stolzer Tag für alle Menschen in den Vereinigten Staaten, dem russischen Staatenbund und der ganzen Welt.«

Joanna Brumado sprach in brasilianischem Portugiesisch und danach auf englisch. »Mögen alle Völker der Erde durch das, was wir hier auf dem Mars lernen, klüger und weiser werden.«

Ilona Malater, auf Hebräisch und dann auf Englisch: »Wir kommen zum Mars, und den menschlichen Geist zu erweitern und zu preisen.«

Antony Reed, in seinem besten ruhigen, fast gelangweilten Oxford-Englisch: »An Seine Majestät, den König, an die Menschen des Vereinigten Königreichs und des britischen Commonwealth, an die Menschen der Europäischen Gemeinschaft und der ganzen Welt, der heutige Tag ist euer Triumph. Wir fühlen zutiefst, daß wir nur eure Stellvertreter auf dieser fernen Welt sind.«

Schließlich war Jamie an der Reihe. Er war auf einmal müde, der Posen und schwülstigen Phrasen überdrüssig, erschöpft von den Jahren der Anstrengung und der Opfer. Die Erregung, die er gerade eben noch gespürt hatte, war verflogen, verdunstet. Da waren sie nun hundert Millionen Kilometer von der Erde entfernt und trieben immer noch die alten Spielchen um Nationen und Bündnisse. Er fühlte sich, als hätte ihm jemand eine ungeheure Last auf die Schultern gelegt.

Die anderen drehten sich alle zu ihm um, fünf gesichtslose Gestalten in Raumanzügen mit golden getönten Visieren. Jamie sah seinen eigenen gesichtslosen Helm, fünffach gespiegelt. Die Zeilen, die vor hundert Millionen Kilometern für ihn aufgeschrieben worden waren, hatte er bereits vergessen.

Er sagte einfach nur: »Ya’aa’tey.«

ERDE

RIO DE JANEIRO: Es war ein noch größeres Fest als der Karneval. Trotz der sengenden Nachmittagssonne standen die Menschen in der Innenstadt dicht an dicht, vom Teatro Municipal bis hin zu den Mosaikbürgersteigen der Avenida Rio Branco, vorbei am Praha Pio X und der prächtigen alten Candelaria-Kirche, bis hinaus auf die Avenida Presidente Vargas. Kein Wagen kam durch, nicht einmal ein Fahrrad. Die Straßen waren buchstäblich ausgelegt mit Cariocas, die Samba tanzten, schwitzten, lachten, in der Hitze taumelten und die größte spontane Freudenkundgebung zelebrierten, die die Stadt je erlebt hatte.

Sie drängten sich auf den von Bäumen beschatteten Platz, auf dem riesige Fernsehschirme vor Wohnhochhäusern mit Glasfassaden aufgestellt worden waren. Sie standen auf den Bänken des Platzes und kletterten auf die Bäume, um einen besseren Blick auf die Bildschirme zu haben. Sie jubelten und schrien und brüllten, während sie zusahen, wie die Forscher in ihren Raumanzügen einer nach dem anderen die Leiter hinunterstiegen und auf diesen öden, steinigen Wüstenboden unter dem seltsamen rosafarbenen Himmel traten.

Als Joanna Brumado ihre kurzen Worte sprach, wurde der Jubel so laut, daß die kleinen Ansprachen derjenigen, die nach ihr an die Reihe kamen, darin untergingen.

Dann begannen die Sprechchöre: »Brumado — Brumado — Brumado! Brumado! Brumado!«

In der Wohnung, die man ihm für diesen Anlaß überlassen hatte, lächelte Alberto Brumado seine Freunde und Kollegen kläglich an. Mit einer Mischung aus väterlichem Stolz und Nervosität, die ihm Tränen in die Augenwinkel trieb, hatte er zugesehen, wie seine Tochter den Boden des Mars betreten hatte.

»Sie müssen hinausgehen, Alberto«, sagte der Bürgermeister von Rio. »Vorher werden sie bestimmt nicht aufhören.«

Man hatte große Fernsehgeräte in die vier Ecken des geräumigen, hohen Wohnzimmers gerollt. Nur ein Dutzend Personen waren eingeladen worden, diesen Augenblick des Triumphs mit ihrem berühmten Landsmann zu teilen, aber mehr als vierzig weitere hatten sich in den Raum gedrängt. Viele der Männer trugen Abendkleidung; die Frauen trugen ihre besten Kleider und ihren schönsten Schmuck. Später würde man Brumado und das ausgewählte Dutzend per Hubschrauber zum Flughafen und von dort nach Brasilia bringen, wo sie vom Präsidenten der Republik empfangen werden würden.

Draußen donnerten die Menschen von Rio: »Bru-ma-rfo! Brumado!«

Alberto Brumado war ein kleiner, schmächtiger Mann von weit über sechzig Jahren. Sein rundes Gesicht wurde von einem sauber gestutzten grauen Bart und kurzem grauem Haar umrahmt, das immer zerzaust aussah, als hätte er gerade irgendwelche anstrengenden Aktivitäten hinter sich. Es war ein freundliches, lächelndes Gesicht, auf dem nun ein Ausdruck der Verblüffung über das plötzliche, beharrliche Drängen der Menge draußen lag. Brumado war mehr an die Ruhe und Stille der Seminarräume an der Universität oder die gedämpfte Betriebsamkeit der Büros der Großen und Mächtigen gewöhnt.

Wenn die Regierungen der Industrienationen das lenkende Gehirn des Marsprojekts waren und die multinationalen Konzerne seine Muskeln, dann war Alberto Brumado das Herz der Mission. Nein, mehr noch: Brumado war ihre Seele.

Über dreißig Jahre lang war er in der Welt herumgereist und hatte den Mächtigen in den Ohren gelegen, sie sollten eine bemannte Forschungsmission zum Mars schicken. In all diesen Jahren war er zumeist auf kalte Gleichgültigkeit oder unverhüllte Feindseligkeit gestoßen. Man hatte ihm erklärt, eine Expedition zum Mars sei zu teuer, es gebe nichts, was Menschen auf dem Mars tun könnten, was nicht auch von automatischen Robotermaschinen erledigt werden könne, und der Mars könne noch ein Jahrzehnt, eine Generation oder ein Jahrhundert warten. Auf der Erde gebe es genug Probleme, die einer Lösung bedürften, sagten sie. Menschen verhungerten. Krankheit, Unwissenheit und Armut hielten mehr als die Hälfte der Welt in ihrem erbarmungslosen, eisernen Griff.

Alberto Brumado gab nicht nach. Selbst ein Kind der Armut und des Hungers, geboren in einer Hütte aus Pappkartons auf einem schlammigen, vom Regen gepeitschten Hügel mit einem guten Blick auf die noblen residencias von Rio de Janeiro, hatte Alberto Brumado verbissen die staatliche Schule und das College absolviert und eine brillante Karriere als Astronom und Lehrer gemacht. Der Kampf war ihm nicht fremd.