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»Wir sind gleich fertig, Mikhail Andrejewitsch. Bitte haben Sie Geduld mit uns. Wir sind alle ein bißchen nervös, wissen Sie.«

Erst in diesem Moment kam Jamie die ungeheure Tragweite der ganzen Situation zu Bewußtsein. Sie waren im Begriff, dieses metallene Behältnis zu verlassen und ihre gestiefelten Füße auf den roten Boden des Mars zu setzen. Sie waren im Begriff, einen Traum wahrzumachen, der die Menschheit seit Anbeginn ihrer Existenz heimgesucht hatte.

Und ich bin daran beteiligt, sagte sich Jamie. Mag sein, daß es Zufall ist, aber ich bin trotzdem hier. Auf dem Mars!

»Willst du meine ehrliche Meinung hören? Es ist verrückt.«

Jamie und sein Großvater Al wanderten auf dem Kamm des bewaldeten Höhenzugs entlang, von dem aus man auf die frisch getünchte Missionskirche und die zusammengewürfelten Adobe-Häuser des Pueblos hinabschauen konnte. Der erste Schnee hatte die Berge bestäubt, und die weißen Touristen würden bald zur Skisaison eintrudeln. Al trug seinen unförmigen alten Schaffellmantel und den Hut mit der herabhängenden Krempe und dem Silbermünzenband. Jamie war es in der Morgensonne so warm, daß er bereits den Reißverschluß seiner dunkelblauen NASA-Windjacke aufgemacht hatte.

Al Waterman sah wie ein alter Totempfahl aus, groß und knochendürr. Sein kantiges Gesicht hatte die blaßbraune Farbe verwitterten Holzes. Jamie war kleiner und stämmiger, hatte ein breiteres Gesicht und eine Haut von fast kupferfarbenem Braun. Die beiden Männer hatten nur eins gemeinsam: Augen, die so schwarz und tief waren wie flüssige Tinte.

»Warum ist es verrückt?« fragte Jamie.

Al stieß eine Atemwolke aus, drehte sich um und sah seinen mit dem Rücken zur Sonne stehenden Enkel mit zusammengekniffenen Augen an.

»Die Russen schmeißen den Laden, stimmt’s?«

»Es ist eine internationale Mission, Al. Die Vereinigten Staaten sind dabei, die Russen, die Japaner und viele andere Länder.«

»Ja, aber die Russen haben weitgehend das Sagen. Sie versuchen schon seit zwanzig Jahren oder noch länger, zum Mars zu kommen.«

»Aber sie brauchen unsere Hilfe.«

»Und die der Japaner.«

Jamie nickte. »Aber ich verstehe nicht, was das damit zu tun hat.«

»Na ja, die Sache ist die, mein Sohn. Hier in den guten alten Staaten kannst du in die erste Mannschaft kommen, weil du Indianer bist – jetzt werd nicht sauer, Sonny. Ich weiß, du bist ein schlauer Geologe und so weiter. Aber daß du ein roter Mann bist, hat dir bei der NASA und den anderen Weißen von der Regierung nicht gerade geschadet, oder? Gleiche Chancen und das alles.«

Jamie merkte, daß er seinen Großvater angrinste. Al hatte einen Schmuckladen auf der Plaza in Santa Fe und nahm die Touristen schamlos aus. Er hatte nichts gegen die Anglos, hegte keine Feindseligkeit gegen sie, empfand nicht einmal Bitterkeit. Er benutzte einfach seinen Verstand und seinen Charme, um in der Welt zurechtzukommen, genau wie jeder Yankee-Händler oder Immobilienmakler in Florida.

»Okay«, gab Jamie zu, »es hat mir nicht geschadet, daß ich ein amerikanischer Ureinwohner bin. Trotzdem bin ich, verdammt noch mal, der beste Geologe, den sie haben!« Das stimmte nicht ganz, wie er wußte. Aber beinahe. Besonders für Familienangehörige.

»Klar bist du das«, stimmte sein Großvater zu, ohne eine Miene zu verziehen. »Aber die Russen werden dich in ihrem Schiff nicht bis zum Mars mitnehmen, nur weil du ein roter Mann bist. Sie werden sich einen von ihren eigenen Leuten aussuchen, und dann hast du zwei oder drei Jahre umsonst trainiert.«

Jamie rieb sich unbewußt die Nase. »Tja, kann sein. Möglich war’s. Eine Menge guter Geologen aus anderen Ländern bewerben sich für die Mission.«

»Wozu reißt du dir dann ein Bein aus? Warum schenkst du ihnen Jahre deines Lebens, wenn die Chancen hundert zu eins gegen dich stehen?«

Jamie schaute an den dunkelgrünen Goldkiefern vorbei zu den zerklüfteten, wettergefurchten Felsen hinüber, in denen seine Vorfahren vor tausend Jahren ihre Behausungen gebaut hatten. Als er sich wieder zu seinem Großvater umdrehte, stellte er fest, daß Als Gesicht ebenso verwittert und gefurcht war wie diese Klippen. Seine Haut hatte fast das gleiche gebleichte Braun.

»Weil er mich anzieht«, sagte er. Seine Stimme war leise, aber so fest wie die Berge selbst. »Der Mars zieht mich zu sich hin.«

Al warf ihm einen verwirrten Blick zu.

»Ich meine«, versuchte Jamie zu erklären, »wer bin ich, Al?

Was bin ich? Ein Wissenschaftler, ein weißer Mann, ein Navajo

– ich weiß eigentlich noch gar nicht, wer ich bin. Ich bin fast dreißig Jahre alt, und ich bin ein Niemand. Nur ein x-beliebiger Assistenzprofessor, der Steine ausbuddelt. Es gibt eine Million Typen wie mich.«

»Höllisch langer Weg bis zum Mars.«

Jamie nickte. »Ich muß aber hin. Ich muß rausfinden, ob ich was aus meinem Leben machen kann. Was Echtes. Was Wichtiges.«

Ein Lächeln kroch über das ledrige Gesicht seines Großvaters, ein Lächeln, das seine Augenwinkel fältelte und seine Wangen zerknitterte.

»Na ja, jeder muß seinen eigenen Weg im Leben finden. Man muß im Gleichgewicht mit der Welt um einen herum leben.

Vielleicht führt dich dein Weg bis zum Mars.«

»Ich glaube, so ist es, Großvater.«

Al legte seinem Enkel die Hand auf die Schulter. »Dann geh in Schönheit, mein Sohn.«

Jamie erwiderte sein Lächeln. Er wußte, daß sein Großvater ihn verstehen würde. Jetzt mußte er es noch seinen Eltern in Berkeley beibringen.

Wosnesenski überprüfte persönlich den Raumanzug und das Tornistergerät jedes Wissenschaftlers. Erst als er zufrieden war, schob er das transparente Visier seines eigenen Helms herunter und verriegelte es.

»Endlich ist es soweit«, sagte er in fast akzentfreiem Englisch. Es klang wie die Stimmsynthese eines Computers.

Die anderen verriegelten ihre Visiere ebenfalls. Connors, der an dem schweren metallenen Lukendeckel stand, legte einen behandschuhten Finger auf den Knopf, der die Luftpumpen aktivierte. Durch die dicken Sohlen seiner Stiefel spürte Jamie, wie sie zu arbeiten begannen, und er sah, wie das Lämpchen an der Kontrolltafel der Luftschleuse von Grün zu Bernstein wechselte.

Die Zeit schien stillzustehen. Die Pumpen liefen eine Ewigkeit, während die sechs Forscher reglos und stumm in ihren bunten Raumanzügen dastanden. Da sie die Visiere herabgelassen hatten, konnte Jamie die Gesichter der anderen nicht sehen, aber er erkannte alle seine Kollegen und Kolleginnen an der Farbe ihrer Anzüge: Joanna trug Neon-Orange, Ilona leuchtendes Grün, Tony Reed Kanariengelb.

Das Vibrieren der Pumpen verebbte, während die Luft aus dem Abteil gesaugt wurde, bis Jamie nichts mehr hören konnte, nicht einmal seinen eigenen Atem, weil er vor Spannung die Luft anhielt.

Die Pumpen hörten auf zu arbeiten. Das Anzeigelämpchen an der Tafel neben der Luke wurde rot. Connors zog an dem Hebel, und der Lukendeckel öffnete sich einen Spalt. Wosnesenski stieß ihn ganz auf.

Jamie war ein wenig benommen, als wäre er zu schnell auf einen Berg gestiegen oder in der dünnen Luft der Berge ein paar Meilen weit gelaufen. Er stieß den Atem aus und sog die Anzugluft tief ein. Sie schmeckte kalt und metallisch trocken.

Der Mars lag vor ihm, von der ovalen Luke umrahmt, leuchtend rosa, rot und kastanienbraun wie das trockene Hochland, in dem er die Sommer seiner Kindheit verbracht hatte.

Wosnesenski machte sich an den Abstieg auf der Leiter. Als nächster kam Connors, gefolgt von Joanna, dann Tony, Ilona und schließlich er selbst. Wie im Traum stieg Jamie langsam die Leiter hinunter, einen gestiefelten Fuß nach dem anderen; die behandschuhten Hände glitten an den glänzenden Metallgeländern entlang, die zwischen zwei aufgefaltete Blütenblätter der Aerobremse hinabführten. Deren mit Keramik überzogene Legierung hatte die Gluthitze ihres feurigen Eintritts in die Marsatmosphäre absorbiert. Das Metallgeflecht schien jetzt völlig erkaltet zu sein.