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Kein Augenblick war zu verlieren.

Da die Thür nicht verschlossen gewesen, so war anzunehmen, daß Namir in jedem Augenblicke zurückkehren konnte. Die Marokkanerin bewachte sie augenscheinlich Tag und Nacht. Unnütze Vorsicht; selbst wenn das junge Mädchen dieses Zimmer verlassen hätte, wie sollte sie es ermöglichen, ohne eine von draußen kommende Hilfe zu entfliehen? Das ganze Haus Sidi Hazam’s wurde bewacht wie ein Gefängniß.

Pointe Pescade beugte sich über den Divan. Er war nicht wenig betroffen von der Aehnlichkeit Sarah’s mit dem Doctor Antekirtt – die ihm bisher nicht aufgefallen war.

Das junge Mädchen öffnete die Augen.

Als Sarah einen vor ihr stehenden Fremden in einem sonderbaren Akrobatencostüm erblickte, der den Finger auf die Lippen drückte, den Blick flehend auf sie richtete, da war sie zunächst mehr bestürzt als wirklich erschrocken. Sie richtete sich auf, hatte aber die Geistesgegenwart, nicht zu rufen.

»Schweigen Sie! bat Pointe Pescade. Sie haben nichts zu befürchten. Ich komme her, um Sie zu retten… Hinter diesen Mauern erwarten Ihre Freunde Sie, Freunde, die sich gern tödten lassen, nur um Sie den Händen Sarcany’s zu entreißen… Peter Bathory lebt…

– Peter… lebt? rief Sarah. Die Schläge ihres Herzens schienen zu stocken.

– Lesen Sie!«

Pointe Pescade reichte dem jungen Mädchen einen Zettel hin, auf dem die Worte standen:

»Sarah, vertrauen Sie sich dem an, der mit Gefahr seines Lebens zu Ihnen dringt…. Ich bin am Leben…. Ich bin hier…

Peter Bathory.«

Peter am Leben! Er am Fuße der Mauern. Durch welches Wunder?… Sarah sollte es später erfahren… Eines genügte vorläufig, Peter war da!

»Wir wollen fliehen! rief sie.

– Ja, wir wollen fliehen, antwortete Pointe Pescade, aber unter für uns günstigen Umständen. – Eine Frage gestatten Sie: Bringt Namir die Nacht gewöhnlich in diesem Zimmer zu?

– Nein, erwiderte Sarah.

– Gebraucht sie die Vorsicht, Sie einzuschließen, wenn sie längere Zeit abwesend ist?

– Ja.

– So wird sie also zurückkehren?

– Ja… Lassen Sie uns fliehen!

– Sofort,« sagte Pointe Pescade.

Vor Allem mußte die Treppe zum Minaret und die Terrasse erreicht werden, welche auf der Seite der Ebene lag.

Einmal da, konnte mit Hilfe der Leine, die an der Außenwand der Mauer bis zur Erde hing, die Flucht leicht bewerkstelligt werden.

»Kommen Sie!« sagte Pointe Pescade und nahm Sarah bei der Hand.

Er schickte sich an, die Thür des Zimmers zu öffnen, als sich auf den Fliesen der Galerie Schritte vernehmen ließen. Gleichzeitig hörte man einige Worte in befehlerischem Tone sprechen. Pointe Pescade hatte die Stimme Sarcany’s erkannt, er blieb auf der Schwelle der Thür stehen.

»Er ist es… er ist es…, flüsterte das junge Mädchen. Sie sind verloren, wenn er Sie hier findet.

– Er wird mich nicht finden,« gab Pointe Pescade zurück.

Der geschickte Jüngling warf sich zu Boden und mit Hilfe eines Akrobatenknisses, den er oft genug in den Jahrmarktsbuden gezeigt, wickelte er sich in einen der am Boden liegenden Teppiche und rollte sich in die dunkelste Ecke des Zimmers.

Die Thür öffnete sich gerade vor Sarcany und Namir und schloß sich hinter ihnen.

Sarah hatte ihren Platz auf dem Divan wieder eingenommen. Was wollte Sarcany zu solcher Zeit von ihr? Wollte er neue Gründe vorbringen, die ihre Weigerung hinfällig machen sollten?… Sarah war jetzt stark! Sie wußte, daß Peter lebte und sie draußen erwartete!

Pointe Pescade konnte unter dem Teppiche Alles hören, wenn er auch nichts sehen konnte.

»Sarah, sagte Sarcany, wir werden morgen Mittag dieses Haus verlassen und einen anderen Wohnort uns suchen. Doch will ich nicht von hier fortgehen, bevor Sie nicht in unsere Ehe gewilligt haben, bevor nicht die Heirat vollzogen ist. Alles ist bereit, sie kann jetzt im Augenblick…

– Weder jetzt noch später, antwortete das junge Mädchen mit ebenso gelassener Stimme als entschiedenem Tone.

– Sarah, fuhr Sarcany fort, als hätte er absichtlich ihre Antwort überhört, in unserem beiderseitigen Interesse muß Ihre Einwilligung eine freiwillige sein, in unserem beiderseitigen Interesse, verstehen Sie mich wohl?…

– Wir haben noch nie ein gemeinsames Interesse gehabt und werden auch nie eines haben.

– Hüten Sie sich!… Ich erinnere Sie an die Einwilligung, die Sie zur Zeit in Ragusa ausgesprochen haben…

– Aus Gründen, die heute nicht mehr maßgebend sind.

– Hören Sie mich, Sarah, sagte Sarcany, dessen scheinbare Ruhe nur schlecht den mühsam verhaltenen, gewaltigen Zorn verbarg, zum letzten Male bitte ich Sie um Ihre Einwilligung…

– Ich werde sie verweigern, so lange ich die Kraft dazu haben werde… – Nun gut, diese Kraft wird man Ihnen nehmen, schrie Sarcany. Treiben Sie mich nicht zum Aeußersten! Diese Kraft, deren Sie sich gegen mich bedienten, wird Namir zu vernichten wissen und gegen Ihren Willen, wenn es sein muß! Leisten Sie mir weiter keinen Widerstand, Sarah!… Der Imam ist hier, um unsere Heirat nach der Sitte dieses Landes, welches meine Heimat ist, zu vollziehen…. Folgen Sie mir also!«

Sarcany ging auf das junge Mädchen zu, die hastig aufgesprungen und bis an die hinterste Wand des Zimmers zurückgewichen war.

»Elender! rief sie.

– Sie werden mir folgen!… Sie werden folgen! wiederholte Sarcany, der jede Herrschaft über sich selbst verloren hatte.

– Niemals!

– Nehmen Sie sich in Acht!«

Sarcany hatte ihren Arm gepackt und bemühte sich in Gemeinschaft mit Namir Sarah mit Gewalt in die Skifa zu schleppen, wo Sidi Hazam und der Imam Beide erwarteten.

»Zu Hilfe!… Zu Hilfe! schrie Sarah. Zu Hilfe, Peter Bathory!

– Peter Bathory! schrie Sarcany. Du rufst einen Todten zu Deiner Hilfe?

– Nein… er lebt!… Zu Hilfe, Peter!«

Diese Antwort flößte Sarcany einen jähen Schrecken ein; die Erscheinung seines Opfers hätte ihm wahrscheinlich keine größere Furcht eingeflößt als dieser Ausruf. Doch kam er schnell wieder zu sich. Peter Bathory am Leben!… Peter, den er mit eigener Hand niedergestochen, dessen Körper er auf den Kirchhof von Ragusa hatte tragen sehen…. Das konnte nur der Einfall einer Wahnsinnigen sein und möglich war es ja, daß Sarah in einer Anwandlung von Verzweiflung den Verstand verloren hatte.

Pointe Pescade hatte die ganze Unterredung angehört. Damit, daß Sarah Sarcany verrieth, Peter wäre am Leben, spielte Sarah um ihr Leben; das war gewiß. Für den Fall, daß der Elende seine rohen Angriffe erneuerte, hielt er sich bereit, mit dem Messer in der Hand zu erscheinen. Wer ihn für fähig gehalten hätte, noch zu zaudern, Jenen niederzustechen, der kannte Pointe Pescade schlecht.

Doch kam es nicht dahin. Sarcany zog Namir in schroffer Weise mit sich fort. Das Zimmer wurde mittelst eines Schlüssels verschlossen, das junge Mädchen, dessen Schicksal sich nun entscheiden mußte, war gefangen.

Pointe Pescade hatte den Teppich abgeworfen und war mit einem Satze auf den Beinen.

»Kommen Sie!« sagte er zu Sarah.

Da das Schloß der Thür sich innerhalb des Zimmers befand, so deckte der geschickte Mensch es schnell und ohne Geräusch mit Hilfe des Schraubenziehers an seinem Messer auf.

Sobald die Thür geöffnet und hinter ihnen wieder geschlossen worden war, ging Pointe Pescade dem jungen Mädchen voran die Galerie entlang, der Mauer des Patios folgend.–

Es konnte elfundeinhalb Uhr Nachts sein. Etwas Helligkeit schimmerte noch durch die Oeffnungen der Skifa. Pointe Pescade vermied es daher, an diesem Saale vorüberzugehen, um in der entgegengesetzten Ecke den Gang zu erreichen, der sie auf den vordersten Hof des Hauses bringen mußte.

Beide durchschritten den Gang bis zu seinem Ende. Sie hatten bis zur Thür des Minarets nur noch einige Schritte zurückzulegen, als Pointe Pescade plötzlich stillstand und Sarah zurückhielt, deren Hand nicht aus der seinigen gekommen war.