Выбрать главу

Drei Männer wandelten auf diesem Hofe um das Bassin. Der Eine derselben – es war Sidi Hazam – ertheilte den beiden Anderen soeben einen Befehl. Sofort verschwanden Beide auf der Treppe des Minarets, während der Moqaddem in eines der Zimmer des Erdgeschosses zurückkehrte. Pointe Pescade begriff, daß Sidi Hazam es sich angelegen sein ließ, die Ausgänge seiner Behausung überwachen zu lassen. Wenn er mit dem jungen Mädchen auf der Terrasse erscheinen würde, war sie gewiß schon besetzt und bewacht.

»Es muß trotzdem gewagt werden, sagte Pointe Pescade.

– Ja… Alles!« antwortete Sarah.

Beide durchschritten die Galerie und erreichten die Treppe, die sie mit äußerster Vorsicht hinaufstiegen. Als Pointe Pescade auf der obersten Sprosse angelangt war, blieb er stehen. Kein Geräusch, nicht einmal der Schritt einer Schildwache war auf der Terrasse hörbar.

Pointe Pescade ging dem jungen Mädchen voran. (S. 536.)

Pointe Pescade öffnete leise die Thür und von Sarah gefolgt, glitt er längs der Zinnen dahin.

Plötzlich wurde von der Höhe des Minarets seitens eines dort postirten Wächters ein Schrei ausgestoßen. Im selben Augenblick sprang ein zweiter auf Pointe Pescade, während Namir auf die Terrasse stürzte und das Personal Sidi Hazam’s durch die inneren Höfe der Behausung strömte.

Sollte sich Sarah ergreifen lassen? Nein…. Wurde sie von ihm ergriffen, so war sie verloren…. Hundertmal zog sie den Tod vor.

Das muthige Mädchen empfahl ihre Seele Gott, stürzte auf die Brustwehr und sich ohne Zögern in die Tiefe hinunter.

Pointe Pescade war es nicht möglich, den Sturz zu verhindern; es gelang ihm aber, sich den Mann abzuschütteln, der ihn gepackt hatte, den Strick zu fassen und sich blitzschnell herunterzulassen; in einer Secunde stand er am Fuße der Mauer.

»Sarah!… Sarah! rief er.

– Hier ist das Fräulein! antwortete eine ihm sehr bekannte Stimme Sie hat sich nichts gethan…. Ich war zur Stelle, um sie…«

Ein Wutschrei, dem ein dumpfer Aufschlag folgte, schnitt Kap Matifu das Wort ab.

Namir hatte in einem Anfalle von Wildheit die Beute nicht fahren lassen wollen, die ihr zu entschlüpfen drohte; sie zerschmetterte ihr Gehirn am Boden. Sarah hätte vielleicht dasselbe Schicksal gedroht, wenn nicht zwei kräftige Arme sie vor dem fürchterlichen Sturze bewahrt haben würden.

Doctor Antekirtt, Peter und Luigi hatten sich Kap Matifu und Pointe Pescade, die dem Ufer zuflohen, angeschlossen. Sarah wog, obgleich sie ohnmächtig war, so gut wie nichts in den Armen ihres Retters.

Einige Augenblicke später trat Sarcany mit einer Handvoll wohlbewaffneter Leute die Verfolgung der Flüchtlinge an.

Als diese Schaar am Rande der kleinen Bai ankam, auf welcher der »Electric« geankert hatte, befand sich der Doctor mit seinen Genossen schon an Bord; einige Drehungen der Schraube des Schiffes brachten dasselbe bald aus dem Bereiche jeglicher Gefahr.

Sarah, die mit dem Doctor und Peter allein geblieben war, kam bald wieder zu sich. Sie erfuhr jetzt, daß sie die Tochter des Grafen Mathias Sandorf wäre, daß sie in den Armen ihres Vaters läge. 

Viertes Capitel.

Antekirtta.

Fünfzehn Stunden nach Verlassen des tripolitanischen Gestades wurde der »Electric 2« von den Küstenwachen Antekirtta’s avisirt; am Nachmittage drehte er im Hafen bei.

Man begreift unschwer, welcher Empfang dem Doctor und seinen Getreuen bereitet wurde.

Obwohl Sarah sich außer dem Bereiche jeglicher Gefahr befand, wurde dennoch beschlossen, daß man ein unverbrüchliches Schweigen über die Bande beobachten wollte, welche sie mit dem Doctor Antekirtt verbanden.

Graf Mathias Sandorf wollte bis zum vollständigen Gelingen seines Werkes unerkannt bleiben. Doch es genügte, daß Peter, der sein Sohn geworden war, öffentlich mit Sarah Sandorf verlobt wurde, um eine allgemeine Freude, rührende Kundgebungen, sowohl im Stadthause als in der ganzen Stadt Artenak hervorzurufen.

Man möge auch nachfühlen, was Frau Bathory empfand, als ihr Sarah nach so vielen Prüfungen zurückgegeben wurde. Das junge Mädchen erholte sich schnell; einige wenige Tage des Glückes stellten es bald wieder her.

Pointe Pescade hatte sein Leben für Sarah gewagt, darüber konnte kein Zweifel herrschen. Da er das ganz natürlich fand, so war jede Möglichkeit, ihm in anderer Weise als in Worten Dank abzustatten, ausgeschlossen. Peter hatte ihn an sein Herz gezogen und der Doctor Antekirtt ihn mit so liebevollen Blicken angesehen, daß er nichts weiter hören wollte. Er schob übrigens seiner Gewohnheit gemäß das ganze Verdienst bei dem Unternehmen Kap Matifu zu.

»Ihm muß man danken, sagte er wiederholt. Er hat Alles gethan. Wenn mein Kap nicht so große Geschicklichkeit beim Balanciren der Ruthe gezeigt hätte würde ich nie mit einem Satze in das Haus dieses Schurken Sidi Hazam geflogen sein, und Sarah Sandorf hätte sich bei ihrem Sturze das Leben genommen, wenn mein Kap sie nicht in seinen Armen aufgefangen haben würde.

– Bitte… bitte…, sagte Kap Matifu darauf. Du gehst etwas zu weit, und Deine Idee von…

– Schweige doch, Kap, nahm Pointe Pescade wieder das Wort. Teufel auch! Ich bin nicht stark genug, um Complimente dieses Kalibers auszuhalten, während Du… Komm, wir wollen unseren Garten pflegen!«

Und Kap Matifu schwieg; er kehrte in sein niedliches Landhaus zurück und schließlich nahm er die Glückwünsche an, die man ihm aufzwang, »um dem kleinen Pescade nicht ungehorsam zu sein«.

Es wurde beschlossen, daß die Hochzeit Sarah’s und Peter’s in kurzer Frist, bereits am 9. December, gefeiert werden sollte. Peter, als Gatte Sarah’s, sollte dann die Anerkennung ihrer Rechte betreiben, um die Erbschaft des Grafen Sandorf antreten zu können. Der Brief Frau Toronthal’s konnte über die Abstammung des jungen Mädchens keinen Zweifel aufkommen lassen und wenn es nöthig sein sollte, würde der Banquier eine formelle Erklärung abgeben müssen. Zweifellos sollte die Constatirung deshalb erst in der genannten Frist erfolgen, weil Sarah noch nicht das Alter zur Geltendmachung ihrer Rechte erreicht hatte. Erst sechs Wochen später wurde sie achtzehn Jahre alt.

Ueber das Schicksal des Spaniers Carpena und des Banquiers Silas Toronthal sollte endgiltig erst nach Einlieferung Sarcany’s in die Kasematten von Antekirtta beschlossen werden. Alsdann sollte das Werk der Gerechtigkeit sein Ende erreichen.

Doch zu derselben Zeit, in welcher der Doctor die Mittel überlegte, die ihn an das letzte Ziel bringen mußten, sah er sich ganz nachdrücklich darauf verwiesen, über den wirksamen Schutz seiner kleinen Kolonie nachzudenken. Seine Agenten in Tripolis und auf der Cyrrhenäischen Halbinsel benachrichtigten ihn, daß die senusistische Bewegung einen immer stärker werdenden Umfang annähme, und zwar namentlich in Ben-Ghazi, das der Insel zunächst gelegen ist. Geheime Couriere stellten zwischen Dscherhbub, »diesem neuen Pol der Welt des Islams«, wie Herr Duveyrier dieses metropolitanische Mekka genannt hat, woselbst der gegenwärtige Großmeister des Ordens, Sidi Mohammed El-Mahedi residirte, und den Führern zweiten Ranges in allen Provinzen eine regelmäßige Verbindung her. Da die Senusisten in Wahrheit nichts weiter als würdige Nachkommen der einstigen berberischen Piraten sind, und da sie jedem Europäer einen tödtlichen Haß entgegenbringen, so mußte der Doctor allerdings sehr auf seiner Hut sein.

Den Senusisten und Niemandem sonst müssen die seit zwanzig Jahren in Afrika verübten Greuelthaten und Massenmorde zur Last gelegt werden. Man hat umkommen sehen: Bourman in Kanem im Jahre 1863, Von der Decken und seine Gefährten auf dem Flusse Djuba 1865, Fräulein Alexine Tinné und die Ihrigen 1865 in Uahdi-Abedjuhsch, Dournaux Duperré und Joubert 1874 nahe dem Brunnen von In-Azhar, die ehrwürdigen Väter Paulmier, Bouchard und Ménoret jenseits von In-Cahlah 1876, die Geistlichen Richard, Morat und Pouplard der Mission von Ghadames im Norden von Azdjer, Oberst Flatters, die Hauptleute Masson und de Dianous, den Doctor Guiard, die Ingenieure Beringer und Roche auf der Straße von Marglah im Jahre 1881 – die blutdürstigen Bundesgenossen übersetzten eben die Lehren der Senusisten ins Praktische zum Nachtheile der kühnen Forschungsreisenden.