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Nun gut, die Menschen mögen sich tatsächlich in ihrer Mentalität unterscheiden. Ein Bekannter, der lange Zeit als Reiseleiter für deutsche Touristengruppen in Ägypten gearbeitet hat, erzählte, wie unterschiedlich sich die Deutschen im Ausland benehmen: Jedes Mal wenn er mit Bayern oder Schwaben unterwegs war, machten sie schon am zweiten Tag jede Menge Verbesserungsvorschläge für Kairo. Sie entwickelten sofort Pläne, wie man dort zusätzliche Pyramiden errichten und alles sauber machen sowie des Verkehrschaos Herr werden könnte. Ein Jahr an Bayern angeschlossen und Ägypten wäre wahrscheinlich nicht wiederzuerkennen. Die Norddeutschen hatten dagegen schon nach zwei Tagen keine Lust mehr auf Reformgequatsche. Sie verließen das Hotel nur noch, wenn dringender Bedarf bestand und nahmen ansonsten Ägypten mit all seinen landestypischen Macken so wie es war. Die Ostdeutschen haben es heute schwer, nach vierzig Jahren sozialistischer Diktatur Eigeninitiative zu entwickeln. So etwas wurde früher vom Staat als strafbar eingestuft, und die Westdeutschen haben Angst vor der völligen Verarmung.

Politiker säen nur noch mehr Zwietracht zwischen den Menschen, statt sie einander näherzubringen. In ihren Reden bekämpfen sie die Arbeitslosigkeit und wettern gegen Fremdarbeiter, die den Deutschen ihre Arbeitsplätze rauben. Dabei müssen sie selbst keine Angst vor Fremdarbeitern haben, sie halten sich für unersetzbar. So bleibt die Politik in Deutschland nach wie vor der einzige Bereich, der gegen die Globalisierung immun ist. Wie schön wäre es, wenn man den Regierungsauftrag für Deutschland in der internationalen Fachpresse ausschreiben könnte:

»Mitteleuropäisches Land sucht fitte Profis (keine Klatsch-Luschen!) zum Regieren. Alter und Geschlecht spielen keine Rolle. Bitte schicken Sie Ihre Bewerbungsunterlagen an: Bundestag, Berlin, Germany.«

Die Bewerbungsgespräche könnten die volksnahen Fernsehmoderatoren Christiansen, Raab, Schmidt und Maischberger übernehmen. Sie sollten aber streng nach den üblichen Regeln ablaufen.

»Was haben Sie früher regiert? Wie sind Ihre Gehaltsvorstellungen, und wo sehen Sie sich in fünf Jahren?«

»Ich war zwei Legislaturperioden als Verteidigungsminister in Südamerika tätig und leitete die Große Koalition auf Madagaskar. Nun möchte ich mich der Herausforderung stellen, in einem industriellen Land die Finanzpolitik zu übernehmen.«

Das Volk wird das nötige Geld zusammenlegen und den einen oder anderen einstellen. Bestimmt wird sich ein so gekaufter Bundeskanzler viel mehr Mühe geben als ein herkömmlicher. Es können auch zehn Vietnamesen oder fünf Polen sein, die den Job zusammen erledigen, preiswert und effizient. Niemand wird sich ihre Namen merken können, die Politik wird aus dem Fernsehen zurück in die Amtsstuben kehren.

Noch besser wäre die Mehrstaatlichkeit in Deutschland. Das ist meine persönliche politische Vision. Sie würde bedeuten, dass alle Kandidaten ihren eigenen Staat auf dem freiem Markt anbieten, wie es zum Beispiel die Telefongesellschaften mit ihren DSL-Angeboten längst machen. Auch Politiker würden ihre Kunden in harter Konkurrenz erkämpfen müssen. Und wenn sie klug genug sind, werden sie ihren Staaten nicht solche uninspirierten Kürzel wie »BRD« oder »DDR« geben, sondern hübsche Frauennamen. Dann wird man auf Wahlkampfplakaten lesen können: »Der Staat Alice mit Schwerpunkt Ökologie, Bildung und Kultur! Dafür ohne Grenzschutz und ohne Armee, für nur 4,99 Euro im Monat!«

Ich warte auf den Staat Alice. Ich glaube fest, dass er kommt.

 Hunde

Andrej hat anscheinend einen Weg in eine erfüllte Zweisamkeit gefunden. Er will sich nun einen großen Hund anschaffen und mit ihm eine Mensch-Tier-Gemeinschaft gründen. Ich bezeichnete sein Vorhaben als die berühmte »Berliner Lösung«: Jeder zweite wohnt in unserer Gegend mit einem großen Hund zusammen, der ihm die Eltern, die Kinder und die Frau gleichermaßen ersetzt. Der Hund ist eine preiswerte Familienalternative. In unserer Heimat waren die Hunde ein Luxus. Es waren überwiegend exotische Tiere, die genau wie ein Auto, ein Pelzmantel oder eine ausländische Möbelgarnitur etwas über den Wohlstand der Familie verrieten. Nicht jeder konnte sich einen so teuren Spaß erlauben. Aber wenn, dann musste es schon ein ganz besonderer Hund sein.

Meine Moskauer Nachbarn aus dem ersten Stock gehörten zu diesen Leuten, die sich für etwas Besonderes hielten. Beide waren Biochemiker, und man munkelte, sie hätten etwas Wichtiges erfunden. Ihr Sohn spielte nicht mit den anderen Jungs auf dem Hof und ging nicht wie alle anderen in die Schule N 701, sondern in ein englisches Internat am anderen Ende der Stadt, wo er unter anderem Schach spielen lernte. Diese Kleinfamilie also kaufte sich 1981 auf dem Schwarzmarkt ein rotes Malteserhündchen, um sich damit von den anderen Hausbewohnern noch deutlicher abzuheben. Als Baby war der Malteser sehr hübsch, und gar nicht rot, sondern nur ein wenig rosig. Er wuchs aber sehr schnell und ungleichmäßig. Nach sechs Monaten hatte er einen Riesenkopf und einen Riesenbauch, aber seine Füße blieben kurz. Er wurde immer dunkler, nur sein Schwanz spielte ins Hellrote.

Eine solche Hundeentwicklung führte dazu, dass der Malteser sich nicht mehr richtig bewegen konnte. Wenn er zum Beispiel die Treppe hinuntermusste, schlug er mit dem Maul auf jeder Stufe auf. Zurück in die Wohnung hinauf kroch er wie eine Schlange. Seine Besitzer mussten ihn ständig hin und her tragen und wurden deswegen von den anderen Hausbewohnern belächelt. Der rote Malteser verschwand eines Tages aus unserem Haus genauso plötzlich, wie er aufgetaucht war. Man nahm an, dass die beiden Wissenschaftler ihn für ihre wissenschaftlichen Zwecke missbraucht hatten.

Auf sowjetischen Leinwänden wurden Hunde zuerst als wirksame Waffe im Kampf gegen die Kriminalität und zum Schutz unserer Staatsgrenze dargestellt. In Dutzenden von Filmen wie Stille Nacht am Amur oder Bei Fuß, Muchtar spielten übergroße, speziell ausgebildete Deutsche Schäferhunde die Hauptrolle. Sie saßen wochenlang ohne Verpflegung in einem Versteck und ernährten sich ausschließlich von Grenzverletzern, hauptsächlich Japanern, die sie selbst aus großer Entfernung aufspüren und von denen sie nie genug bekommen konnten. Manche Hunde liefen sogar ohne Befehl und auf eigene Gefahr zum Frühstück auf feindliches Territorium, um sich einen Gegner zu schnappen. Ich glaube, dass die japanischen Godzilla-Filme damals in einer Überreaktion auf diese Zwischenfälle entstanden sind.

Später kamen die sogenannten Hundeheuler auf die Leinwand: allerlei tragische Geschichten darüber, wie ein Hund von seinem Besitzer verraten wurde, ihm aber trotzdem treu blieb. Eine solche Filmvorführung musste ich einmal als Zwölfjähriger in Tränen aufgelöst frühzeitig verlassen, weil ich es nicht mehr mit ansehen konnte, wie der blöde Hund den ganzen Film über an einer Bushaltestelle saß und auf seinen Besitzer wartete, der schon gleich am Anfang des Films gestorben war. Ich wünschte mir heimlich, dass auch der Hund von dem Bus überfahren werden würde oder der Busfahrer ihn mit zu sich nach Hause nähme oder wenigstens die unangenehme Frau, die die Fahrkarten kontrollierte. Es war aber ein Hundeheuler ohne Happyend. So etwas Unmenschliches war nur im Sozialismus möglich. Der Film hieß Der weiße Bim mit dem schwarzen Ohr. Ich werde ihn nie vergessen.

Hier in Berlin, wo jeder Türke mindestens zwei Kinder und jeder Deutsche zwei Hunde hat, sind diese Tiere zu vollwertigen mündigen Bürgern geworden. Sie gehen selbst spazieren oder einkaufen, scheißen überallhin, und ihre Würde ist unantastbar. Hier würde kein Hund ein halbes Leben an der Bushaltestelle verbringen. Wenn sein Besitzer verschwunden wäre, würde der Hund einfach Vermisstenanzeige erstatten. Die meisten Hunde auf der Schönhauser Allee kenne ich seit Jahren, wir sind alte Bekannte. Von meinen Kindern werden sie gar nicht mehr als Tiere wahrgenommen, sondern als eine Art ehrenamtliche Mitarbeiter der Berliner Stadtreinigung, die unsere Straßen im Winter gegen Glatteis schützen. Deswegen sagt mein Sohn auf dem Weg zur Schule immer, wenn er einen besonders großen Hundescheißhaufen sieht: »Gut gemacht, Spiderman.« So heißt eine graue Promenadenmischung mit rotem Halstuch, die unsere Hausfassade besonders graziös bepinkelt.