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Die deutschen Milliardäre sind bescheidene Menschen, sie fallen nicht auf. Aber auch die russischen Milliardäre leben nicht in Saus und Braus, wie viele denken. Sie müssen sich ständig Gedanken machen, was sie mit ihrem Geld anstellen, weil Geld in Russland eine sehr flüchtige Substanz ist. Man kann es in keiner Bank verstecken, es bleibt nie lange in einer Tasche liegen, springt wie ein Floh von einem zum anderen - heute deins, morgen meins. Deswegen strengen sich russische Milliardäre unheimlich an, um ihr Geld zu bändigen. Trotzdem tauchen auf der russischen Forbes-Liste jedes Jahr neue Namen auf, die alten verschwinden, und niemand fragt sich: Wo ist der sympathische Herr von Platz 64, was war los, was ist mit ihm passiert? Und niemand weint ihm eine Träne nach, außer seiner Mutter oder seiner Frau, wenn er eine hatte. Die russischen Massen sind ihren Milliardären gegenüber schadenfroh, wie Massen halt so sind.

Die Tätigkeiten der russischen Milliardäre sind geheimnisvoller als die der Deutschen. Natürlich gibt es auf der russischen Liste ein paar sibirische Ölscheichs ein paar Nickel- und Aluminiummagnaten, doch bei den meisten weiß man überhaupt nicht, womit sie ihr Geld verdient haben. Da steht einfach nur »Herr X., Direktor« oder »Herr Y., Vorsitzender«. Oder einfach nur »Herr X« oder »Y«, als hätte seine Mutter diesem Herrn seine Milliarden ins Bettchen gelegt. Doch alle Welt weiß, weder Mutter noch Vater konnten dies tun. Sie haben ihre aktive Lebensphase im entwickelten Sozialismus verbracht, in dem es keine Reichen geben durfte. Im entwickelten Sozialismus landeten Reiche im Knast. Es sitzen übrigens auch heute ziemlich viele reiche Russen im Knast, gleichzeitig stehen sie auf der Forbes-Liste. Das darf man jetzt. In einer Demokratie schließt das eine das andere nicht aus, man kann gleichzeitig im Knast sitzen und reich sein. Dann lesen wir auf der Forbes-Liste neben Herr X oder Y: »vorübergehend inhaftiert«.

Wie sitzt ein Milliardär seine Strafe ab? Ich stelle mir dabei eine große, gut gelüftete Zelle vor, mit riesigen Nacktfrauenkalendern an der Wand, sauberer Kloschüssel und einem Fernsehgerät mit vergoldeter Fernbedienung. Auch das Fenstergitter ist vergoldet. Dazu vielleicht noch ein Gitarrist, der jeden Morgen zum Frühstück die schönsten und leidenschaftlichsten Knastlieder live zum Besten gibt. Beim genauen Blick auf die Forbes-Liste lässt sich die Frage, Wer wird Milliardär? leicht beantworten. Es kann einfach jeden treffen.

Radio

Das Radio hat mir einmal das Leben gerettet. Dabei wollte ich nur mit Sergej und Andrej in der Nähe von Potsdam Pilze sammeln. Eigentlich bin ich kein Freund von so einer Ausbeutung der Natur. Ich wünsche allen Pilzen ein langes Leben. Nur hatten meine Freunde im August einen heißen Tipp bekommen: Dort bei Potsdam, auf dem ehemaligen Übungsgelände der sowjetischen Armee, sollte es wahre Pilzplantagen geben. Es ist ein altes Ammenmärchen, aber manchmal stimmt es tatsächlich: Da, wo einmal die russische Armee stationiert war, sprießen anschließend wie verrückt Pilze aus dem Boden.

Potsdam war nicht weit und Sergej hatte ein Auto, also ließ ich mich überreden. Wie echte Pilzjäger mit Korb und Messer bewaffnet fuhren wir los, fanden eine nette Raststätte, wo wir parkten und gingen in den Wald. Schnell fiel unsere Gruppe auseinander. Jeder hatte seine eigene Methode für die Pilzsuche, und jeder hielt sich natürlich für den größten Pilzkenner. Der eine suchte nur unter Fichten und zwar ausschließlich auf deren Schattenseite, der andere behauptete, dort wo Farn wächst, könne es keine Pilze geben, weil sie sich nicht vertragen.

Bald konnte ich die Stimmen der beiden kaum noch hören, nur manchmal ein »Oh!« und »Ah!« und »Schau, was ich gefunden habe!« Vor mir hatten die Pilze Angst, sie versteckten sich gründlich. Ich ging ohne System durch den Wald, bog mal links und mal rechts ab, in der Hoffnung irgendwann auf einen ganz großen Pilz zu stoßen. In den drei Stunden, die ich im Wald verbrachte, habe ich auch einiges gefunden, jedoch nichts Pilzartiges: eine Rolle Stacheldraht, wahrscheinlich von den Soldaten zurückgelassen, mehrere illegale Mülldeponien und ein sowjetisches Auto. Es war ein verrosteter Lada mitten in der Wildnis. Im Auto hatten sich Ameisenkolonien angesiedelt, dazu Schnecken, Spinnen und andere kleine Waldbewohner. Außerdem wuchsen dort kleine gelbe Pilze auf dem Rücksitz, die jedoch sehr ungesund aussahen. Ich konnte mir nicht erklären, wie dieses Auto in den Wald gekommen war. Es gab kein Anzeichen auf einen Fahrweg, um den Lada herum war nur dichter Wald. Die einzige Erklärung war: Der Wagen war den Russen beim Abzug ihrer Armee aus dem Flugzeug gefallen.

Ich suchte weiter und fand noch Interessanteres: einen DDR-Plattenbau vom Typ EB 52, noch ziemlich gut erhalten, sogar mit Menschen darin. Direkt vor dem Haus wuchsen große graue Pilze. Die Bewohner schauten jedoch sehr misstrauisch auf mich herunter. Auf meine höfliche Frage, ob diese Pilze gut seien, reagierten sie nicht. Es war ihnen anzumerken, dass sie schon lange im Wald lebten und völlig verwildert waren. Wahrscheinlich sind es die DDR-Flüchtlinge, dachte ich, die gleich nach der Wende zusammen mit ihrer Platte in den Wald gezogen waren und dort nun große graue Pilze züchten. Ich ging zurück ins Dickicht, und bald verlief ich mich völlig. Nur mit Mühe kam ich durch das Unterholz voran und kehrte um, zurück zur Platte. Sie war nicht mehr zu finden. Irgendwann gab ich auf und redete mit mir selbst:

»Toll, Mensch. Das hast du klasse hingekriegt. Jetzt bist du endgültig eins mit der Natur. Bleib einfach da, bald wirst du selber zum Pilz.«

Plötzlich hörte ich Stimmen, jemand sang ein Volkslied.

»Menschen!«, dachte ich und rief laut: »Hallo!«

»Du bedeutest mir sehr viel«, sagte die Stimme.

»Hallo! Hey!«, rief ich und ging weiter in Richtung Stimme, doch da war niemand. Sie kam wie aus dem Nichts. Das war wahrscheinlich meine innere Stimme, überlegte ich. In der lauten Stadt konnte ich sie nie hören, hier in der Stille wollte sie nun mit mir Kontakt aufnehmen. Hör auf deine innere Stimme und alles wird gut!, sagte die innere Stimme. Ich strengte mich an, um alles zu verstehen. Die innere Stimme plapperte aber nur Quatsch:

»Das Wetter in Brandenburg, blabla, die Temperatur liegt bei 28 Grad, und nun hören Sie klassische Musik, Werke von Schumann, Beethoven und Dittersdorf.«

Ich überlegte. Wenn das meine innere Stimme sein sollte, wer war dann Dittersdorf? Von so einem Komponisten hatte ich noch nie gehört, es konnte also unmöglich meine innere Stimme sein. Ich ging dorthin, wo die Musik spielte und ortete sie endlich. Die Musik und die Stimmen kamen von einer hochgewachsenen Fichte, die hinter der Raststätte stand, bei der wir geparkt hatten. Oben an dem Baum war ein ziemlich großer Radiolautsprecher angebracht. Von dort aus orakelte es in Richtung Wald. Meine Freunde waren schon längst dort versammelt und warteten auf mich. Ihre Körbe bewiesen, dass sie ihre Zeit im Wald nicht vergeudet hatten.

»Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt? Wir wollten dich schon als vermisst melden!«, riefen sie. »Hast du dich verlaufen?«

»Nö«, sagte ich, »ich hatte nur ein Rendezvous mit dem Komponisten Dittersdorf.«

Blumen aus Moskau

Meine Nachbarn sind anständige Menschen, sie haben nur eine Macke. Sie lesen keine Zeitung. Ihre Nachrichten beziehen sie aus dem Internet. Papiernachrichten sind Propaganda, sie werden von den Journalisten, die sich für Meinungsmacher halten, extra aussortiert, behaupten sie. Aber, wenn wir uns bei mir auf dem Balkon zu einer Trinkrunde versammeln, lese ich manchmal aus der einen oder anderen Zeitung vor, um die Gesellschaft in ein Gespräch zu verwickeln.