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Flüge auf Pegasussen waren in der Hauptstadt nach wie vor verboten, dafür waren die Einwohner mit Aviettes in die Luft gestiegen. Wie stets waren die Kinder aus dem Häuschen; diese Racker brauchen nur einen Anlaß, um herumzutollen. Gibt es einen besseren als das Große Sommergewitter?

Waghalsig schössen sie Purzelbäume zwischen Häusern und Bäumen. Ich wußte, daß die Beschützerinnen sie behüteten, dennoch stockte mir der Atem, als die Knirpse anfingen, im Herabpurzeln von den vierzigsten Stockwerken zu wetteifern.

Einer von diesen zehnjährigen Draufgängern kam auf mich zugestürzt. Die Beschützerin bog seine Aviette selbstverständlich ab, das Bürschchen jagte vorbei und schaukelte etwa zehn Meter von mir entfernt in der Luft.

»Warte, dich kriege ich!« schimpfte ich und mußte an mich halten, um nicht zu lachen.

»Mich kriegen Sie nicht. Keiner kriegt mich.«

Sofort riß er aufwärts aus und spähte aus Adlershöhe nach einem neuen Opfer.

An der Kreuzung Rote Straße und Sternenprospekt standen freie Aviettes. Ich setzte mich in eine und befahl im stillen: Zur Museumsstadt!

Wenig später schwebte die Aviette auf dem Pantheonplatz nieder, am Denkmal für die Kuh.

Ich gehe stets ins Pantheon, wenn ich in die Hauptstadt komme. Heute wird niemand mehr dort beigesetzt. Aber die gewaltigen Geister und Charaktere verflossener Jahrhunderte verdienen ewig geehrt zu werden – unsere Urgroßväter taten es, indem sie ihnen das Pantheon errichteten.

Neben den Denkmälern für Phantasiegestalten, die auf die geistige Entwicklung der Menschheit Einfluß nahmen, stand die Statue Andrej Tanews.

Tanews Leben ist nur in großen Zügen bekannt, obwohl seine Gefängnishefte zweihundert Jahre nach seinem Tode gefunden wurden, aber in seiner Geschichte hat sich Wahrheit derart mit Dichtung verquickt, daß nur eins glaubwürdig ist: Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts nach der alten Zeitrechnung lebte der Mann, der die Metamorphose von Materie in Raum und von Raum in Materie entdeckte, die später »Tanew-Effekt« genannt wurde.

Der Bildhauer hat Tanew in Gefängniskleidung dargestellt – die Hände auf dem Rücken verschränkt, den Kopf erhoben. Der Häftling blickt in den Nachthimmel, sinnt über die Sterne nach, stellt eine Theorie auf, sie aus dem Nichts zu bilden und ins Nichts zu verwandeln. Es gelang Tanew als erstem, Formeln zur Umwandlung von Raum in Masse auszuarbeiten, und er war der erste, der verkündete, die Zeit werde kommen, da der Mensch wie ein Gott Welten aus dem leeren Raum schaffe und sich schneller als das Licht fortbewege. All das ist in seinen Gefängnisheften zu lesen.

Von Tanew ging ich zu Ngoros Büste. Sie steht unweit der Statuen von Marx und Lenin. Diesen Platz besuche ich, bevor ich etwas Wichtiges in Angriff nehme.

In der Mitte der Galerie erhebt sich auf einem Piedestal eine Kristallglocke, unter der Ngoros schwarzer Lockenkopf ruht. Er scheint zu leben, doch die fest geschlossenen Augen bezeugen, daß dieses mächtige Gehirn nie mehr zum Leben erwacht. Alles an diesem erstaunlichen Kopf ist mächtig und massiv, heiter und von Güte durchdrungen. Als ich erfuhr – damals ging ich noch zur Schule-, Ngoro habe einen Unfall erlitten und die stümperhafte Medizin seines Jahrhunderts habe nur den von den Schultern getrennten Kopf retten können, schien es mir wunderbar, daß der Kopf redete, dachte, lachte, sogar sang, zur Nacht einschlief, am frühen Morgen erwachte, lebte, normal zweiunddreißig Jahre lebte! Ein antiker Musikant komponierte, taub geworden, die beste seiner Symphonien, Ngoros vom Rumpf getrennter Kopf vollendete die Theorie, wissenschaftliche Systeme mittels Auflösung experimenteller Fakten in mathematischen Reihen zu schaffen. Und als ich mich Ngoros Kopf näherte, erinnerte ich mich, daß die Freunde des Gelehrten oft vor ihm weinten. Ngoro warf ihnen dann Kleinmut vor und wiederholte immer nur, er fühlte sich wohl, da er den Menschen noch nützen könne. Im siebenundsechzigsten Jahr seines Lebens verschied er. Und er wußte, daß er starb, der künstliche Blutkreislauf hatte das Leben des Kopfes verlängern, ihn aber nicht unsterblich machen können. Er verabschiedete sich von den Freunden, grüßte alles Vernünftige und Gute, das noch auf Erden erscheinen würde, und schlief, wie immer gütig lächelnd, zu seiner gewohnten Zeit still ein diesmal für immer.

Ngoros schwarzes Gesicht lächelte, es war, als sei er heut nacht eingeschlafen, nicht schon vor zweihundert Jahren.

»Die Wolken! Die Wolken!« wurde auf dem Platz gerufen.

Ich lief zum Ausgang und forderte durch die Beschützerin eine Aviette an.

10

Rasch füllte sich der Himmel. Ich beeilte mich, um mich über der Insel der Museumsstadt aufzuschwingen.

Um mich herum stiegen Hunderte anderer Aviettes auf, über der Stadt waren bereits so viele, daß kein Menschenhirn mehr imstande gewesen wäre, sich in dem Gedränge zurechtzufinden. Ich stellte mir vor, die Große Staatsmaschine falle aus, die Beschützerinnen der sich in der Luft amüsierenden Hauptstadtbewohner verlören die Verbindung zu ihnen, und erschrak. Die Menschen würden zusammenprallen, auf Dächer und Straßen stürzen.

Die Wolken schoben sich wie eine Mauer herauf, und im Nu hatten sie die Hälfte des Firmaments verhüllt. Wild brauste ein Orkan heran, die Aviettes wandten ihm ihre Nasen zu und begannen zu schaukeln. Ich öffnete das Fenster einen Spalt breit und wäre fast erstickt an der hereinschlagenden Luft. Selbst in dieser Höhe war zu hören, wie der Sturm heulte. Dann wurden wir ohne Übergang von Finsternis umhüllt. Ich sah nicht mehr die anderen Flieger, auch mich sah niemand Die schützten uns, das wußte ich, aber einen Augenblick lang hatte ich Angst, und ich drehte zur Stadt ab. Die anderen empfanden wahrscheinlich dasselbe, denn als der erste Blitz den Raum erhellte, sah ich ringsum alles abwärts streben.

Mag sein, ich irre mich, aber an diesem Sommerfest scheint mir nicht das Gewitter das schönste, sondern sein Herannahen, der rasende Wolkenflug und die Blitzeschlacht. Das aufzuckende Licht und die grollende Luft verwirrten mich. Ich brüllte und flog in der winzigen Aviette, selber einem Kugelblitz ähnlich. Für die Lichtentladungen waren zwanzig Minuten vorgesehen, und ich jagte ins Entladungszentrum, wo hohe Spannungen gespeichert wurden – ein Luftstoß glich hier einer Explosion, und die Helligkeit des elektrischen Feuers blendete, selbst wenn man eine dunkle Brille trug.

Das ist ein Sport der Kühnen, scheint mir. Viele halten ihn für eine Belustigung Unvernünftiger.

Nicht weit von mir flammte ein Blitz mit Dutzenden Zacken und Verästelungen auf, einer riesigen Wurzel ähnlich. Parallel zu ihm züngelte ein anderer, und von oben schoß ein dritter herab. Alles verschmolz zu einem Flammenmeer. Ich vermeinte, mitten in eine Fackel geraten und zu Asche verbrannt zu sein. Aber die drei Blitze erloschen, und über mir oder beinahe in mir selbst – war ein Donnern und Grollen, als stürze ein Berg zusammen. Geblendet und betäubt, verlor ich sekundenlang das Bewußtsein. Meine Aviette sauste abwärts und fing sich erst über dem Dach eines Hauses. In einer der gelandeten Maschinen erblickte ich ein langhalsiges Mädchen.

Nach den Entladungen setzte strömender Regen ein. Ich preschte in die Stadt Regen muß man auf der Erde auskosten, nicht in der Luft, und zwar mit seinem Körper, nicht in einer Maschine.