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Wir ließen uns auf dem Boden nieder, um zu beraten, wer von uns in die Höhle gehen und den Löwen wecken solle. Barbus meinte, das beste wäre es, die Bestie mit einem Lanzenschaft zu reizen, ohne sie zu verletzen, und der Tierbändiger versicherte, er hätte uns diese kleine Gefälligkeit gern erwiesen, allein seine Knie seien steif vor Gicht und im übrigen wolle er uns ja auch nicht um die Ehre bringen.

Meine Kameraden beobachteten mich verstohlen aus den Augenwinkeln und erklärten sich aus reiner Gutherzigkeit bereit, mir die Ehre zu überlassen. Meinem Kopf sei schließlich der Plan entsprungen, und ich sei es auch gewesen, der sie dazu überredet hatte, den Raub der Sabinerinnen zu spielen, womit ja dieses Abenteuer seinen Anfang genommen habe. Mit der scharfen Witterung des Löwen in der Nase beeilte ich mich, meine Kameraden daran zu erinnern, daß ich meines Vaters einziger Sohn war, und als wir den Fall näher untersuchten, entdeckten wir, daß in der Tat fünf von uns einzige Söhne waren, was möglicherweise unser Betragen erklärt. Einer hatte nur Schwestern, und der Jüngste, Charisios, machte geltend, daß sein einziger Bruder stotterte und noch an einigen anderen Gebrechen litt.

Als Barbus sah, daß mich meine Kameraden immer mehr bedrängten und ich zuletzt gezwungen sein würde, in die Höhle zu gehen, nahm er einen großen Schluck aus seinem Weinkrug, rief mit zitternder Stimme Herkules an und versicherte, er liebe mich mehr als seinen eigenen Sohn, wenn man davon absehe, daß er nie einen Sohn gehabt habe. Der Auftrag zieme sich nicht für mich, sagte er, aber er, ein alter Legionär, sei bereit, in die Schlucht niederzusteigen und den Löwen zu wecken. Sollte ihn dieser Versuch das Leben kosten, was wegen seiner schlechten Augen und schwach gewordenen Beine leicht möglich wäre, so wünsche er nur, daß ich für einen stattlichen Scheiterhaufen sorgte und eine Gedächtnisrede auf ihn hielte, damit seine zahllosen ruhmvollen Taten allgemein bekannt würden. Im übrigen gedenke er, mir durch seinen Tod zu beweisen, daß alles, was er mir im Lauf der Jahre von seinem Wagemut berichtet hatte, wenigstens zum Teil wahr sei.

Als er allen Ernstes mit einer Lanze in der Hand die Felswand herabzuklettern begann, wurde auch mir weh ums Herz, und wir umarmten einander und vergossen zusammen einige Tränen. Ich konnte nicht zulassen, daß er, ein alter Mann, für mich und meine Missetaten sein Leben opferte, und bat ihn, meinem Vater zu berichten, daß ich wenigstens dem Tode wie ein Mann entgegengetreten sei, nachdem ich ihm schon im Leben nichts als Unglück gebracht hatte. Meine Mutter war bei meiner Geburt gestorben, und nun hatte ich, wenngleich ohne böse Absicht, Schande über seinen guten Namen gebracht.

Barbus reichte mir einen Weinkrug und hieß mich trinken, da, wie er sagte, nichts wirklich weh tun kann, wenn man nur genug Wein im Leibe hat. Ich trank also, und dann ließ ich meine Kameraden schwören, daß sie wenigstens das Netz ordentlich festhalten und um keinen Preis fallen lassen würden. Darauf packte ich meine Lanze mit beiden Händen und schlich den Löwenwechsel entlang durch die Schlucht. In meinen Ohren dröhnte das Schnarchen des Raubtiers, und schon sah ich es lang hingestreckt in der Höhle liegen. Ich stieß es, ohne recht hinzusehen, mit der Lanze, hörte es aufbrüllen, schrie selbst laut auf und lief schneller als je bei einem Wettrennen mitten in das Netz hinein, das meine Kameraden in der Eile hochgerissen hatten, ohne zu warten, bis ich darübergesprungen war.

Während ich in den Maschen des Netzes um mein Leben strampelte, kam der Löwe hinkend und winselnd aus seiner Höhle, blieb verwundert stehen und blinzelte mich an. Er war so riesengroß und furchtbar, daß meine Kameraden seinen Anblick nicht ertrugen, das Netz fallen ließen und flohen. Der Tierbändiger gab brüllend seine Ratschläge und schrie, wir müßten das Netz über den Löwen werfen, bevor er sich ans Tageslicht gewöhnt habe und wirklich gefährlich werde.

Auch Barbus schrie und ermahnte mich, Geistesgegenwart zu bewahren und dessen eingedenk zu sein, daß ich ein Römer und ein Manilier sei. Sollte ich in Not geraten, werde er sogleich niedersteigen und den Löwen mit seinem Schwert töten, zuerst aber müsse ich versuchen, ihn lebend zu fangen. Ich weiß nicht, welche von diesen beiden Möglichkeiten mich die bessere dünkte, aber jedenfalls gelang es mir, mich aus dem Netz zu befreien, nachdem meine Kameraden es losgelassen hatte. Ihre Feigheit machte mich rasend. Das Netz in den Fäusten haltend, drehte ich mich um und blickte dem Löwen ins Auge. Mit majestätischer Miene und zugleich bekümmert und gekränkt starrte er zurück, hob das eine Hinterbein, das blutete, und winselte leise. Ich stemmte das Netz mit aller Kraft in die Höhe, denn es war sehr schwer für einen einzelnen Mann, und warf es. Der Löwe tat im gleichen Augenblick einen Sprung nach vorn, verfing sich in den Stricken und fiel auf die Seite. Unter schrecklichem Gebrüll wälzte er sich auf dem Boden hin und her und zog selbst die Maschen immer fester um sich, so daß er mir nur einen einzigen Prankenhieb versetzen konnte, der mir allerdings zu spüren gab, welche Kräfte in dem Tier steckten, denn ich flog Hals über Kopf in die Büsche, was mir zweifellos das Leben rettete.

Barbus und der Tierbändiger feuerten sich gegenseitig mit lauten Rufen an. Letzterer nahm seine Holzgabel, setzte sie dem Löwen auf den Hals und drückte ihn gegen den Boden. Barbus gelang es unterdessen, ihm eine Seilschlinge über das eine Hinterbein zu streifen. Nun wollten uns die syrischen Bauern zu Hilfe kommen, aber ich schrie und fluchte und verbat es ihnen, denn ich wollte, daß meine feigen Kameraden mit mir zusammen den Löwen fesselten, da ja sonst unser Plan nicht ausgeführt wurde. Zuletzt taten sie es auch, obwohl sie von den Krallen des Löwen noch einige Kratzer und Schrammen abbekamen. Der Tierbändiger zog unsere Schlingen und Knoten nach, bis der Löwe so fest gebunden war, daß er sich kaum noch rühren konnte. Währenddessen saß ich zitternd vor Wut auf dem Boden und war gleichzeitig so erregt, daß ich mich zwischen meine Knie erbrach.

Die syrischen Bauern schoben eine lange Stange unter den gefesselten Pranken des Löwen hindurch und machten sich mit ihrer Last auf den Weg zur Stadt. Als er so auf der Stange hing, war er nicht mehr so groß und prachtvoll wie in dem Augenblick, da er aus seiner Höhle in die Sonne getreten war. Er war vielmehr ein alter, schwacher, von Höhen zerbissener Löwe, dessen Mähne schon mehrere kahle Stellen aufwies und der mit stumpfen Zähnen auf seinem Knebel kaute. Ich befürchtete, er könnte unterwegs die Fesseln abstreifen. Dann aber wandte ich mich an meine Kameraden und sagte ihnen, was ich von ihnen im einzelnen und von unserem Eidbund im allgemeinen hielt. Ich hätte nun immerhin das eine gelernt, sagte ich, daß man sich in der Gefahr auf keinen Menschen verlassen dürfe. Meine Kameraden schämten sich für ihr Verhalten und ließen meine Vorwürfe still über sich ergehen. Dann aber erinnerten sie mich an unseren Schwur und daran, daß wir beschlossen hatten, den Löwen gemeinsam zu fangen. Sie gönnten mir ja gern den größeren Anteil an der Ehre, aber sie hätten schließlich auch ihren Beitrag geleistet, und bei diesen Worten wiesen sie mir ihre Kratzer vor. Ich wiederum zeigte ihnen meinen Arm, der noch immer stark blutete, so daß mir ganz schwach in den Knien wurde. Zuletzt einigten wir uns darauf, daß wir bei diesem heldenmütigen Abenteuer allesamt für unser ganzes Leben mit Narben gezeichnet worden seien. In der Stadt feierten wir ein Fest und brachten dem Löwen, sobald wir ihn glücklich in den festen Käfig eingesperrt hatten, ehrerbietig ein Opfer dar. Barbus und der Tierbändiger tranken sich einen Rausch an, während die Mädchen der Stadt uns zu Ehren Reigen tanzten und uns Kränze flochten. Am nächsten Tag mieteten wir einen Ochsenkarren, luden den Käfig darauf und ritten mit bekränzten Stirnen hinter dem Gespann her, nachdem wir uns vergewissert hatten, daß unsere Verbände deutlich sichtbare Blutflecke aufwiesen.

Am Stadttor von Antiochia wollte uns die Wache anhalten und die Pferde beschlagnahmen, aber ihr Befehlshaber war klüger und schloß sich unserem Zug an, als wir ihm sagten, wir seien unterwegs zum Rathaus, um uns zu stellen. Zwei Ordnungswächter bahnten uns mit ihren Stöcken den Weg, denn wie es in Antiochia üblich ist, hatten sich sogleich alle Müßiggänger versammelt, als die Kunde von einem ungewöhnlichen Ereignis durch die, Stadt lief. Zuerst schmähte uns der Volkshaufe, da das Gerücht ging, wir hätten alle Jungfrauen und die Götter der Stadt geschändet. Vom Lärm und Geschrei der Leute aufgeschreckt, begann unser Löwe zu brüllen und brüllte, von seiner eigenen Stimme angestachelt, immer lauter, so daß unsere Pferde wieder schwitzten, scheuten und sich bäumten.