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Vergiß es, Sunnyboy, vergiß es!

Das Antlitz des Meeres ist schwarz, durchsetzt mit Injektionen von Bläue. Es birst vor Zorn, aber es unterdrückt seinen Zorn. Seine Wellen schlagen aufeinander ein und suchen sich gegenseitig abzuwürgen. Es kocht vor ewiger Wut, die nirgends entweichen kann.

Eine Revolution! Warum nicht? Um euch zu bestrafen, euch arm zu machen, eure hocherhobenen Nasen in den Staub zu stopfen, ihr Gezücht höfischer Sklavinnen! Ich gehöre zu euch, und das ist ein Urteilsspruch, gegen den mir keiner der üblichen Rechtskniffe hilft. Das Mädchen mit den blauen Augen hatte mich durchschaut, als sie mir mit den Worten einen Korb gab: »Er ist ungebildet! Und die hundert Feddan bieten sich mir auf der Hand eines Rüpels!« Dann macht sie sich wieder klein und wartet auf den nächsten Zuchtbullen.

Vom Balkon des Cecil-Hotels sieht man die Corniche nicht. Ich muß mich dazu über die Brüstung beugen. Das Meer erstreckt sich unmittelbar unter mir, als wäre ich auf einem Schiff. Es dehnt sich bis zum Fort Qajitbey[49], eingezwängt aber zwischen die Mauern der Corniche und steinerne Arme, die ins Wasser schlagen wie böse Geister. In dieser Umarmung erstickt es. Seine Wellen schlagen schwerfällig gegeneinander, in unterdrückter Wut. Sein Antlitz ist bläulichschwarz, kündet von seinem Zorn. In seinem Bauch toben die Geheimnisse und die Abfälle des Todes.

Mein Zimmer ist ein Hotelzimmer wie alle anderen. Es erinnert mich an das Palais der Familie Allam in Tanta. Deswegen ersticke ich darin. Denn die Pracht und der Ruhm der Großgrundbesitzer des Rif sind geschwunden. Dies ist die Zeit der Diplome für den Pöbel. Dann eben Revolution! Soll sie euch zermalmen! Ich sage mich von euch los. Ich werde mir eine Arbeit suchen! Ich sage mich von euch los, ihr Fetzen zerschlissener Jahrhunderte!

Eines Tages, als Mohammed, der Nubier, mir das Frühstück aufs Zimmer brachte, kam es mir in den Sinn, mich bei ihm zu beklagen: »Ich fühle mich in eurem Luxusbau ausgesprochen unbehaglich!« Es ist mir zur Gewohnheit geworden, mit dem Personal der Hotels, in denen ich absteige, freundschaftlich zu verkehren und, wenn ich die Leute brauche, nicht nur freundlich, sondern auch großzügig zu ihnen zu sein.

Der Mann fragte mich jetzt: »Wollen Sie länger in Alexandria bleiben?«

»Sehr lange!«

»Wäre es dann nicht günstiger, in einer guten Pension zu wohnen?«

Als ich ihn neugierig ansah, fuhr er fort: »Es gibt da eine gute, sehr saubere Pension. Sie zahlen dort weniger und haben mehr Gesellschaft. Aber das muß selbstverständlich ein Geheimnis zwischen uns bleiben!«

Er ist höflich, nützlich und falsch. Verrichtet seinen Dienst auf der einen Seite und arbeitet zugunsten der anderen wie viele meiner teuren Landsleute. Natürlich herrscht in einer Pension eine familiäre, eine intime Atmosphäre. Und das ist passender für jemanden, der an ein neues Projekt denkt. Was hat mich denn zum Cecil gezogen außer der alten Gewohnheit und natürlich meinem immer noch ungebrochenen Stolz!

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Das Guckloch in der Tür wurde geöffnet und gab ein hübsches Gesicht frei, hübscher, als es sich für ein Dienstmädchen ziemt. Hübscher auch, als es sich für eine Dame ziemt. Was für ein bezauberndes junges Mädchen! Sie wird sich auf den ersten Blick in mich verlieben.

»Ja?«

Ein Fellachenmädchen? Seltsam! Von nun an soll das Cecil in seinen schwarzen Wellen begraben liegen!

»Mohammed Kamil im Cecil-Hotel hat mir die Pension empfohlen.«

Sie ließ mich im Entree Platz nehmen und verschwand im Inneren der Wohnung. Ich schaute auf die Fotos, um einen ersten Eindruck von denen zu erhalten, die auf ihnen abgebildet waren. Wer war dieser englische Offizier? Und wer die Schöne, die sich auf die Stuhllehne stützte? Sie war aufregend hübsch, aber das Foto war alt. Nach der Mode des Kleides mußte sie eine Zeitgenossin der Jungfrau Maria sein!

Dann kam eine alte Frau mit gefärbtem Haar in leuchtendem Goldblond, sicher die Besitzerin der Pension. Ganz der Typ einer französischen Kupplerin im Ruhestand, oder auch nicht im Ruhestand, wie ich hoffe. Und das dort ist ihr Foto aus der Zeit, bevor sie das Alter zur Ruine gemacht hat. Jetzt klären sich die Dinge langsam. Mohammed Kamil hat sich über mein Unbehagen seine eigenen Gedanken gemacht. Gut so! Je angenehmer das Leben wird, desto besser läßt sich's über die neuen Projekte nachdenken.

»Ich möchte ein Zimmer, Madame.«

»Sie haben im Cecil gewohnt?« Das imponiert ihr zweifellos. Sie wäre am liebsten vierzig Jahre jünger. Ich bejahte.

Sie fragte: »Wie lange wollen Sie bleiben?«

»Mindestens einen Monat, vielleicht wird aber auch ein ganzes Jahr daraus.«

»Ein Zimmer können Sie haben, aber für die Sommermonate treffen wir eine Sondervereinbarung.«

»Einverstanden!«

»Sie sind Student?«

»Ich komme aus besten Verhältnissen.«

Sie kam mit einer Liste und fragte nach meinem Namen.

»Husni Allam«, sagte ich.

Ein ungebildeter Mensch. Ein Rüpel mit hundert Feddan auf der Hand. Glücklich, weil er die Art Liebe nicht kennt, von der die Schlagersänger schluchzen.

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Ein angenehmes Zimmer mit veilchenfarbenen Wänden. Da erstreckt sich das Meer in reinem Blau bis zum Horizont. Eine herbstliche Brise spielt mit den Vorhängen, und am Himmel treiben verstreute Schäfchenwolken. Ich sah dem Fellachenmädchen zu, wie es das Bett mit Laken und Decken zurechtmachte. Ihr Körper war kräftig und anmutig, mit ausgeprägten Rundungen. Wenn ich mich nicht täusche, hat sie bisher weder ein Kind geboren noch abgetrieben! Jedenfalls dürfte es angebracht sein, daß ich mir Zeit nehme, um die Geheimnisse hier einzukreisen.

»Wie heißt du, meine Schöne?«

»Zuchra«, entgegnete sie mit ernstem Gesicht.

»Du bist, was dein Name sagt, eine hübsche Blume!«

Sie bedankte sich mit einer Neigung des Kopfes, jedoch ohne zu lächeln.

»Gibt es noch andere Gäste in der Pension?«

»Zwei ältere Herren und einen jungen Mann in Ihrem Alter, mein Herr.«

»Und welchen Kosenamen hat er dir gegeben?«

Höflich und kühl erwiderte sie: »Mein Name ist Zuchra.«

Sie ist ernster, als es nötig wäre. Sie wird jeder Wohnung zur Zierde gereichen, die ich in Zukunft miete. Sie ist zudem viel hübscher als meine dämliche Verwandte, die beschlossen hat, ihren Bräutigam nach Vorschrift der National-Charta[50] zu wählen.

Vergiß es, Sunnyboy, vergiß es!

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»Meinst du es wirklich ernst?«

»Aber natürlich, meine Liebe!«

»Ich bin mir ziemlich sicher, du kennst die Liebe gar nicht.«

»Ich will dich heiraten, wie du siehst.«

»Mir kommt es so vor, als ob du gar nicht lieben könntest.«

»Ich will dich heiraten. Heißt das nicht, daß ich dich liebe?«

Gegen meinen Zorn und meine Wut ankämpfend, stieß ich hervor: »Und ich bin doch durchaus geeignet für eine Ehe, nicht wahr?«

»Wie stehen die Bodenpreise zur Zeit?« fragte sie nach kurzem Zögern.

Ich sah die Schuld für diese demütigende Situation bei mir und sagte im Hinausgehen: »Ich verlasse dich jetzt, damit du in Ruhe überlegen kannst.«

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Am Frühstückstisch lernte ich die anderen Gäste kennen. Amir Wagdi, ein Journalist im Ruhestand, mindestens achtzig, schlank und ziemlich groß, von einer Gesundheit, um die man ihn nur beneiden konnte. Sein runzliges Gesicht mit den eingesunkenen Augen und den hervorstehenden Knochen würde keinen Wurm mehr fett machen. Sein Anblick war mir widerwärtig. Wie hatte er nur am Leben bleiben können, während jeden Tag Generationen jüngerer Männer umkamen.

Tolba Marzuq war mir kein Unbekannter. Mein Onkel väterlicherseits hatte eines Tages die Sequestration seines Vermögens mitfühlend kommentiert. Aber natürlich sagte ich ihm nichts davon. Wir hatten die Nachrichten von der Sequestration gierig verschlungen wie einen Horrorfilm und waren immer noch brennend an ihnen interessiert.

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49

Fort Qajitbey: Festung vom Ende des 15. Jh. an der Nordspitze des Hafens von Alexandria.

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50

National-Charta: Am 30.06.1962 vom ägyptischen Kongreß bestätigte Charta Präsident Nassers, die die Prinzipien des Islams, des arabischen Nationalismus und des Sozialismus postulierte.