Sie gab sich erschrocken und wehrte lachend ab: »Ich? Oje, die Pension wirft knapp mein tägliches Brot ab!«
Der Methusalem der Journalistik stieß zu uns, in einen schweren Morgenmantel gehüllt. Ich fand ihn ganz munter trotz seiner ekelhaften Vergreisung. Als wolle er meine und seine Situation kommentieren, verkündete er: »Die Jugend sucht nach Abenteuern, und das Alter preist das Wohlergehen.«
Ich wünschte ihm eine gute Gesundheit, da fragte er mich: »Sind Sie wegen eines Projekts nach Alexandria gekommen?«
Da ich bejahte, fragte er weiter: »Bemühen Sie sich ernsthaft um etwas?«
»Ich habe jedenfalls das Nichtstun tüchtig satt!«
Er rezitierte den Vers:
»Jungsein und Geld und Müßiggang
führen zum sicheren Untergang.«
Aber ich verabscheue Gedichte ebenso wie Gespräche über Zeugnisse und Diplome. In mir spürte ich das Überlegenheitsgefühl eines turkmenischen Reiters vor einem Haufen Pöbel. Ja, das Schicksal hat einigen von ihnen die Nase vergoldet. Dasselbe Schicksal, das unser Licht hatte verlöschen lassen. Ich versuchte mich damit zu trösten, daß Revolutionen außergewöhnlich sind wie Naturkatastrophen, und fühlte mich im übrigen wie jemand, der ein Auto mit leerer Batterie starten will.
Da erschien plötzlich ein uns noch unbekannter junger Mann hinter dem Wandschirm und ging auf die Wohnungstür zu. Madame lud ihn ein, sich zu uns zu setzen, und stellte ihn uns vor: »Monsieur Mansur Bahi.«
Sprecher bei Radio Alexandria. Wieder einer mit Hochschuldiplom. Ein zartes, hübsches Gesicht, nicht sehr männlich. Auch er einer vom Pöbel mit der vergoldeten Nase. In seiner Zurückhaltung lag etwas, was mich reizte, ihm eine zu versetzen.
Nachdem er gegangen war, fragte ich Madame: »Wird er länger hierbleiben oder nicht?«
Stolz entgegnete sie: »Er wird länger bleiben, mein Lieber. Bei mir steigt niemand nur für kurze Zeit ab.«
Zuchra kam von draußen mit einem Plastikbeutel voller Lebensmittel. Ich schaute ihr gierig hinterher. Das Land war voller Frauen, aber dieses Mädchen wirkte auf mich einfach sexy.
Vergiß es, Sunnyboy, vergiß es!
~~~~~~~~~~~~~
»So hast du dich also doch noch verliebt?«
»Ach wo! Das ist weder Liebe noch Leidenschaft. Aber es handelt sich um ein wunderbares Mädchen. Noch dazu mein eigenes Fleisch und Blut. Und ich möchte heiraten.«
»Jedenfalls bist du ein junger Mann, wie ihn sich jedes
Mädchen wünscht.«
~~~~~~~~~~~~~
Die Umm-Kulthum-Soiree war selbst in der Pension Miramar ein Höhepunkt. Wir aßen, tranken und lachten. Wir redeten über Gott und die Welt, sogar über Politik. Aber nicht einmal der Alkohol konnte die Angst ausräumen. Amir Wagdi machte sich wichtig und trug uns wie ein alter Volkserzähler Heldenmärchen vor, die er selbst erlebt haben wollte. Dieser Jammergreis war offenbar wild entschlossen, uns davon zu überzeugen, wie großartig er früher einmal war. Durchschnittstypen gibt's ja nicht auf dieser verdammten Welt. Und natürlich auch niemanden, der sich nicht begeistert für die Revolution einsetzt. Sogar Tolba Marzuq. Selbst meine Wenigkeit. Wir mußten vorsichtig sein. Sarhan war ein Nutznießer des Regimes und Mansur höchstwahrscheinlich ein Spitzel. Und der Alte, wer weiß? Selbst bei Madame war es nicht abwegig anzunehmen, daß die Sicherheitsorgane ihr eine Art Überwachungsfunktion übertragen hatten.
Als Zuchra mir eine Flasche Soda brachte, fragte ich sie: »Und du, Zuchra, liebst du die Revolution?«
»Sehen Sie sich doch nur einmal das Bild an, das sie sich ins Zimmer gehängt hat!« forderte Madame mich auf.
War das etwa eine Erlaubnis, mich in ihr Zimmer zu schleichen? Zwar hatte der Whisky uns jetzt zur Intimität verleitet, aber ich wußte, daß das nicht von langer Dauer sein würde. Zwischen mir und Sarhan oder Mansur würde es nie eine echte Freundschaft geben. Und dies bißchen Sympathie würde bald ebenso vergessen sein wie das Mädchen, das ich im Büfett des Kinos Metropol aufgelesen hatte. Ich mußte mir unbedingt eine Arbeit suchen, die meine Kräfte brauchte und meine Zeit einteilte, weil ich sonst aus irgendeiner Situation heraus irgendeine Erzdummheit oder gar einen Mord begehen würde. Sicher war, daß ich für immer Junggeselle bleiben würde, denn ich wollte mich nicht noch einmal einem »Nein!« aussetzen. Außerdem gab es in dieser aufstrebenden Gesellschaft kein passendes Mädchen für mich. So konnte ich also alle Frauen als wandernden Harem für meine Gelüste betrachten bis hin zu einem exzellenten Hausmädchen, das die Leere meiner künftigen Wohnung füllen würde. Ein Hausmädchen wie Zuchra. Aber nein doch, Zuchra selbst. Sie wird das sicher dankbar annehmen. Sie wird die Aufgaben der Dame des Hauses übernehmen, aber auf die Mühen von Schwangerschaft, Geburt und Kinderaufzucht verzichten. Und sie ist schön. Ihre niedrige Herkunft ist der Garant dafür, daß sie all meine Kapriolen und Liebschaften hinnehmen wird. So wird das Leben trotz allem akzeptabel sein und mir Vergnügungen bieten, die jedenfalls nicht zu verachten sind.
Sarhan wußte so viele Witze zu erzählen, daß wir uns halb kranklachten. Selbst Mansur platzte manchmal los, zog sich dann aber schnell wieder in sein Schneckenhaus zurück.
~~~~~~~~~~~~~
Hört… Lest… Das ist das Todesurteil… Werden die Engländer reglos zusehen, wie uns der Kommunismus verschlingt!
~~~~~~~~~~~~~
Jetzt begannen die Lieder, begann das Lauschen. Wie üblich packte mich Unruhe. Ja, ich konnte einem Stück oder auch zweien folgen, dann überkamen mich Zerstreutheit und Langeweile. Die anderen waren außer sich vor Begeisterung, während ich in Einsamkeit versank. Was mich wirklich in Erstaunen setzte, war, daß Madame als Griechin Umm Kulthum genauso liebte wie die anderen.
Sie hatte offenbar mein Erstaunen bemerkt, denn sie sagte: »Ich habe sie schließlich ein ganzes Leben lang gehört.«
Tolba Marzuq horchte hingebungsvoll. Dann flüsterte er mir zu: »Nur gut, daß sie mein Gehör nicht auch sequestriert haben!«
Der Methusalem hielt die Augen geschlossen und gab sich dem Zuhören hin oder vielleicht eher einem Nickerchen. Verstohlen blickte ich zu Zuchra auf ihrem Sessel neben dem Wandschirm. Sie war wirklich schön. Aber hörte sie zu? Woran dachte sie? In welcher Hoffnung mochte sie sich wiegen? Irritierte sie das Leben so, wie es das mit uns tat? Plötzlich ging sie ins Innere der Wohnung, während alle anderen vor Begeisterung hingerissen waren. Ich stand auf und ging in Richtung Bad, um sie auf dem Korridor abzufangen.
Spielerisch griff ich nach ihrem Zopf und flüsterte ihr zu: »Nur dein Gesicht ist schöner als der Gesang!«
Sie erstarrte, da trat ich auf sie zu, um sie an mich zu ziehen, aber ihr kühler, warnender Blick hielt mich zurück.
»Ich habe lange auf diesen Moment gewartet, Zuchra!«
Sie entzog sich mir schnell und ging zu ihrem Sessel. Gut. Im Allam-Palais in Tanta gibt es Dutzende deiner Sorte, kapierst du? Oder reicht dir etwa meine Bildung nicht, du Dreckstück? Ich kehrte zu meinem Platz zurück und suchte meine Wut hinter bewundernden Seufzern für Lieder zu verbergen, denen ich gar nicht zuhörte. Dann packte mich der zwingende Wunsch, mit meiner Meinung nicht hinterm Berg zu halten, um wenigstens einmal in dieser langen Nacht ehrlich mit mir selbst zu sein. Aber ich tat es nicht. Während einer Pause ergriff ich die Gelegenheit, mich vorläufig von den Versammelten zu trennen, und verließ die Pension. Ich nahm meinen Wagen und fuhr zum Cleopatra[54]. Es war kalt und stürmisch, aber mir hatte der Alkohol eingeheizt. Ich steuerte die Wohnung einer maltesischen Kupplerin an, die ich in den Sommernächten oft aufgesucht hatte. Sie erschrak, als ich nach Mitternacht und in dieser kalten und unwirtlichen Jahreszeit vor ihr auftauchte.