Plötzlich sind wir in eine Prügelei verwickelt, bis der Pförtner und einige seiner Kameraden kommen und uns auseinanderreißen. Das bedeutet das Ende der Schlägerei, aber nun beginnt ein wildes Geschimpfe. Schließlich ruft er: »Ich werde es Ihnen heimzahlen, warten Sie nur!«
»So komm schon, ich werde dich von deinem dreckigen Leben befreien!« schreie ich zurück.
Zur nachmittäglichen Runde um das Radio finde ich Madame und Tolba Bey beisammen. Madame fordert mich auf: »Denken Sie doch mit uns nach! Was wollen wir in der Silvesternacht machen?«
»Er ist der Ansicht, wir sollten ins Monsieur gehen«, sagt sie, auf Tolba Bey weisend, »aber Amir Bey zieht es vor hierzubleiben.«
»Wo ist denn Amir Bey jetzt?«
»Er hat sich zurückgezogen, er hat eine Erkältung.«
»Dann lassen Sie ihn allein hier, und wir gehen zusammen ins Monsieur! Wir müssen uns bis zum frühen Morgen kräftig amüsieren!«
Nach kurzem Schweigen sage ich ihr: »Endlich wird etwas aus dem Projekt! «Ich erzähle ihr die Geschichte und sehe, wie sich auf ihrem Gesicht deutlich Enttäuschung abzeichnet. Schließlich empfiehlt sie: »Uberstürzen Sie nichts, Sie müssen noch darüber nachdenken!«
»Das habe ich bereits zur Genüge getan!«
Sie zögert kurz und ruft dann: »Das Cafe Miramar ist mit Sicherheit besser! Und ich überlege mir sogar ernsthaft, Ihre Teilhaberin dabei zu werden!«
»Vielleicht denke ich später ja wirklich an eine Erweiterung!« lache ich. Jetzt habe ich den dringenden Wunsch, mich in der Silvesternacht so intensiv zu amüsieren, wie es nur geht.
~~~~~~~~~~~~~
Noch am selben Abend lerne ich den Besitzer des Genevoise in seinem Büro im Club kennen. Wir kommen zu einer prinzipiellen Einigung über den Kauf. Dann lädt er mich ein, nach Lokalschluß noch in seine Wohnung im Camp de Cesar[58] zu kommen. Safejja ist an diesem Abend zugegen und beteiligt sich an der Besprechung der Einzelheiten. Schließlich kommt das Gespräch auf die Silvesternacht, und wir einigen uns auch hier, nämlich darauf, sie gemeinsam im Genevoise zu verbringen und die letzten Stunden der Nacht in der Wohnung des Khawaga oder irgendwo anders zu feiern. Ich beglückwünsche mich dazu, daß ich wenigstens für diese Nacht die Leichen los bin, die mich sonst umgeben.
Am nächsten Morgen fällt mir auf, daß mich das Frühstückszimmer anders als sonst empfängt. Ja, der Methusalem der Journalistik ist immer noch auf seinem Zimmer, aber auch Mansur Bahi ist bis jetzt nicht erschienen, und ich sehe keine Spur von Zuchra. In den Gesichtern von Madame und Tolba Bey bemerke ich einen düsteren Ausdruck, der nichts Gutes zu verheißen scheint.
»Ja, wissen Sie denn noch nichts?« will der Mann wissen. Ich werfe ihm einen fragenden Blick zu, er fährt fort: »Man hat Sarhan al-Buheris Leiche auf dem Weg nach Palma gefunden!«
Einige Sekunden lang bin ich wie erschlagen, bis mir die volle Bedeutung dieser Nachricht ins Bewußtsein dringt. Ein Gefühl der Betroffenheit und des Mitleids überkommt mich, auch die Beunruhigung gegenüber der düsteren, rätselhaften Natur des Todes.
»So ist er also tot?« frage ich.
»Er wurde ermordet!«
»Aber…«
»Lesen Sie die Zeitung, hier!« fällt mir Madame ins Wort. »Eine widerliche Nachricht. Und mein Herz sagt mir, daß sie uns noch viel Ärger an den Hals ziehen wird.«
Ich muß an meine Prügelei mit ihm kürzlich vor dem Lift denken und bin wütend. Jetzt befürchte ich, daß der Ärger, den Madame prophezeit, vor allem mir ins Haus stehen wird.
»Wer kann denn der Mörder sein?« frage ich und begreife im selben Augenblick, wie dumm meine Frage ist.
»Das ist das Kardinalproblem!« bekräftigt Madame.
»Und wenn sie nun fragen, ob er Feinde hatte?« überlegt Tolba Marzuq.
»Tatsache ist jedenfalls, daß er keinen Freund bei uns hatte«, antworte ich, denn ich habe nun zu einer Art Zynismus gefunden.
»Hatte er noch andere Feinde?« fragt Tolba weiter.
»Früher oder später werden Sie die Wahrheit ohnehin erfahren!«
Ich will wissen, wie es Zuchra geht. Madame erklärt: »Sie ist in ihrem Zimmer, in einer ganz schlechten Verfassung.«
Allmählich komme ich nach dem Schock, den diese Nachricht mir versetzt hat, wieder zu mir, und ich wiederhole: »Es muß Gottes Wille gewesen sein!«
Eigentlich hatte ich Madame von meinem Plan erzählen wollen, aus der Pension auszuziehen, aber jetzt verschiebe ich das auf später.
Als ich hinausgehen will, warnt Tolba Bey: »Vielleicht werden wir alle hier verhört.«
Schon an der Tür angelangt, werfe ich hin: »Soll uns von mir aus verhören, wer will!«
Ich beschließe, mir mit einem meiner improvisierten Streifzüge durch ganz Alexandria einen klaren Kopf zu verschaffen. Weiße Wolken kommen näher, aus denen gleißendes Licht rinnt. Ein leichter, schneller, heißer Wind weht. Es ist der letzte Tag des Jahres, und mein Wunsch, bis zum Morgengrauen eine irre, heiße Nacht auf die Beine zu stellen, hat sich vervielfacht. Die Zeichen des Weges sind mir jetzt deutlich. Soll doch sterben, wer im Sterben liegt, aber leben, wer noch am Leben ist!
Ich rase mit dem Auto davon und sage zu meinem Spiegelbild: »Vergiß es, Sunnyboy, vergiß es!«
III. Mansur Bahi
So hat man mich also zur Haft in Alexandria verurteilt, und den Rest meines Lebens kann ich damit verbringen, mir dafür Ausreden einfallen zu lassen!«
Das sagte ich meinem Bruder zum Abschied. Dann begab ich mich geradewegs zur Pension Miramar. Durch das Guckloch in der Tür schaute mich das Gesicht einer alten Frau an, das trotz des Alters und des Berufs der Dame ausgesprochen hübsch wirkte.
»Madame Mariana?« fragte ich. Als sie bejahte, stellte ich mich vor: »Mansur Bahi.«
Bereitwillig öffnete sie mir die Tür und begrüßte mich: »Herzlich willkommen! Ihr Bruder hat mir schon am Telefon von Ihnen erzählt. Fühlen Sie sich hier wie zu Hause!«
Ich wartete an der Tür, bis der Träger meine beiden Koffer brachte. Dann forderte sie mich auf, Platz zu nehmen, und setzte sich selbst auf das Kanapee unter ein Jungfrauenbild.
»Ihr Bruder ist hoher Polizeioffizier. Er hat bei mir gewohnt, bevor er heiratete, hat sein ganzes Leben in Alexandria verbracht, und nun geht er urplötzlich nach Kairo!«
Wir schauten uns gegenseitig mit viel Sympathie an. Sie prüfte mich eingehend, dann fragte sie mich: »Sie haben mit ihm zusammengelebt?«
»Ja!«
»Was sind Sie? Student? Beamter?«
»Ich bin Rundfunksprecher bei Radio Alexandria.«
»Aber Sie stammen eigentlich aus Kairo?«
»Ja!«
»Fühlen Sie sich hier wie zu Hause, und reden Sie mir bloß nicht von Miete!«
Ich lachte abwehrend, hatte aber doch das Gefühl, daß sie tatsächlich bereit war, mich kostenlos bei sich aufzunehmen, wenn ich das gewollt hätte.
Na schön! Jeder hängt in diesem völlig korrumpierten Land sein Mäntelchen nach dem Wind! Aber wahrscheinlich tue ich ja selbst auch nichts anderes!
»Und wie lange werden Sie bei uns wohnen?«
»Das ist unbestimmt.«
»Wir werden uns auf eine angemessene Miete einigen, und ich verspreche Ihnen, sie im Sommer nicht heraufzusetzen.«
»Danke schön, aber mein Bruder hat mich instruiert, was ich zu tun habe. So will ich im Sommer durchaus soviel zahlen wie die Sommergäste.«
»Sind Sie Junggeselle?« lenkte sie geschickt zu einem anderen Thema über.
»Ja!«
»Und wann gedenken Sie zu heiraten?«
»Jedenfalls nicht jetzt!«
Sie lachte laut und setzte dann die Befragung fort: »Und was gedenken Sie dann zu tun?«
Innerlich unbeteiligt, stimmte ich in ihr Lachen ein. Es läutete. Sie stand auf, öffnete die Tür und ließ ein junges Mädchen herein, das einen großen Beutel mit Gemüse und anderen Lebensmitteln trug. Das Mädchen verschwand im Inneren der Wohnung, und ich sah auf einen Blick, daß sie das Hausmädchen sein mußte und außerdem sehr hübsch war. Als Madame sie anredete, hörte ich zudem, daß sie Zuchra hieß. Vom Alter und ihrer Erscheinung her hätte sie durchaus eine Studentin sein können.