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Madame führte mich zu einem der beiden Zimmer, die auf das Meer hinaussehen, und erklärte: »Diese Seite vermiete ich normalerweise im Winter eigentlich nicht, aber das ist jetzt das einzige Zimmer, das noch frei ist.«

»Ich mag den Winter durchaus«, meinte ich unbekümmert.

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Ich stand allein auf dem Balkon. Das Meer erstreckte sich unter mir bis ins Endlose. Es dehnte sich blau, rein, wunderbar. Ruhige Wellen trieben ihr Spiel mit den glitzernden Sonnenperlen. Ein leichter Wind umhauchte mich mit belebender Zärtlichkeit. Vereinzelte Wölkchen trieben über den Himmel. Ich spürte Traurigkeit in mir aufkommen, aber dann vernahm ich eine leise Bewegung im Zimmer, drehte mich neugierig um und sah Zuchra, die das Bett mit Laken und Kissen zurechtmachte. Sie arbeitete sorgfältig und ohne zu mir hinzuschauen. So hatte ich Muße, sie zu betrachten, und ihre bezaubernde ländliche Schönheit sprang mir noch deutlicher in die Augen.

»Ich danke dir, Zuchra«, sagte ich aus dem Wunsch heraus, mich auf guten Fuß mit ihr zu stellen.

Sie lächelte mich so an, daß es mich freute. Ich bat sie um eine Tasse Kaffee, und sie brachte sie mir wenige Minuten später.

»Warte bitte, bis ich fertig bin!« bat ich sie. Ich stellte die Untertasse auf die Balkonbrüstung und schlürfte langsam meinen Kaffee aus. Sie kam näher, stand schließlich auf der Schwelle und schaute auf das Meer.

»Magst du die Natur?« fragte ich sie.

Sie gab keine Antwort, doch sie hatte meine Frage offensichtlich auch gar nicht verstanden. Was ihr wohl durch den Kopf ging? Aber zweifellos würde sie in ihrer Erdverbundenheit auf die ersten Regungen der verführerischen Natur im Frühling warten.

»In meinem großen Koffer sind Bücher«, sagte ich, »und für sie steht kein Schrank im Zimmer.«

Sie musterte die Möbelstücke und empfahl dann einfach: »Lassen Sie sie am besten im Koffer!«

Ich lächelte und fragte sie: »Arbeitest du schon lange hier?«

»Nein!«

»Und die Umgebung, ist sie dazu angetan, daß du dich hier wohl fühlst?«

»Ja.«

»Belästigen dich denn die Männer nicht, die hier wohnen und ständig aus und ein gehen?«

Sie zuckte die Achseln und sagte weder ja noch nein. So fuhr ich fort: »Manchmal sind sie schrecklich, nicht?«

Sie griff nach der Tasse und sagte schon im Hinausgehen: »Ich habe keine Angst!«

Ich wunderte mich über ihr Selbstvertrauen, und plötzlich überkam mich ein Gefühl der Traurigkeit. Wie üblich grübelte ich darüber nach, was war und was eigentlich hätte sein sollen.

Wieder einmal bedrohte mich meine Depressivität.

Ich inspizierte die Möbel und beschloß dann, ein kleines Regal für meine Bücher zu kaufen. Zum Schreiben reichte der runde Tisch, der zwischen dem Kleiderschrank und der Chaiselongue stand.

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Ich hielt mich einige Stunden im Rundfunkgebäude auf, um das Wochenprogramm aufzuzeichnen. Das Mittagessen nahm ich im Pedro in der Safejja-Zaghlul-Straße ein. Danach setzte ich mich ins Ala Kefak[59] am zentralen Ramlah-Platz, um eine Tasse Kaffee zu trinken, und hatte meine Freude daran, den von Wolken überschatteten Platz zu beobachten. Die meisten Leute trugen ihre Regenmäntel über dem Arm. Plötzlich schlug mein Herz schneller: Jener Mann dort! Das war doch Fauzi! Ich beugte mich so weit vor, daß meine Stirn fast das Fenster berührte, um ganz sicherzugehen, daß er es wirklich war. Nein, das war nicht Fauzi, das war ganz bestimmt nicht Fauzi, aber er hatte sehr viel Ähnlichkeit mit ihm. Und da war — assoziativ, wie man das wohl nennt — mir auch Durrejja plötzlich wieder gegenwärtig, auch wenn sie durch kein anderes als ihr eigenes, ewig gültiges Gesetz mir ohnehin ständig vor Augen stand.

Wenn es nun wirklich Fauzi gewesen wäre? Wenn sich unsere Blicke getroffen hätten, was wäre dann wohl passiert? Wenn man einen alten Freund trifft, muß man ihn jedenfalls in die Arme schließen. Zudem war er fast so etwas wie dein Lehrer, so hätte es auf alle Fälle eine herzliche Umarmung sein müssen, auch wenn dir das Herz dabei geblutet hätte. Du hättest ihn zu einer Tasse Kaffee einladen müssen, das verlangt die Gastfreundschaft.

»Sei mir herzlich willkommen! Was führt dich denn zu dieser Jahreszeit nach Alexandria?«

»Ich will meine Familie besuchen.«

Das hieß, daß er in Wirklichkeit in irgendeiner Parteiaktivität hier war, die er vor mir geheimhalten wollte, wie das seine unbedingte Pflicht war.

Aber natürlich wünschte ich ihm einen guten Aufenthalt.

»Wir haben dich seit zwei Jahren nicht mehr zu sehen bekommen, genauer seitdem du dein Universitätsexamen gemacht hast.«

»Ja. Man hat mich bei Radio Alexandria eingesetzt, wie du vielleicht weißt.«

»Das heißt, du hast uns jetzt ganz verlassen?«

»Ich hatte Schwierigkeiten… Ich meine, auf mich kamen zufällig ein paar Schwierigkeiten zu.«

»Es ist sicher klug, wenn ein Mensch eine Tätigkeit aufgibt, die ihm nicht liegt.«

Mich überkam blinder Stolz, so bekräftigte ich: »Und er sollte auch nicht bei einer Tätigkeit bleiben, an die er nicht mehr glaubt.«

Er besann sich wie üblich, um seine Worte richtig zu wägen, und brachte dann vor: »Man sagt, dein Bruder…«

»Ich bin nicht mehr minderjährig«, wies ich ihn zurecht.

»Habe ich dich verärgert?« lachte er. »Entschuldige!«

Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Durrejja… Leichter Regen tröpfelte, und ich wünschte mir einen heftigen Schauer, der die Menschen vom Platz gefegt hätte. Meine Liebe! Glaub es nicht! Ein kluger Mann hat früher einmal gesagt, daß wir manchmal lügen müssen, um andere von unserer Aufrichtigkeit zu überzeugen.

Wieder schaute ich meinen Freund an, der mir so viel Furcht einflößte.

»Kümmerst du dich denn um gar nichts mehr?« fragte er mich jetzt.

Ich mußte lachen oder besser, hätte beinah laut aufgelacht: »Solange ich lebe, muß ich mich schließlich um bestimmte Dinge kümmern«, entgegnete ich.

»Und worum zum Beispiel?«

»Ja, siehst du denn gar nicht, daß ich mich rasiert habe und einen Schlips trage?«

Ernst fragte er: »Und worum noch?«

»Hast du schon den neuen Film im Metro gesehen?«

»Das ist eine gute Idee! Sehen wir uns also einen kapitalistischen Film an!«

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Madame Mariana stattete mir in meinem Zimmer einen Höflichkeitsbesuch ab. »Fehlt Ihnen etwas? Kann ich Ihnen vielleicht irgendwie helfen? Sagen Sie es offen! Ihr Bruder hat das immer getan, und er war ein kluger Mann. Außerdem war er groß und stark, ein richtiger Riese. Sie sind zart und so ebenmäßig gebaut, aber auch Sie sind stark. Betrachten Sie die Pension Miramar als Ihr Haus und mich als Ihre mütterliche Freundin, als Ihre Freundin im vollsten Sinne des Wortes!«

Natürlich war sie nicht wegen dieser Höflichkeitsfloskeln und Schmeicheleien gekommen, oder vielmehr, sie waren für sie nur Mittel zum Zweck. Sie war zu mir gekommen, um in einem Gespräch Anerkennung und Selbstbestätigung zu finden. So erzählte sie mir aus freien Stücken die Geschichte ihres Lebens. Erzählte, wie sorglos und verwöhnt sie aufgewachsen war, erzählte von ihrer ersten Liebe und Ehe mit einem britischen Captain, ihrer zweiten Ehe mit dem Kaviar-König vom Ibrahimijja-Palais. Dann von der Zeit des sozialen Abstiegs, aber wieso eigentlich sozialer Abstieg? Schließlich war dies in den Tagen des Zweiten Weltkriegs eine Pension für feine Herren, für Paschas und Beys gewesen.

Sie forderte mich auf, ich solle ihr ebenfalls die Geheimnisse meines Lebens anvertrauen, und überhäufte mich mit Fragen. Eine fremde Frau, unterhaltsam, anstrengend, eine verblühende Frau. Ich hatte sie nie als die Königin der Salons erlebt, die sie gewesen war, aber ich konnte sie mir in dieser Rolle vorstellen, sah sie in der Gesellschaft strahlender Schönheiten und harter Tyrannen. Leider lernte ich sie jetzt erst kennen, lernte sie kennen als ein Wrack, das sich verzweifelt bemühte, an der Oberfläche zu bleiben.

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59

Ala Kefak: Restaurant in Alexandria.