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»Mein Herr, Sarhan al-Buheri hatte sie verlassen!«

»Aber er hatte ihr Herz in Besitz genommen, wie er ihr ihre Ehre geraubt hat!«

»Pst, verleumden Sie die Leute nicht, solange Sie nichts Genaues wissen!«

»Ob er wirklich zur Polizei gegangen ist?« fragt Mariana. Wir reden erhitzt weiter, bis zur Erschöpfung.

Schließlich gebiete ich Einhalt: »Wir wollen aufhören! Es reicht jetzt! Warten wir darauf, was uns das Schicksal beschert!«

Und die Taten der Ungläubigen sind

Wie Finsternisse in tiefstem Meeresgrund,

Bedeckt von einer Woge,

Über der eine Woge,

Über der Wolken von Dunkelheiten,

Eine über der anderen.

Wenn er seine Hand hervorholt aus ihnen,

Sieht er sie kaum vor Finsternis.

Wem Gott kein Licht gesetzt,

Der besitzt kein Licht.

Sahst du nicht, daß Gott alles preist,

Was im Himmel und auf Erden?

Auch die Vögel, dort im Fluge oben,

Jeder kennt sein Gebet und weiß ihn zu loben.

Und Gott weiß sehr wohl, was sie tun!

Gott ist der König des Himmels und der Erden

Und zu Gott ist unser Werden![66]

Meine Augen ermüden schnell beim Lesen. Ich verlasse das Zimmer und gehe in die Diele, als die Uhr gerade vier schlägt. Mariana finde ich in eine Lektüre vertieft. Sie ruft mir zu: »Das ist meine erste Silvesternacht, die verläuft wie ein Leichenbegängnis!«

»Redet doch um Gottes willen nicht schon wieder von Kummer und Sorgen!« fordert Tolba Marzuq energisch.

Ärgerlich gibt Madame zurück: »Die Pension ist von einem Fluch betroffen, darüber bin ich mir nun im klaren. Und Zuchra muß gehen! Soll sie sich irgendwo anders eine Stelle suchen!«

Ihr Zorn schneidet mir ins Herz, und ich versuche zu begütigen: »Mariana, sie ist unschuldig an all dem. Sie ist vom Pech verfolgt und hat bei Ihnen Zuflucht gesucht.«

»Allmählich betrachte ich sie als ein unglückliches Omen!«

Tolba Marzuq schnipst mit den Fingern, als sei ihm ein neuer Gedanke gekommen: »Was hindert uns denn eigentlich daran, die Silvesternacht richtig zu feiern?«

»Was hindert uns denn eigentlich…!« wiederhole ich bestürzt. »Das ist doch wirklich der Gipfel!«

Er ignoriert meinen Einwurf und sagt zu Mariana: »Machen Sie sich fertig, meine Liebe! Wir werden den Abend gemeinsam verbringen, wie wir es beschlossen hatten!«

»Ach, meine Nerven, meine Nerven, Monsieur Tolba!« klagt sie.

»Eben deswegen lade ich Sie ja ein, diese Nacht zu feiern!«

Die Atmosphäre ist plötzlich verändert. Jedenfalls für die beiden. Ganz ernsthaft besprechen sie Tolbas Vorschlag. Da kommt Husni Allam von draußen und verkündet seinen Entschluß, er wolle aus der Pension ausziehen. Madame erzählt ihm die seltsame Geschichte von Mansur Bahi. Er hört sie mit großer Bestürzung und redet eine Weile darüber. Schließlich zuckt er die breiten Schultern, als wolle er die Geschichte von sich abschütteln. Er packt seine Sachen zusammen, verabschiedet sich von uns und geht.

Nachdem er uns verlassen hat, stellt Madame traurig fest: »Nun sind wir wieder allein wie zuvor!«

»Danken wir Gott dafür!« äußert Tolba seine Freude.

Beide sind plötzlich von einer emsigen Geschäftigkeit, die ihre Unruhe und ihren Kummer vertrieben hat.

Madame hat sich zurechtgemacht wie in vergangenen Zeiten. Sie trägt ein braunes Abendkleid, das ihre zarte weiße Haut zur Geltung bringt, und darüber einen schwarzen Mantel mit Naturpelzkragen, goldfarbene Schuhe an den Füßen, hat Brillantohrringe und ein Perlenkollier angelegt. Sie ist wieder eine attraktive Schönheit aus der Oberschicht und hat die Spuren des Alterns unter einer Maske aus Schminke verborgen. Wir mustern uns eine Weile, während sie, sichtlich, um sich zur Schau zu stellen, an der Wohnungstür stehengeblieben ist.

Sie lacht fröhlich wie ein Backfisch und sagt im Hinausgehen zu Tolba: »Ich erwarte Sie dann beim Friseur!«

Ich bin allein, habe keinen anderen Gefährten als den wild heulenden Sturm. Ich rufe nach Zuchra und muß dreimal rufen, bis sie hinter dem Wandschirm erscheint. Sie steht da, traurig, niedergeschlagen, gebrochen, wirkt, als sei sie kleiner geworden und als habe ihr Rücken sich gekrümmt.

Ich weise auf das Kanapee, sie geht schweigend hinüber und setzt sich unter das Bild der Jungfrau. Mit über der Brust verschränkten Armen blickt sie zu Boden. Mir schnürt sich vor Mitleid und Zärtlichkeit das Herz zusammen, und ich spüre, wie mir Tränen in die Augen treten, die heute nicht mehr zu einem erlösenden Weinen werden können.

»Warum ziehst du dich auf dich selbst zurück, als hättest du keinen Freund?« schelte ich sie sanft. »Hör mir zu! Ich bin, wie du siehst, ein sehr alter Mann oder richtiger ein Greis. Drei- oder viermal in meinem Leben habe ich Schicksalsschläge erlebt, die mich so weit brachten, daß ich mir am liebsten das Leben genommen hätte. Jedesmal rief ich aus wundem Herzen: >Nun ist alles zu Ende!< Und jetzt siehst du mich in einem Alter, das nur sehr wenige erreichen. An die Anfälle tiefer Verzweiflung in meinem Leben habe ich heute nur noch sehr verschwommene Erinnerungen, Erinnerungen ohne jeden bitteren Beigeschmack, bedeutungslos für mich, als seien sie die eines anderen.«

Sie hört mir lustlos, aber auch nicht ganz desinteressiert zu.

»Lassen wir unsere Traurigkeiten, Zuchra, die Zeit heilt alle Wunden! Du mußt jetzt an deine Zukunft denken. Tatsache ist, daß die Dame dich hier nicht mehr haben will…«

»Das kümmert mich nicht!« unterbricht sie mich heftig.

»Und was hast du vor?«

»Dasselbe wie vorher«, entgegnet sie und schaut immer noch zu Boden, »bis ich erreicht habe, was ich will.«

Aus ihren Worten spricht eine Entschlußkraft, die mir meinen Mut zurückgibt. »Gut!« sage ich, »gut, daß du weiterlernen und dich auf einen Beruf vorbereiten willst! Aber wie gedenkst du deinen Lebensunterhalt zu sichern?«

Mit ebensoviel Zuversicht wie Trotz entgegnet sie: »Ich treffe jetzt auf Schritt und Tritt jemanden, der mir eine Arbeitsstelle anbietet.«

Sanft versuche ich sie zu überreden: »Und das Dorf… Willst du nicht dahin zurückkehren?«

»Nein! Sie denken dort schlecht von mir!«

Fast bittend frage ich: »Und Machmud Abul-Abbas? Er hat sicher seine Fehler. Aber du bist doch stark, kannst ihn dir zurechtbiegen und zum Besseren führen!«

»Er denkt genauso schlecht von mir wie meine Angehörigen!«

Ich seufze traurig und ergeben: »Ich möchte mich nur ruhig fühlen können deinetwegen, Zuchra. Ich mag dich, und ich glaube, das beruht auf Gegenseitigkeit. Und im Namen Gottes bitte ich dich, daß du zu mir kommst, wenn du in irgendwelchen Schwierigkeiten bist!«

Da sie mich dankbar und liebevoll ansieht, fahre ich fort: »So bitter auch die Erfahrung war, die du gerade hinter dir hast, sie ändert nichts an der Natur der Dinge. Dein Ziel wird es immer noch bleiben, einen anständigen jungen Mann zu finden, den du heiraten kannst.«

Sie senkt den Kopf und seufzt.

»Du wirst den jungen Mann, der deiner würdig ist, mit Sicherheit treffen. Es gibt ihn irgendwo, und vielleicht hält er schon nach dem geeigneten Moment Ausschau!«

Sie sagt leise etwas vor sich hin, was ich nicht verstehe, aber mein Herz versichert mir, daß es gute Worte sind.

»Die Welt ist immer noch schön«, fahre ich fort, »und sie wird es bleiben!«

Wir sitzen noch eine Weile beieinander, einmal schweigend, dann wieder miteinander redend. Aber nach geraumer Zeit entschuldigt sie sich und geht in ihr Zimmer.

Ich bleibe lange Zeit allein, bis ich — ich bin eingeschlafen, ohne es zu merken — vom Geräusch der aufgehenden Tür aufwache.

Mariana und Tolba Marzuq kommen angetrunken und singend herein.

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Sure 24 (»Das Licht«), Verse 40-42