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»Sie meinen«, sagte sie leise, »wegen Identifizierung der Leiche meines Mannes?«

Der Richter neigte den Kopf.

»Ich habe starke Nerven, Monsieur. Ich kann alles ertragen, was mir auferlegt wird. Ich bin bereit - jetzt gleich.«

»Oh, es hat bis morgen Zeit, glauben Sie mir -«

»Ich möchte es lieber hinter mir haben«, sagte sie leise, und in ihrem Antlitz zuckte es schmerzlich. »Wollen Sie mir gütigst Ihren Arm reichen, Doktor?«

Der Doktor eilte auf sie zu, man gab ihr einen Mantel, und langsam stiegen wir die Treppe hinunter. M. Bex eilte voraus, um die Tür des Schuppens zu öffnen. Wenige Minuten später erschien Mme. Renauld im Eingang. Sie war sehr blaß, aber entschlossen. Hinter ihr, gleich einer munteren Henne, gackerte M. Hautet Entschuldigungen und Beteuerungen seines Mitgefühls.

Sie bedeckte ihr Antlitz mit der Hand.

Nur einen Augenblick, Messieurs, um Kraft zu sammeln.« Sie ließ die Hand sinken und blickte auf den Toten nieder. Da verließ sie die wunderbare Selbstbeherrschung, die sie bis dahin aufrechterhalten hatte.

»Paul!« schrie sie. »Mein Mann! Oh, Gott!« Und bewußtlos sank sie zu Boden.

Sofort war Poirot an ihrer Seite, er hob ihre Augenlider und fühlte den Puls. Als er sich überzeugt hatte, daß sie wirklich in Ohnmacht gesunken war, schlich er seitwärts. Er faßte meinen Arm.

»Ich bin ein Dummkopf, lieber Freund! Wenn je Liebe und Schmerz aus der Stimme einer Frau zu hören waren, so war es jetzt. Meine Vermutung war falsch. Ich muß von neuem beginnen.«

6

Der Doktor und M. Hautet trugen die Bewußtlose gemeinsam ins Haus. Der Kommissar blickte ihnen kopfschüttelnd nach.

»Arme Frau«, sagte er vor sich hin. »Der Schock war zu heftig. Ja, da kann man nichts machen. Nun, Monsieur Poirot, wollen wir uns jetzt nicht an den Ort begeben, an dem das Verbrechen verübt wurde?«

»Wie Sie wünschen, Monsieur Bex.«

Wir durchschritten das Haus und verließen es durch den Haupteingang. Poirot blickte die Treppen hinauf, als wir vorübergingen, und schüttelte unzufrieden den Kopf.

»Es scheint mir unglaublich, daß die Dienerschaft nichts gehört haben soll. Wenn drei Männer die Treppe herabsteigen, könnte das Knarren beinahe Tote erwecken!«

»Es war mitten in der Nacht, vergessen Sie das nicht. Da lagen alle im tiefsten Schlafe.«

Aber Poirot schüttelte den Kopf; ihm genügte diese Erklärung nicht. An der Kurve der Auffahrt blieb er stehen und sah zum Hause zurück.

»Was veranlaßte die Verbrecher, zuerst zu versuchen, ob der Haupteingang offen sei? Das war doch das Allerunwahrscheinlichste. Es wäre viel naheliegender gewesen, daß sie gleich versucht hätten, ein Fenster einzudrücken.

»Aber alle ebenerdigen Fenster sind mit Eisen vergittert«, entgegnete der Kommissar.

Poirot wies auf ein Fenster des ersten Stockes. »Dies ist doch das Fenster des Schlafzimmers, aus dem wir eben kamen, nicht? Und sehen Sie - da ist ein Baum, von dem man auf die leichteste Art und Weise ins Zimmer gelangen kann.«

»Möglich«, gab der andere zu. »Aber dann hätten sie Fußspuren im Blumenbeet hinterlassen müssen.«

Die Richtigkeit dieses Einwandes leuchtete mir ein. Dort waren zwei große, ovale Blumenbeete, mit roten Geranien, zu beiden Seiten der Stufen, die zum Haupteingang führten. Direkt hinter dem einen Beet stand der in Frage kommende Baum, und es wäre daher tatsächlich unmöglich gewesen, zu ihm. zu gelangen, ohne in das Beet zu treten.

»Sehen Sie«, fuhr der Kommissar fort, »infolge der trockenen Witterung sind auf der Auffahrt und den Fußwegen keine Fußabdrücke zu sehen; aber in der weichen Gartenerde des Blumenbeetes hätte die Sache ganz anders aussehen müssen.«

Poirot nickte, als wäre er überzeugt, und wir wandten uns weg, aber plötzlich eilte er davon, um das andere Blumenbeet zu untersuchen.

»Monsieur Bex«, rief er. »Sehen. Sie doch: Hier finden Sie genügend Fußspuren.«

Der Kommissar kam ihm nach - und lächelte.

»Mein lieber Poirot, das sind zweifellos die Abdrücke der großen Nagelschuhe des Gärtners. Jedenfalls sind sie aber für uns ganz unwichtig, da es auf dieser Seite keinen Baum gibt und infolgedessen auch keine Möglichkeit, in das obere Stockwerk zu gelangen.«

»Wohl wahr«, sagte Poirot sichtlich niedergeschlagen. »Sie glauben also, diese Fußspuren seien ohne Belang?«

»Ganz ohne jeden Belang.«

Zu meiner größten Verwunderung erwiderte nun Poirot: »Ich teile Ihre Ansicht nicht. Mir kommt vor, daß diese Fußspuren das Wichtigste sind, was wir bisher sahen.«

M. Bex antwortete nicht, zuckte aber die Achseln. Er war viel zu höflich, um seine Ansicht zu äußern.

»Wollen wir weitergehen?« fragte er statt dessen.

»Natürlich. Ich kann die Sache mit den Fußspuren auch später verfolgen«, erwiderte Poirot.

Statt die Fahrstraße zu benützen, die zum Gittertor führte, wählte M. Bex einen Pfad, der rechtwinkelig davon abzweigte. Er führte auf einen kleinen Abhang, rechts um das Haus herum, und war an beiden Seiten von Gesträuch eingefaßt. Plötzlich mündete er in eine kleine Lichtung, von der aus man das Meer überblickte. Dort befand sich eine Bank, und unweit davon war ein recht baufälliger Unterstand. Wenige Schritte weiter bezeichnete eine Reihe kleiner Sträucher die Grenze des Villengrundes. M. Bex bahnte sich einen Weg durch die Büsche, und vor uns lag eine weite Strecke offenen Hügellandes. Ich blickte umher und sah etwas, was mein Staunen erregte.

»Ja - das ist ja ein Golfplatz«, rief ich aus.

Bex nickte.

»Die Spielplätze sind noch nicht vollendet«, erklärte er. »Man hoffte, sie nächsten Monat eröffnen zu können. Die hier beschäftigten Arbeiter entdeckten heute morgen den Leichnam.«

Ich fuhr zurück. Ein wenig links, wohin ich eben geblickt hatte, befand sich eine lange, schmale Grube, und dicht daneben, mit dem Gesicht nach unten, lag der Körper eines Mannes. Einen Augenblick stockte mein Herzschlag, und ich hatte die wilde Vorstellung, daß das Drama sich wiederholt hätte. Aber der Kommissar zerstreute meinen Wahn, er schritt voraus und rief heftig und ärgerlich: »Was ist meinen Leuten eingefallen? Sie hatten strengen Befehl, niemanden ohne besondere Ausweispapiere in die Nähe dieses Ortes zu lassen!«

Der am Boden liegende Mann wandte den Kopf über die Schulter: »Aber ich habe diese Ausweise«, bemerkte er und stand auf.

»Mein lieber Monsieur Giraud«, rief der Kommissar, »ich hatte keine Ahnung, daß Sie schon angekommen sind. Der Untersuchungsrichter wartet schon ungeduldig auf Sie.«

Während er so sprach, betrachtete ich den Ankömmling voller Neugier. Der Name des berühmten Detektivs der Pariser Sürete war mir vertraut, und es interessierte mich außerordentlich, ihn leibhaftig vor mir zu sehen. Er war sehr groß, vielleicht dreißig Jahre alt, hatte rötliches Haar und Schnurrbart und militärische Haltung. Er trug ein ziemlich anmaßendes Wesen zur Schau, das bewies, daß er von seiner eigenen Wichtigkeit durchdrungen war. Bex machte uns bekannt und stellte Poirot als Kollegen vor. Da blitzte das Auge des Detektivs interessiert auf.

»Ich kenne Sie dem Namen nach, Monsieur Poirot«, sagte er. »Sie spielten in vergangenen Tagen eine große Rolle, nicht wahr? Aber die Methoden änderten sich inzwischen.«

»Die Verbrechen jedoch sind die gleichen geblichen«, bemerkte Poirot höflich.

Ich sah sofort, daß Giraud uns feindlich gegenübertrat. Er nahm es übel, daß Poirot ihm zugesellt worden war, und ich war überzeugt, daß, falls er eine wichtige Spur fände, er sie wahrscheinlich für sich behalten würde.

»Der Untersuchungsrichter -« begann Bex von neuem.

Aber Giraud unterbrach ihn unhöflich: »Der Teufel hole den Untersuchungsrichter! Das Licht ist momentan das Wichtigste. Für unsere Zwecke wird es ungefähr in einer halben Stunde nicht mehr genügen. Ich weiß alles über den Fall, und die Leute im Haus haben bis morgen Zeit, aber wenn wir auf die Spur des Mörders kommen wollen, ist hier der rechte Ort dafür. Haben Ihre Beamten den Platz so zertrampelt? Ich dachte, daß sie es heutzutage schon besser verstünden.«