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Also verließ ich den Strand und ging landeinwärts. Bald fand ich das Hotel du Phare, ein recht unansehnliches Gebäude. Es war im höchsten Grade ärgerlich, daß ich den Namen der Dame nicht kannte und, um mir nichts zu vergeben, beschloß ich, drinnen umherzuschlendern und mich umzusehen. Vermutlich würde ich sie auf der Terrasse finden. Merlinville ist ein kleiner Ort. Man verläßt sein Hotel, um sich an den Strand zu begeben, und man kehrt vom Strand wieder nach dem Hotel zurück. Andere Zerstreuungen gibt es nicht. Ein Kasino befand sich im Bau.

Da ich die ganzen Dünen abgegangen war, ohne ihr zu begegnen, mußte sie. im Hotel sein. Ich trat ein. Mehrere Leute saßen in der Veranda, doch das von mir verfolgte Wild befand sich nicht unter ihnen. Ich schritt durch mehrere Räume, aber auch da war keine Spur von ihr zu entdecken. Dann rief ich den Portier beiseite und drückte ihm fünf Franken in die Hand.

»Ich möchte eine Dame besuchen, die hier wohnt. Ein kleines, brünettes junges Mädchen, aus England. Ihren Namen weiß ich nicht genau.«

Der Mann schüttelte den Kopf und schien mit Mühe ein Grinsen zu unterdrücken: »Wir haben keine Junge Dame hier, wie Sie sie beschreiben.«

»Vielleicht ist sie Amerikanerin«, deutete ich an.

Der Bursche war zu blöd. Er schüttelte abermals den Kopf: »Nein, Monsieur. Alles in allem sind nur sechs oder sieben englische und amerikanische Damen hier, und alle sind viel älter als die Dame, die Sie suchen. Hier werden Sie sie nicht finden, Monsieur.«

Er sprach so bestimmt, daß ich nicht mehr zweifeln konnte.

»Aber die Dame sagte mir, daß sie hier wohne.«

»Monsieur muß sich geirrt haben - oder es ist wahrscheinlicher, daß die Dame den Irrtum beging, da auch schon ein anderer Herr hier nach ihr fragte.«

»Was sagen Sie da?« rief ich erstaunt.

»Aber ja, Monsieur. Ein Herr, der sie genauso beschrieb, wie Sie es eben taten.«

»Wie sah er aus?«

»Es war ein kleiner Herr, gut gekleidet, mit sehr steifem Schnurrbart, einem eigentümlich geformten Kopf und grünen Augen.«

Poirot! Deshalb also hatte er meine Begleitung zum Bahnhof abgelehnt. Welche Frechheit! Ich würde ihn bitten müssen, sich nicht in meine Angelegenheiten zu mischen. Bildete er sich ein, ich bedürfe eines Wärters, um mich zu betreuen? Ich dankte dem Mann und verließ das Hotel in einiger Verlegenheit und mit Groll im Herzen gegen meinen voreiligen Freund. Ich bedauerte, daß er augenblicklich außer Reichweite war. Es wäre ein Genuß gewesen, ihm sagen zu können, wie ich über seine unerbetene Einmischung dachte. Hatte ich ihm nicht ausdrücklich versichert, daß ich nicht die Absicht habe, das Mädchen wiederzusehen? Freunde können manchmal wirklich übertrieben hilfreich sein.

Aber wo steckte das Mädel nun? Ich unterdrückte meinen Ärger und versuchte das zu erraten. Augenscheinlich hatte sie aus Versehen ein falsches Hotel genannt. Dann kam mir ein anderer Gedanke. War es wirklich ein Versehen? Oder hatte sie mir wohlüberlegt ihren Namen vorenthalten und eine falsche Adresse angegeben?

Je länger ich darüber nachdachte, um so mehr neigte ich zu der Oberzeugung, daß die letztere Vermutung richtig sei. Aus irgendeinem Grund war es ihr nicht erwünscht, die Bekanntschaft zur Freundschaft reifen zu lassen. Und obwohl dies genau meiner eigenen Absicht von vor einer halben Stunde entsprach, entzückte es mich nicht, die Spitze nun gegen mich gerichtet zu sehen. Die ganze Sache war äußerst unerquicklich, und ich ging übelgelaunt zur Villa Genevieve zurück. Ich ging nicht in das Haus, sondern benutzte den Pfad, der zu der kleinen Bank neben der Hütte führte, und ließ mich, noch recht verdrießlich, dort nieder.

Doch der Klang von Stimmen in nächster Nähe lenkte meine trüben Gedanken ab. Gleich darauf stellte ich fest, daß sie nicht aus dem Garten kamen, in dem ich mich befand, sondern aus dem angrenzenden Garten der Villa Marguerite, und daß sie sich schnell näherten. Ich hörte eine Mädchenstimme, eine Stimme, die ich als die der schönen Marthe erkannte.

»Liebling«, sagte sie, »ist es wirklich wahr? Sind alle unsere Sorgen vorüber?«

»Das weißt du, Marthe«, erwiderte Jack Renauld. »Nichts kann uns jetzt mehr trennen, Geliebte. Das letzte Hindernis zu unserer Verbindung ist beseitigt.«

»Nichts?« flüsterte das Mädchen. »O Jack, Jack - ich fürchte mich.«

Ich ging vorsichtig zurück, da ich merkte, daß ich unbeabsichtigterweise zum Horcher geworden war. Als ich aufblickte, sah ich die beiden durch einen Spalt in der Hecke. Sie hatten die Gesichter mir zugewendet, der Arm des Mannes lag um das Mädchen, seine Augen blickten in die ihren. Sie waren ein wunderschönes Paar, der dunkle, gut gewachsene Jüngling und die blonde junge Göttin. Sie schienen wie füreinander geschaffen.

Aber das Gesicht des Mädchens blickte verstört, und Jack Renauld schien es zu bemerkten, denn er zog sie näher an sich und fragte: »Aber wovor fürchtest du dich, Liebling? Was gibt es - jetzt noch - zu fürchten?«

Und dann sah ich den Blick in ihren Augen, den Blick, von dem Poirot gesprochen hatte. Sie flüsterte, so daß ich die Worte fast erraten mußte: »Ich fürchte mich - für dich!«

Die Antwort des jungen Renauld hörte ich nicht, weil meine Aufmerksamkeit durch eine ungewöhnliche Erscheinung abgelenkt wurde, die ich erst jetzt unten an der Hecke gewahrte! Dort glaubte ich einen braunen Strauch zu sehen - sonderbar! Ich ging auf ihn zu, aber bei meinem Näherkommen zog sich der braune Strauch eiligst zurück, blickte mich an und legte den Finger an die Lippen. Es war Giraud.

Vorsichtig führte er mich rund um die Hütte, bis wir außer Hörweite waren.

»Was machen Sie denn hier?« fragte ich.

»Genau dasselbe wie Sie - ich horchte.«

»Aber ich tat es nicht absichtlich!«

»Oh!« sagte Giraud. »Ich schon.«

Wie immer, bewunderte ich den Mann, obwohl ich ihn nicht leiden konnte. Er sah mich von oben herab, beinahe mißbilligend an.

»Sie nützten der Sache nicht sehr, als Sie so hier hereinfielen. In einer Minute hätte ich vielleicht etwas sehr Wichtiges gehört. Wo haben Sie Ihr altes Fossil gelassen?«

»Monsieur Poirot ist nach Paris gefahren«, antwortete ich kühl. »Und ich kann Ihnen sagen, Monsieur Giraud, daß er alles eher ist als ein altes Fossil. Er hat viele Fälle entwirrt, die der englischen Polizei ein Rätsel waren.«

»Pah! Die englische Polizei!« Giraud schnalzte verächtlich mit den Fingern. »Sie scheint auf der gleichen Stufe zu stehen wie unsere Untersuchungsrichter. Er fuhr also nach Paris? Das ist gescheit. Aber was hofft er da zu finden?«

Mir schien, als klänge aus dieser Frage ein unbehaglicher Unterton. Ich richtete mich auf.

»Ich bin nicht berechtigt, darüber zu sprechen«, sagte ich ruhig.

Giraud warf mir einen durchbohrenden Blick zu.

»Er hatte wahrscheinlich genügend Verstand, es Ihnen nicht zu sagen«, bemerkte er grob. »Guten Tag, ich habe zu tun.« Und damit drehte er sich auf dem Absatz herum und ließ mich stehen.

In der Villa Genevieve schienen die Dinge zu einem Stillstand gekommen zu sein. Giraud wünschte offenbar meine Gesellschaft nicht, und nach dem, was ich beobachtet hatte, war es mir fast gewiß, daß auch Jack Renauld auf sie verzichten könne.