»Ich weiß gar nicht, was ich machen soll!« versetzte sie mit der vom Thema vorgegebenen Schüchternheit. »Ich habe eine so empfindliche weiße Haut! Die sengende Sonne verdirbt mir den Teint und beschert mir womöglich noch Sommersprossen.«
»Ich neige auch zu Sommersprossen«, antwortete der Russe mit tiefem Ernst. »Aber ich habe vorgesorgt und eine Lotion aus dem Extrakt der türkischen Kamille mitgenommen. Schauen Sie - die Bräunung ist gleichmäßig, und keine Sommersprossen.«
Und der Verführer, diese Schlange, hielt der wohlanständigen Frau sein hübsches Gesicht hin.
Mrs. Truffos Stimme zitterte verräterisch.
»Tatsächlich, keine einzige Sommersprosse. Nur daß die Brauen und Wimpern ein wenig ausgeblichen sind. Sie haben ein schönes Epithel, Mr. Fandorin, einfach bildschön.«
Gleich küßt er sie, prophezeite Renate, als sie das Epithel des Diplomaten nur noch fünf Zentimeter von der puterroten Physiognomie der Arztfrau entfernt sah.
Sie irrte sich.
Fandorin rückte ab und sagte: »Epithel? Sie kennen sich in Physiologie aus?«
»Ein wenig«, antwortete Mrs. Truffo bescheiden. »Ich hatte vor meiner Heirat mit Medizin zu tun.«
»Wirklich? Wie interessant! Das müssen Sie mir unbedingt e-erzählen!«
Leider konnte Renate das Schauspiel nicht zu Ende genießen, denn eine Bekannte setzte sich zu ihr, und sie mußte die Beobachtung aufgeben.
Aber die plumpe Attacke der dummen Mrs. Truffo hatte
Renates Eitelkeit angestachelt. Ob sie auch mal die Wirkung ihrer Reize auf das appetitliche russische Bärchen ausprobierte? Natürlich nur aus rein sportlichem Interesse und um nicht die Fertigkeiten einrosten zu lassen, ohne die keine auf sich haltende Frau auskommt. Für Liebesglut hatte Renate keinen Sinn. Offen gestanden, in ihrem Zustand verursachten die Männer ihr nichts als Übelkeit.
Um sich die Zeit zu vertreiben, legte sie sich einen einfachen Plan zurecht. Leichte Seemanöver unter dem Codenamen »Bärenjagd«. Im übrigen hatten die Männer mehr Ähnlichkeit mit der Gattung der Hunde. Sie waren bekanntlich primitive Wesen und teilten sich in drei Grundtypen: Schakale, Schäferhunde und Rüden. Und jeder Typ verlangte ein anderes Herangehen.
Der Schakal nährte sich von Aas - also bevorzugte er leichte Beute. Männer dieses Typs flogen auf Zugänglichkeit.
Als Renate mit Fandorin zum erstenmal unter vier Augen sprach, klagte sie über ihren Mann, den langweiligen Bankier, der nur Zahlen im Kopf habe und sich nicht um seine junge Frau kümmere. Hier hätte sogar ein Dummkopf mitbekommen, daß die Frau unter Langeweile und Sehnsucht litt.
Es klappte nicht. Sie mußte sich lange zudringlicher Fragen nach der Bank ihres Mannes erwehren.
Na schön, Renate stellte sich um auf Schäferhund. Diese Sorte Männer vergöttert schwache und schutzlose Frauen. Sie wollen nicht gefüttert werden, sie wollen retten und schützen. Eine gute Unterart, nützlich und angenehm im Umgang. Nur darf man mit Kränklichkeit nicht zu dick auftragen - Männer fürchten sich vor kranken Frauen.
Ein paarmal verging Renate fast vor Hitze, und sie lehnte sich graziös an die eiserne Schulter ihres Ritters und Beschützers. Einmal bekam sie ihre Kabinentür nicht auf, der Schlüssel klemmte. Abends auf dem Ball bat sie Fandorin, ihr einen angetrunkenen (doch ganz harmlosen) Dragonermajor vom Leibe zu halten.
Der Russe hielt ihr die Schulter hin, öffnete ihr die Tür, erteilte dem Dragoner eine Abfuhr, ließ aber kein Zeichen von Verliebtheit erkennen.
Sollte er ein Rüde sein? dachte Renate verwundert. Das sieht man ihm nicht an.
Dieser dritte Männertyp war der unkomplizierteste, er ermangelte gänzlich der Phantasie. Auf Männer dieser Art wirkte nur etwas derb Sinnliches wie ein zufällig entblößter Fußknöchel. Andererseits gehörten viele bedeutende Männer und sogar Koryphäen der Kultur gerade diesem Typ an, und darum war es einen Versuch wert.
Mit den Rüden war ein ganz urtümlicher Umgang angezeigt. Renate bat den Diplomaten, mittags punkt zwölf zu ihr zu kommen, sie wolle ihm ihre Aquarelle zeigen (die in Wirklichkeit gar nicht existierten). Eine Minute vor zwölf stand die Jägerin vor dem Spiegel, nur mit Mieder und Unterhose angetan.
Auf das Klopfen rief sie laut: »Kommen Sie herein, ich warte schon auf Sie!«
Fandorin öffnete und blieb starr in der Tür stehen. Renate, ohne sich umzudrehen, wackelte mit dem Popo und stellte aufreizend den nackten Rücken zur Schau. Schon im achtzehnten Jahrhundert hatten kluge Schöne herausgefunden, daß auf Männer weniger ein nabeltiefes Dekollete wirkte als vielmehr ein entblößter Rücken. Offenbar weckte der Anblick der schutzlosen Wirbelsäule bei den menschlichen Männchen einen räuberischen Instinkt.
Der Diplomat schien beeindruckt - er stand und guckte, ohne sich abzuwenden. Mit dem Effekt zufrieden, sagte Renate launisch: »Na, was ist, Jenny, helfen Sie mir bitte ins Kleid. Gleich kommt ein sehr wichtiger Gast.«
Wie hätte sich ein normaler Mann in solcher Situation verhalten?
Nun, ein Frechling wäre schweigend hinzugetreten und hätte die zarten Löckchen am Hals geküßt.
Ein gewöhnlicher Mann hätte ihr das Kleid gereicht und schüchtern gekichert.
In dem Moment hätte Renate die Jagd als erfolgreich beendet angesehen. Sie hätte die Verlegene gespielt, den Eindringling vor die Tür gesetzt und jegliches Interesse an ihm verloren. Aber Fandorin fiel aus dem Rahmen.
»Es ist nicht Jenny«, sagte er mit scheußlich gelassener Stimme. »Ich bin’s, Erast Fandorin. Ich werde draußen w-warten, bis Sie sich angezogen haben.«
Also gehörte er einer gegen Verführung gefeiten seltenen Art an oder er war ein heimlicher Perversling. Im zweiten Falle wären die Bemühungen kleiner Engländerinnen ohnehin vergeblich. Renates scharfes Auge konnte jedoch keine Anzeichen für perverse Neigungen entdecken. Außer vielleicht das sonderbare Bestreben, sich mit Schnauzer zurückzuziehen.
Aber das waren alles Dummheiten. Es gab schwerer wiegende Gründe für Verdruß.
Als Renate sich eben entschlossen hatte, mit der Gabel in dem erkalteten Aalsaute zu stochern, sprangen die beiden Türflügel polternd auf, und herein stürmte der bebrillte Professor. Er hatte schon immer einen etwas närrischen Eindruck gemacht - mal war das Jackett schief zugeknöpft, mal waren die Schnürsenkel nicht zugeknotet. Jetzt aber sah er vollends derangiert aus: das Bärtchen zerzaust, der Schlips verrutscht, die Augen weit aufgerissen, unterm Rock hervor baumelte der Hosenträger. Etwas Außergewöhnliches mußte ihm widerfahren sein. Renate vergaß im Nu ihre Unannehmlichkeiten und starrte neugierig auf die gelehrte Vogelscheuche.
Professor Sweetchild breitete wie ein Ballettänzer die Arme aus und schrie: »Heureka, meine Herrschaften! Das Geheimnis des Smaragdenen Radschas ist gelöst!«
»O no!« stöhnte Mrs. Truffo. »Not again!«[8]
»Auf einmal paßt alles zusammen!« erklärte der Professor verworren. »Ich war doch mehr als einmal im Palast, wieso bin ich nicht früher darauf gekommen! Ich habe hin und her überlegt, und es fügte sich nicht zueinander! In Aden bekam ich ein Telegramm von einem Bekannten im französischen Innenministerium, und er bestätigte meine Vermutungen, doch ich kapierte noch immer nicht, was das Auge bedeutet und vor allem, wer das sein mag. Das heißt, wer, das ist schon klar, aber wie? Auf welche Weise? Und plötzlich ging mir ein Licht auf!« Er lief zum Fenster. Die vom Wind geblähte Gardine umhüllte ihn wie ein weißes Gewand - der Professor schob sie ungeduldig weg. »Ich band mir meinen Schlips, stand dabei am Kabinenfenster und blickte auf die Wellen. Kamm auf Kamm, bis zum Horizont. Und da kam mir die Erleuchtung! Und alles paßte zusammen - das mit dem Tuch, dem Sohn! Eine reine Büroarbeit. Die Listen der Ecole Maritime durchsehen, und schon hat man ihn!«
»Ich verstehe kein Wort«, knurrte Schnauzer. »Phantastereien. Maritime ...«