»Ich hab gehört, daß nur zwanzig Personen auf Hanks Beerdigung waren.« Miranda bedrückte es, daß ein Mensch nicht beliebt genug war, um die Kirche zu füllen. Immerhin ist es sein letztes gesellschaftliches Ereignis.
»Wie ihr sät, so werdet ihr ernten.« Harry zitierte die Bibel nicht ganz korrekt, worauf die ältere Frau lächelte.
»Manche Menschen lernen es nie, mit anderen auszukommen. Vielleicht werden sie so geboren.« Susan gab jegliche Selbstbeherrschung auf und nahm sich das letzte Zimtteilchen mit Orangenglasur.
»Susan Tucker«, trällerte Harry.
»Ach, ich weiß«, kam die matte Antwort.
»Ihr habt gute Figuren. Kein Grund zur Sorge.« Miranda bückte sich, um Tucker den Kopf zu kraulen. »Ich frage mich, warum das so ist. Ich meine, wie kommt es, daß manche Menschen andere anziehen und andere es immer fertig bringen, ein falsches Wort zu sagen oder einem ein komisches Gefühl einzuflößen. Ich kann nicht ausdrücken, was ich meine, aber Sie verstehen doch, was ich sagen will?«
»Schlechte Ausstrahlung«, sagte Harry kurz und bündig und alle drei lachten.
»Schlechte Ausstrahlung mal beiseite - Little Mim hat sich mächtig ins Zeug gelegt. Sie will allen Ernstes Bürgermeisterin werden.« Susan war verblüfft, weil Little Mim noch nie ein Ziel im Leben gehabt hatte.
»Vielleicht wär's gut«, sagte Harry nachdenklich. »Vielleicht brauchen wir ein paar neue Ideen.«
»Aber wir können uns nicht gegen ihren Vater stellen. Er ist ein guter Bürgermeister und er kennt alle und jeden. Die Leute hören auf Jim.« Harry war gespannt, wie das ausgehen würde. »Ich sehe nicht ein, warum er sie nicht zur zweiten Bürgermeisterin ernennen kann.«
»Harry, den Posten gibt's nicht«, belehrte Miranda sie.
»Tja«, erwiderte sie. »Warum können wir ihn dann nicht schaffen? Egal, ob wir ihn jetzt als vollendete Tatsache verlangen oder den Stadtrat beauftragen, ein Referendum abzuhalten, es ist entschieden einfacher, als bis November zu warten.«
»Oh, Sie brauchen Jim Ihre Idee nur mitzuteilen und er wird Marilyn ernennen. Sie wissen, daß der Stadtrat ihn unterstützen wird. Außerdem möchte niemand zwischen Vater und Tochter die Fetzen fliegen sehen - nicht daß Jim kämpfen würde, das wird er nicht tun. Aber wir wissen alle, daß Little Mim kaum eine Chance hat. Ihre Lösung ist gut, Harry. Gut für alle. Der Tag wird kommen, da Jim nicht mehr Bürgermeister sein kann, und auf diese Weise hätten wir einen glatten Übergang. Sprechen Sie mit Jim Sanburne«, redete Miranda ihr zu.
»Vielleicht sollte ich zuerst mit Mim sprechen.« Harry leerte ihre Teetasse.
»Na ja«, sagte Susan, »aber dann hört Jim es zuerst von seiner Frau. Geh lieber zuerst zu ihm, weil er das gewählte Stadtoberhaupt ist, und dann gehst du noch am selben Tag zu ihr. So kann sie nicht richtig sauer werden.«
»Du hast Recht.« Mit entschlossener Miene kritzelte Harry die Idee auf ihre Serviette.
Das Telefon klingelte. Einen Moment rührte sich keine vom Platz.
»Ich geh ran.« Mrs. Murphy sprang auf die Anrichte, schlug den Hörer des Wandtelefons von der Gabel.
»Ihr neuester Trick.« Harry lächelte, stand auf und nahm den Hörer. »Hallo.« Sie lauschte. »Coop, das kann ich nicht glauben.« Sie lauschte wieder. »Ja, danke.« Sie wandte sich ihren Freundinnen zu, ihr Gesicht war kreidebleich. »Larry Johnson ist erschossen worden.«
»Oh mein Gott.« Miranda schlug die Hände vors Gesicht. »Ist er.?« Sie konnte es nicht aussprechen.
25
Das kreiselnde Blaulicht von Ricks Streifenwagen warf einen trüben Schimmer auf die Szenerie. Cynthia stand mit Rick hinter den drei Ställen von Twisted Creek Stables. Der Parkplatz für Pferdeanhänger und Lieferwagen lag außer Sicht hinter den Ställen. Die Leute, die Pferdeboxen gemietet hatten, konnten ihre Fahrzeuge auf dem Platz abstellen.
Larry Johnson, der in der Stadt wohnte, hatte sein Pferd hier in Pflege gegeben. Das hatte er immer so gehalten mit der Erklärung, er sei kein Landmensch und wolle auch keiner werden. Seit er nach dem Krieg seine Praxis eröffnet hatte, waren seine Pferde in Pflege.
Er lag mit dem Gesicht nach unten im Gras, eine Kugel im Rücken, eine zweite hatte ein Stück von seinem hinteren Schädel weggerissen. Er war seit Stunden tot. Wie lange, ließ sich schwer sagen, da das Thermometer gefallen war. Er war steif gefroren.
Er hätte die ganze Nacht dort gelegen, wäre nicht Krystal Norton, eine Stallarbeiterin, in den hinteren Stall gegangen, um noch Futter zu bringen. Sie glaubte hinter dem Stall einen Motor zu hören, ging hinaus, und richtig, da parkte Larrys Transporter mit laufendem Motor. Sie hatte Larry erst bemerkt, als sie schon halbwegs beim Wagen war, um den Motor abzustellen.
»Krystal«, fragte Cynthia mitfühlend, »wie ist der Ablauf normalerweise? Was würde Larry nach dem Jagdfrühstück getan haben?«
»Er wäre zu dem ersten Stall gefahren, hätte sein Pferd abgeladen und in die Box gebracht, dann wäre er hierhergefahren, hätte seinen Anhänger abgekuppelt und wäre mit seinem Transporter nach Hause gefahren.«
»Und hat er sein Pferd abgeladen?«
»Ja.« Krystal putzte sich die triefende Nase; sie schluchzte aus Erschütterung und weil sie Dr. Johnson gern hatte. Alle hatten ihn gern.
»Ist niemandem aufgefallen, daß er nicht weitergefahren ist?« Cynthia führte Krystal ein paar Schritte fort von dem Toten.
»Nein. Wir hatten alle viel zu tun. In diesem Kostgängerstall gehen die Leute andauernd ein und aus.« Sie benutzte den Ausdruck>Kostgängerstall<, was so viel bedeutete wie Mietstall.
»Sie haben kein Knacken gehört?« »Nein.«
»Manchmal klingt Gewehrfeuer wie Knacken. Es ist durchaus nicht wie im Kino.« Coop sah Scheinwerferlichter in die lange Zufahrt schwenken und hoffte, es seien die Wunderkinder, wie sie den Fingerabdruckmann, den Fotografen und den Gerichtsmediziner nannte.
»Wir lassen das Radio immer laut laufen.« Krystal senkte den Kopf, dann sah sie die Polizistin an. »Wie kann so was passieren?«
»Das weiß ich nicht, aber es ist mein Job, es rauszukriegen. Wie lange arbeiten Sie schon hier?«
»Zwei Jahre.«
»Krystal, gehen Sie wieder in den Stall. Wir sagen Ihnen, wann Sie nach Hause können, aber Sie brauchen nicht hier draußen in der Kälte zu stehen. Die Sache ist schrecklich und es tut mir so Leid.«
»Ist da - läuft da 'n durchgeknallter Irrer frei rum?«
»Nein«, antwortete Cynthia entschieden. »Wir haben es mit einem kaltblütigen Mörder zu tun, der etwas schützen will, aber ich weiß nicht was. Dies ist kein Verbrechen aus Leidenschaft. Es ist kein Sexualverbrechen oder Raubmord. Ich glaube nicht, daß Sie in Gefahr sind. Wenn Ihnen bange sein sollte, rufen Sie mich an.«
»Okay.« Krystal putzte sich noch einmal die Nase und ging in den Stall zurück.
Die Scheinwerfer gehörten zu Mim Sanburnes dickem Bentley. Sie schlug die Tür zu und rannte zu Larry Johnson. Sie ließ sich auf ein Knie nieder, um ihn in ihre Arme zu nehmen.
Der Sheriff packte sie freundlich, aber fest an den Schultern. »Sie dürfen ihn nicht anfassen, Mrs. Sanburne. Sie könnten einen Beweis vernichten.«
»Oh Gott.« Mim sank in die Knie, barg den Kopf in den Händen. Sie kniete neben dem Leichnam, sah, daß ein Stück Schädel fehlte, sah das Loch in Larrys Rücken.
Rick gab Coop ein Zeichen, rasch herzukommen.
Mit ihren langen Beinen legte Cynthia die Strecke zwischen Stall und Parkplatz schnell zurück. Sie kniete sich neben Mim. »Miz Sanburne, kommen Sie, ich bringe Sie zu Ihrem Auto.«
»Nein, nein. Ich will bei ihm bleiben, bis man ihn fortbringt.«
Wieder schlängelten sich Scheinwerferlichter die Zufahrt entlang. Miranda Hogendobber stieg aus ihrem alten Ford Falcon, der noch lief wie eine Eins. Hinter ihr kamen Susan, Harry, die zwei Katzen und der Hund in Susans Audi Kombi.