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»Ja. Und es ist Jagdsaison. Die Leute laufen mit Gewehren und Handfeuerwaffen rum. Das fällt nicht weiter auf.« Pewter plusterte ihr Fell auf. Sie war keine Katze, die sich in der Kälte wohl fühlte.

»Laßt uns lieber zurückgehn, bevor Harry sich Sorgen macht.« Mrs. Murphy hob den Kopf zum Himmel. Die Sterne strahlten kalt, wie sie es nur im Winter taten.»Wer immer der Kerl ist, er kann sich schnell bewegen. Er war bei dem Frühstück. Garantiert hat er Larry gehört.«

»Glaubst du, es war derselbe, der Mutter auf den Schädel geschla­gen hat?«, fragte Pewter.

»Schon möglich.« Mrs. Murphy sprang den Hügel hinunter. »Das gibt mir nicht gerade ein warmes, kuschliges Gefühl.« Tucker wurde es mulmig in der Magengrube.

26

Das Feuer in Mirandas Kamin knisterte, die alte Buffetuhr auf dem Sims tickte asynchron zum Rhythmus der Flammen. Mim lag auf dem Sofa, eine Wolldecke, die Miranda vor Jahrzehnten gestrickt hatte, um die Beine gewickelt. Heißer Kakao dampfte in einem Be­cher auf dem Couchtisch. Miranda saß Mim gegenüber in einem Polstersessel.

»Hoffentlich hat er nicht gelitten.«

»Sicher nicht.« Miranda trank einen Schluck aus ihrem Kakaobe­cher. Sie nahm abends gerne Kakao oder warme Milch zu sich und hoffte, daß das Getränk ihre Freundin etwas beruhigte.

»Miranda, ich war ein Dummkopf.« Mims hübsches Gesicht ver­zog sich vor Kummer.

Mim konnte für eine Frau Mitte vierzig durchgehen und wurde auch oft dafür gehalten. Da sie reich war, konnte sie sich alle mögli­chen Prozeduren zur Konservierung ihrer Schönheit leisten. Mim war mit den Jahren distanziert und hochmütig geworden. Sie war stets herrisch gewesen, schon als Kind. Befehle zu erteilen war für sie wie die Luft zum Leben. Immer und überall mußte sie im Mittel­punkt stehen, und die sie kannten und liebten, fanden sich damit ab. Andere verabscheuten es. Den Leuten, die untereinander um Macht rangelten, dem Baulöwen, der bereit war, die Landschaft zu zerstö­ren, dem unglaubwürdigen Politiker, der das eine versprach und et­was anderes oder gar nichts wahr machte, ihnen allen war Mim ver­haßt.

Die Beziehung zu ihrer Tochter wechselte zwischen spinnefeind und herzlich, je nachdem; denn Mim war keine überschwengliche Mutter. Die Beziehung zu ihrem Sohn, der verheiratet war und in New York City lebte, hatte sich von Anbetung über Wut und Kälte zu allmählicher Akzeptanz gewandelt. Die Wut war ausgebrochen, weil er ein afroamerikanisches Model geheiratet hatte, so etwas hatte es in Mims Generation nicht gegeben. Doch Stafford bewies eben jene Selbstsicherheit, die seine Mutter an den Tag legte und schätzte. Mit der Zeit und mit Hilfe von Mary Minor Haristeen, die mit Staf­ford befreundet war, hatte Mim sich mit ihrem Rassismus auseinan­der gesetzt und ihn abgelegt.

Ihre Tante Tally Urquhart, über neunzig und quicklebendig, sagte ständig zu Mim: »Veränderungen machen das Leben aus.« Mim verstand es manchmal und manchmal nicht. Meistens meinte sie, Veränderungen würden andere Menschen betreffen, nicht aber sie.

»Du warst kein Dummkopf, hast in deinem Leben sehr viel Gutes getan«, sagte Miranda aufrichtig zu ihr.

Mim sah sie fest an, ihre hellen Augen glänzten. »Aber war ich gut zumir? Mir fehlt es an nichts. In dieser Hinsicht war ich vermutlich gut zu mir, ansonsten jedoch habe ich mich lieblos behandelt. Ich habe vieles unterdrückt, habe andere vor den Kopf gestoßen, meine tiefsten Gefühle erstickt.« Sie tupfte sich mit einem bestickten Lei­nentaschentuch eine Träne fort. »Und jetzt ist er tot. Ich kann es nie mehr an ihm gutmachen.«

In ihrem Alter konnte Miranda es sich leisten, schonungslos offen zu sein. »Würdest du es denn tun? Er war über siebzig. Würdest du es tun?«

Mim weinte wieder. »Ach, ich wünschte, ich könnte ja sagen. Ich wünschte, ich hätte eine Menge Dinge getan. Warum hast du es mir nicht gesagt?«

»Gesagt, dir? Mim, du läßt dir von niemandem etwas sagen. Du sagst uns, was wir zu tun haben.«

»Du kennst mich doch, Miranda. Du weißt, wie ich bin.«

»Es war ein langer Weg, nicht? Lang und voller Überraschungen.« Sie atmete tief ein. »Wenn es sein sollte, dann sollte es sein. Du und Larry.« Sie blickte einen Moment ins Feuer. »Wie lange das her ist. Du warst schön. Ich hab dich um deine Schönheit beneidet. Nie um das Geld. Nur um die Schönheit. Und er war stattlich in seiner Mari­neuniform.«

»Irgendwo auf dem Weg sind wir alt geworden.« Mim ließ ihre be­ringte Hand auf die Brust sinken. »Ich weiß nicht recht, wie.« Sie setzte sich auf. »Miranda, ich will wissen, wer Larry umgebracht hat. Ich werde den Kerl bis ans Ende der Welt verfolgen, wie die Harpy­ien Orest verfolgt haben. Ich schwöre es, Gott ist mein Zeuge.«

»Der Herr wird Vergeltung üben. Kümmere du dich um deine An­gelegenheiten, Mimsy. Wer das getan hat, würde nicht davor zurück­schrecken, auch dich umzubringen. Die haben Harry auf den Kopf geschlagen.«

»Ja, an ihrer Geschichte war was faul.«

Miranda schloß die Augen. Es war ihr herausgerutscht, und das, nachdem sie Harry versprochen hatte, es nicht zu erzählen. »Oh, wie dumm von mir. Aber jetzt ist die Katze aus dem Sack. Harry hat im Keller des Krankenhauses herumgeschnüffelt und jemand hat ihr eins über die Birne gebraten. Es sollte geheim bleiben, und ich, nun ja, du kannst ein Geheimnis für dich behalten - offensichtlich.«

»Komisch, nicht? Wir leben alle fast auf Tuchfühlung, jeder kennt jeden in Crozet, und doch trägt jeder von uns Geheimnisse mit sich herum - manchmal bis ins Grab.«

»Es heißt, wir sollen ehrlich sein, wir sollen die Wahrheit sagen, aber die Leute wollen sie nicht hören«, bemerkte Miranda weise.

»Mutter wollte es bestimmt nicht«, sagte Mim.

»Tja, Liebes, aber mit Jim Sanburne hast du's ihr gründlich heim­gezahlt.«

Ein schwaches Lächeln huschte über Mims Gesicht. »Das hat sie beinahe umgebracht. Tante Tally hatte Verständnis, aber sie versteht ohnehin mehr als wir Übrigen. Sie ermahnt mich auch immer wie­der.«

»Warumhast du Jim geheiratet?«

»Er war groß, gut aussehend, voller Tatendrang. Ein aufstrebender Typ, wie Dad gesagt hätte. Sicher, er war von niederem Stand. Das brachte Mutter um, aber ich hatte inzwischen etwas gelernt.«

»Was?«

»Ich hatte gelernt, mich durchzusetzen. Zum Teufel mit den an­dern. Ich dachte, daß sie mich aus dem Testament streichen würde.«

»Hast du ihn geliebt?«

Ein langes, langes Schweigen trat ein, dann lehnte Mim sich zu­rück. »Ich wollte verliebt sein, wollte das, was man sich wünscht, wenn man jung ist. Ich habe Jim nie so geliebt wie Larry. Er ist ein ganz anderer Mensch. Ach weißt du, die ersten Jahre, als ich Larry sah, wie er zur Arbeit ins Krankenhaus und dann in seine Praxis fuhr, und im Country Club mit Bella. Anfangs tat sein Anblick mir weh, weil ich Unrecht getan hatte. Ich wußte, daß ich Unrecht getan hatte. Aber er hat immer gesagt, daß er mir verziehen hat. Ich war jung, war noch keine Zwanzig, als ich mich in Larry verliebte. Er war so gütig. Ich glaube, ein Stückchen von mir ist gestorben, als er heirate­te, aber ich hatte Verständnis. Und.« Sie hielt die Hände auf, als enthielten sie einen Schatz. »Was hätte ich tun können?«

»Die Liebe stirbt nicht. Die Menschen sterben, aber die Liebe ist ewig. Das glaube ich von ganzem Herzen und aus ganzer Seele. Und ich glaube, Gott gibt uns die Chance, noch einmal zu lieben.«

»Wenn du mich um mein Aussehen beneidest, dann beneide ich dich um deinen Glauben.«

»Du kannst nicht mit dem Verstand zum Glauben gelangen, Mim. Du mußt einfach dein Herz öffnen.«

»Wie wir beide wissen, konnte ich das nicht allzu gut. Manchmal frage ich mich, ob ich eine liebevollere Frau geworden wäre, wenn ich mich eher gegen meine Familie aufgelehnt und Larry geheiratet hätte. Ich glaube ja. Ich habe mich verschlossen. Ich wurde reser­viert, habe mich verloren. Jetzt habe ich ihn verloren. Verstehst du, auch wenn wir kein Liebespaar mehr waren, auch wenn jeder von uns sein Leben lebte, wußte ich doch, er war da. Ich wußte, er war da.« Sie weinte jetzt heftiger. »Oh Miranda, ich habe ihn so sehr geliebt.«