Miranda erhob sich aus ihrem Sessel und setzte sich auf die Sofakante. Sie nahm Mims Hand in ihre beiden Hände. »Mimsy, er wußte, daß du ihn liebst.«
»Bald wußte Jim es auch. Ich glaube, deswegen ist er untreu geworden - ja, und weil er meine Herumkommandiererei satt hatte. Es ist ziemlich schwierig für einen Mann, wenn die Ehefrau das ganze Geld hat. Ich glaube, auch umgekehrt, aber das wird von der Tradition unterstützt, und außerdem hat man uns zu Einfaltspinseln erzogen. Wirklich und wahrhaftig.« Mims klangvolle Stimme zitterte. »Das gehört auch zu den Dingen, die ich an Larry geliebt habe. Er hat meinen Verstand respektiert.«
»Wie im Sprichwort der Amish:>Wir werden zu früh alt und zu spät klug.<« Miranda lächelte. »Aber Jim hat es überwunden oder er ist alt geworden. Ich weiß nicht, was von beiden.«
»Brustkrebs. Das hat uns beiden einen Schrecken eingejagt. Ich glaube, dadurch ist Jim zu mir zurückgekommen, da hat er erkannt, daß er mich liebt. Und vielleicht waren wir ja beide dumm. Aber das liegt alles hinter mir. Der Krebs ist in fünf Jahren nicht wiedergekehrt und Jims Untreue auch nicht.« Sie lächelte leicht und seufzte. »Was hat Jim gesagt, als du mit ihm gesprochen hast? Ich weiß es nicht mehr. Du hast es mir erzählt, aber ich erinnere mich nicht mal mehr, daß du mich hergefahren hast.« »Wir sollen ihn anrufen, wenn du ihn brauchst. Er wollte sofort zu Twisted Creek Stables.« Sie ließ Mims Hand los und nahm Mims Becher vom Couchtisch. »Das wird dir gut tun, damit du dich etwas besser fühlst.«
Mim trank und gab Miranda den Becher zurück. »Danke.«
»Ich möchte jetzt nicht in Sheriff Shaws Haut stecken.«
»Ich hatte irrtümlich angenommen, die Sache hätte nichts mit uns zu tun.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Als Hank Brevard mit durchschnittener Kehle aufgefunden wurde, dachte ich, wie brutal, aber Hank hatte die Kunst nicht beherrscht, sich bei anderen beliebt zu machen. Daß ihn letztendlich jemand ermordete, schien gar nicht so abwegig. Man mußte nur den Grund finden. Aber jetzt - jetzt ist alles anders.«
Miranda nickte. »Ja.«
»Ich denke, der Tod ist ein Affront. Ich weiß, für dich ist er das nicht. Du denkst, du wirst mit Jesus vereint werden. Ich hoffe, du hast Recht.«
»>Denn ich habe kein Gefallen am Tod des Sterbenden, spricht der Herr. Darum bekehret euch, so werdet ihr leben< Hesekiel, achtzehntes Kapitel, Vers zweiunddreißig.«
»Du hast dich auch verändert, Miranda.«
»Ich weiß. Nach Georges Tod war die Kirche mein Trost. Vielleicht habe ich mich zu eifrig bemüht, andere zu trösten.« Ihre Lippen verzogen sich kurz zu einem Lächeln. »Alles braucht seine Zeit.«
»Und Tracy.« Mim erwähnte Mirandas Highschool-Freund, der wieder in ihr Leben getreten war und gerade in Hawaii weilte, um sein Haus zu verkaufen.
»Ich fühle mich wieder lebendig. Und dir wird es auch so ergehen. Wir müssen uns etwas überlegen, was wir tun können, um Larry zu ehren, etwas, das ihm Freude bereitet hätte.«
»Ich dachte, ich richte an der medizinischen Fakultät der Virginia University ein Stipendium in seinem Namen ein - für Allgemeinmedizin.«
»Und Jim?«
»Die Idee wird ihm gefallen. Er ist nicht engherzig.«
»Ich weiß.« Miranda lächelte. »Meinst du, daß du irgendwann einmal mit ihm über jene Jahre sprechen kannst?«
Mim schüttelte den Kopf. »Warum? Ach, weißt du Miranda, ich glaube, manche Dinge bleiben in einer Ehe besser ungesagt. Und ich meine, das weiß jede Frau.«
»Mim, ich meine, das weiß auch jeder Mann.«
»Ich denke immer, sie wissen weniger als wir, die meisten jedenfalls.«
»Wenn du dich da nicht täuschst.« Miranda stand auf und warf noch ein Holzscheit ins Feuer. »Noch Kakao?«
»Nein, danke.«
»Glaubst du, daß du schlafen kannst? Das Gästezimmer ist warm und gemütlich.«
»Ich glaub schon.« Mim schob die Wolldecke beiseite und stand auf. »Ich betrachte dich als selbstverständlich, Miranda, so wie ich viele Menschen als selbstverständlich betrachtet habe. Du bist mir eine gute Freundin. Eine bessere als ich dir bin.«
»So denke ich nicht, Mim. Es gibt nur die Liebe. Man tut etwas für die Menschen, die man liebt.«
»Hm.« Dies zu sagen, fiel Mim schwer: »Ich hab dich lieb.«
»Ich hab dich auch lieb.«
Die alten Freundinnen umarmten sich. Miranda führte Mim ins Gästezimmer.
»Miranda, wer immer Larry ermordet hat, der hatte kein Gewissen. Das ist die eigentliche Gefahr.«
27
Während die meisten Bewohner von Crozet den Abend in Bestürzung und Tränen verbrachten, arbeiteten Sheriff Shaw und Cynthia Cooper wie besessen.
Sobald Larrys Leichnam auf den Ambulanzwagen geladen worden war, rasten Shaw und Cooper zu Sam Mahanes. Sie klopften an die Haustür.
Sally öffnete. »Sheriff Shaw, Coop, kommen Sie herein.« Sie konnten die Jungen oben im Badezimmer plantschen und quietschen hören.
»Verzeihen Sie die Störung, Sally, aber es ist wichtig.«
»Das weiß ich.« Sie lächelte unbefangen und zeigte ihre breiten, ebenmäßigen Zähne. »Er ist in seiner Werkstatt.«
»Dann gehen wir gleich runter.« Rick hatte die Hand schon am Türknauf.
»Tun Sie das.« Sie drehte sich um und eilte die Treppe hinauf, da der Geräuschpegel des Wassers sich demjenigen einer Flutwelle näherte.
»Sam«, rief Rick.
Über eine Werkbank gebeugt, in der Hand einen Lötkolben, beendete der groß gewachsene Direktor eine schmale Naht, dann schaltete er das Gerät ab. »Rick, ich mußte das erst fertig machen, sonst wäre es ruiniert.«
Rick und Cynthia betrachteten den schmalen, mit Gold und Silber eingelegten Holzkasten.
»Schön.« Cynthia bewunderte seine Arbeit.
»Danke. Das hält mich fit.«
Rick sah sich in der Werkstatt um. Sam besaß das beste Holzbearbeitungs- und Lötwerkzeug und sogar eine kleine, sehr teure Steinsäge. »Hintertür?«
»Manchmal schleich ich mich rein, um den Jungs zu entkommen. Ich liebe sie, aber ich muß sie fern halten. Dennis ist in dem Alter, wo er alles anfassen will. Ich schließe die Tür ab. Wenn sie ein bißchen älter sind, werde ich sie wohl mit mir arbeiten lassen.«
»Gute Idee.« Rick lächelte. Da es hier keinen Platz zum Sitzen gab, schlug er vor nach oben zu gehen.
Kaum hatten sie sich im Lesezimmer niedergelassen, als Rick auch schon zur Sache kam. »Sam, Larry Johnson wurde in Twisted Creek Stables ermordet. Man hat zweimal auf ihn geschossen.«
»Was?«
»Nachdem wir die Leiche und den Tatort untersucht hatten, bin ich gleich zu Ihnen losgefahren. Ich wollte mit Ihnen sprechen, bevor die Reporter bei Ihnen aufkreuzen.«
»Danke«, sagte Sam.
»Und ich wollte bei Ihnen sein, bevor Ihr Telefon heiß läuft.« Rick fiel auf, wie blaß Sam im Gesicht war; die erschütternde Nachricht hatte seine Wangen kreidebleich werden lassen. »Sagen Sie mir ehrlich, Sam, wissen Sie, was in Ihrem Krankenhaus vorgeht? Irgendeine Ahnung?«
»Nicht die geringste. Mir kommt das alles sinnlos vor und - es hat vielleicht gar nichts mit dem Crozet Hospital zu tun.«
»Nein, aber ich muß in Betracht ziehen, daß Larrys Ermordung mit Vorgängen dort zusammenhängen könnte.«