Cynthia klappte unauffällig ihren Notizblock auf.
»Ja, natürlich.« Sam schluckte schwer.
»Wir haben an Schwarzhandel mit Organen gedacht.«
»Großer Gott, Rick, das kann nicht Ihr Ernst sein.«
»Ich muß an alles denken, für das es sich zu töten lohnt, und Geld spielt bestimmt die Hauptrolle.«
»Da werden keine Nieren und Lebern verkauft. Das würde ich wissen.«
»Sam, vielleicht nicht. Nur mal angenommen, Sie haben einen jungen Praktikanten, der die Hand aufhält. Ein Mensch stirbt - jemand in einigermaßen guter Verfassung -, der Praktikant bringt die Niere an sich, packt sie ein und schafft sie hinaus.«
»Aber wir haben Aufzeichnungen über Abholungen und Lieferungen. Außerdem bestehen Angehörige oft auf einer Autopsie. Wenn eine Niere fehlte, würden wir es merken. Die Angehörigen würden es erfahren. Es gäbe Zahlungen und Gerichtsverfahren bis in alle Ewigkeit.«
»Und wenn der für Autopsien Zuständige auch mit drinsteckt?«
Sam runzelte die Stirn und fuhr sich mit dem Zeigefinger über die Lippe. Eine nervöse Geste. »Je mehr Leute verwickelt wären, desto mehr Gelegenheit gäbe es für Fehler oder übles Gerede.«
»Sofern ein Ring existiert, wäre Hank Brevard an der richtigen Stelle gewesen, um den Profit einzustreichen. Er hätte Organe herausschaffen können, ohne daß es jemand mitkriegte.«
»Der Abholer würde es merken.«
»Der Abholer bekommt einen Anteil. Sie wissen nicht, wie viele Lieferwagen zum Hintereingang fahren oder vorne an die Laderampe kommen? Aber ich tippe auf den Hintereingang, weil er lediglich als Eingang für die Arbeiter dient. Da braucht einer bloß reinzukommen, zu Hanks Büro zu gehen oder wo immer die Organe gelagert werden, und wieder zu verschwinden. Sie könnten in einem Karton sein, drum rum ein Plastiksack mit Trockeneis - in allen möglichen unauffälligen Transportbehältern.«
»Hören Sie, Sheriff, wir wissen, wer in unseren Operationssälen ein und aus geht. Ich glaube, so was ist nicht möglich. Einfach nicht möglich.«
»Die Patienten sind tot, Sani. Man könnte sie in einer Besenkammer aufschneiden und zunähen oder in einer Badewanne. Man brauchte nichts weiter als Wasser, um das Blut abzuwaschen, dann steckt man die Leiche wieder in den Leichensack, Reißverschluß zu, und ab in die Pathologie - oder man könnte sie in der Pathologie aufschneiden.«
»In der Pathologie sind die Vorschriften genau so streng wie im Operationssaal. Sheriff, ich verstehe ja, daß Sie alle Aspekte erwägen müssen, aber das hier - einfach unmöglich.«
»Wie sieht's mit Betrug aus? Frisierten Rechnungen?«
Sam zuckte mit den Achseln. »Mit der Zeit würde auch das ans Licht kommen. Und wir haben kaum Klagen auf dem Gebiet - außer Aufschreie über Behandlungskosten. Nein, nein, Sie sind auf dem Holzweg.«
»Hat sich irgend jemand merkwürdig benommen? Ist Ihnen jemand besonders aufgefallen?«
»Nein.« Sam hielt wie flehend die Hände auf. »Abgesehen von Hank Brevards Tod, geht alles seinen gewohnten Gang. Ich wüßte nicht, daß sich jemand seltsam aufgeführt hätte. Bruce ist gehässig zu mir, aber das ist er immer.« Sam feixte verhalten.
Rick ließ nicht locker. »Gibt es andere Wege, sich gesetzwidrig Profit zu verschaffen - falls Sie diese Formulierung akzeptieren können? Etwas für Krankenhäuser Typisches, von dem Coop und ich womöglich keine Ahnung haben?«
»Medikamente. Drogen. Das liegt auf der Hand. Wir verwahren sie hinter Schloß und Riegel, aber eine clevere Oberschwester oder ein gewiefter Arzt können Mittel und Wege finden, um sie zu klauen.«
»Genügend, um viel Geld zu verdienen?«
»Wir würden es sicher bald merken, aber einen schnellen großen Coup könnte einer landen, ohne erwischt zu werden.«
»Glauben Sie, daß jemand vom Personal Drogen nimmt?« Ricks Gesichtsausdruck blieb gleichmütig.
»Ja. In einem Krankenhaus ist das gang und gäbe. Es dauert eine Weile, bis man sie erwischt, aber eine Schwester, ein Arzt oder ein Krankenpfleger nimmt schon mal Aufputsch- oder Beruhigungsmittel. Der Arzt schreibt falsche Dosierungen für einen Patienten auf. Auch das bleibt uns nicht verborgen, aber es dauert. Und ich beeile mich hinzuzufügen, daß es Teil unserer Kultur ist.«
»Wie oft ist das im Krankenhaus vorgekommen?«
Sam zögerte. »Ich finde, der Anwalt des Krankenhauses sollte bei diesem Gespräch dabei sein.«
»Um Himmels willen, Sam, Larry Johnson ist tot, und Sie sorgen sich um das Ansehen des Krankenhauses! Ich gehe hiermit nicht an die Presse, aber ich muß es wissen, und wenn Sie's mir nicht sagen, krieg ich's raus und befördere dabei noch andere Sachen ans Tageslicht. Das gibt einen Riesenrummel. Also, wie oft ist es vorgekommen?«
»Letztes Jahr haben wir zwei Leute beim Klauen von Darvocet, Tabletten auf Kodeinbasis, und Quaaludes erwischt. Wir haben sie gefeuert und aus.« Er holte tief Luft. »Wie gesagt, Drogenmißbrauch ist so amerikanisch wie Apple Pie.«
»Wer einmal aus einem Krankenhaus geflogen ist, wird nie wieder in einem angestellt, es sei denn, er oder sie geht nach Honduras - hab ich Recht?«
»Und sie bekommen möglicherweise nicht mal in Mittelamerika Arbeit. Sie müßten irgendwohin gehen, wo Arbeitskräfte so knapp sind, daß sich niemand um Zeugnisse und dergleichen schert. Mit der Karriere ist's auf jeden Fall vorbei.« »Die vielen Jahre Medizinstudium, die Kosten - alles umsonst.« Rick faltete die Hände und beugte sich vor. »Weitere Möglichkeiten zu stehlen oder an Geld zu kommen?«
»O ja, Schmuck, Brieftaschen, Kreditkarten von Patienten.«
»Geräte?«
Sam atmete aus. »Nein. An wen sollten sie die verkaufen? Außerdem würde uns das sofort auffallen.«
»War Hank Brevard ein guter technischer Leiter?«
»Ja. Das haben wir doch bereits durchgekaut. Er war gewissenhaft. Abgesehen von seiner Marotte, daß er was gegen neue Technologien hatte. Er wollte alles so machen, wie es immer gemacht worden war.«
»Sagen Sie, ist er während seiner Zeit am Crozet Hospital jemals abgemahnt worden?« Rick warf Coop einen Blick zu.
»Nein. Hm.« Sam drehte die Handflächen nach oben. »Ich habe mich regelmäßig mit ihm getroffen und ihn gebeten, er soll's, äh, leichter nehmen. Nein, Hank hat keinen Ärger gemacht.«
»Mal was von Affären gehört?«
»Hank?« Sams Augenbrauen schnellten in die Höhe. »Nein.«
»Glücksspiel?«
»Nein. Sheriff, das hatten wir schon.«
»Stimmt. War Larry Johnson irgendwann mal von der Rolle?«
»Wie bitte?«
»Hatten die Leute das Gefühl, er war zu alt, um zu praktizieren? Wurde er um der alten Zeiten willen geduldet?«
»Nein. Ganz im Gegenteil. Er war natürlich PA.« Sam kürzte Praktischer Arzt ab. »Daher war er kein Star in Weiß, aber er war ein guter, verläßlicher Arzt und immer offen für neue Behandlungsmethoden, für den medizinischen Fortschritt. Er ist, ich meine war, ein bemerkenswerter Mensch.«
»Hätte er Drogen stehlen können?«
»Auf gar keinen Fall.« Sam hob die Stimme. »Niemals.«
»Sam, ich muß diese Fragen stellen.«
»Dieser Mann hat sich nichts zuschulden kommen lassen.«
»Dann muß ich vermuten, daß er dem Schuldigen - wer immer es sein mag - zu nahe gekommen ist.«
»Der Mord an Larry Johnson muß nichts mit dem Crozet Hospital zu tun haben. Sie ziehen vorschnelle Schlüsse.« »Vielleicht, aber sehen Sie, Sam, er war unser Mann für drinnen.« Die Farbe wich aus Sams Gesicht, als Rick fortfuhr: »Ich glaube, daß die Morde zusammenhängen und ich werde es beweisen.«
»Das hätten Sie mir sagen müssen.«
»Und wenn Sie mit drinstecken?«, sagte Rick frei heraus.
»Danke für den Vertrauensbeweis.« Sams Gesicht färbte sich rot und er unterdrückte seine Wut.
»Oder Jordan Ivanic. Er ist in einer Stellung, wo er alle Fäden in der Hand hat - entschuldigen Sie den abgedroschenen Ausdruck.«