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Piräus ist nach den Plänen des Hippodamos erbaut, ihre Straßen bildeten ein rechtwinkliges Netz. Trotzdem bleibt sie eine kaum zu überblickende, bunte, laute, von Menschen und Tieren überfüllte Hafenstadt. Hier reihen sich Häuser, Lager, Schuppen und Speicher aneinander; das Geschrei der Menschen hallt von Schiff zu Dock und über die Straßen und nimmt die ganze Stadt ein. Die Leiber der schwitzenden Sklaven, die schuften und schleppen, überfüllen die engen Wege. An jeder Ecke steht ein käuflicher Knabe mit falschem Lachen oder eine Dirne mit nackten Brüsten. Hier gibt es keinen Baum oder Strauch mehr. Der Duft des Meeres, den ich aus der Ferne gerochen hatte, war dem Gestank der schmutzigen Wasser und fauler Takelagen gewichen.

Die Masten des persischen Schiffes waren von Weitem schon zu sehen. Im Handelshafen fand ich es angedockt. Es war gewaltig; neben ihm wirkten unsere griechischen Frachter wie Nussschalen. Trotzdem lag es leicht im Wasser. Es musste schnell sein, wenn die zwei Rah-Segel gut im Wind standen. An Deck machten sich zwei Seeleute zu schaffen. Als sie mich kommen sahen, riefen sie etwas in Richtung Kajüte. Die erhob sich hinter dem Hauptmast und war sicher für den Kapitän und die besseren Passagiere. An den Flanken des imponierenden Seglers prangten persische Götzen mit fratzenhaften Gesichtern. Der Bug war mit einem großen Auge und der Hälfte eines lachenden Mundes verziert, aus dem wie eine böse Zunge ein Rammsporn herausragte. Ein Handelsschiff, aber alles andere als wehrlos.

Ein paar Bogenschützen hatten auf dem Kai Stellung bezogen, um zu verhindern, dass Athen heute ungebetene Gäste erhielt. Sie grüßten mich. Ein junger Unteroffizier half mir beim Absteigen und zeigte auf einen vornehmen, in ein blaues Gewand gehüllten Perser, der auf den Zuruf der Matrosen hin hinter der Kajüte aufgetaucht war und mich von dort aus betrachtete. Er schien etwa dreißig und damit in meinem Alter zu sein. Sein Gesicht war von schwarzen, kurzen und krausen Haupt- und Barthaaren eingerahmt, seine Oberlippe dagegen rasiert. Eine breite und klobige, dabei aber kurze Nase steckte in seinem Gesicht. Seine Augen waren spöttisch auf mich gerichtet und klug.

«Bist du der Kapitän dieses Schiffes?», rief ich nach oben, worauf er nickte. «Ich bin der Hauptmann der Toxotai. Ich komme rauf.»

«Es wird Zeit, dass jemand kommt und uns an Land lässt», antwortete er in bestem Griechisch. Nur ein leichter Akzent verriet, dass er von barbarischer Zunge war. Über eine schmale Planke kletterte ich an Bord. Beim letzten Schritt wollte mir der Kapitän die Hand reichen, aber ich schlug seine Hilfe aus. Er lächelte unergründlich und verbeugte sich zeremoniell. Wir gingen in die Kajüte, wo ich mir die Passierscheine zeigen ließ. Der Kapitän hatte sie sorgsam in einem Schrank verwahrt, zusammen mit einigen Schriftrollen und Karten. Wir setzen uns an einen Tisch. Ich erkannte Alkibiades' Siegel. Es war echt, ohne Zweifel.

«Was habt ihr geladen. und was wollt ihr hier?», fragte ich den Kapitän.

«Seide», antwortete er und zeigte mir einen Ballen dieses leichten, glänzenden Stoffes. Es war das gleiche Tuch, das ich gestern an Alkibiades zum ersten Mal in meinem Leben gesehen hatte. Aus Persien kam es also. «Wir bringen euch Seide. Die Athener beginnen sie zu lieben, wie ich höre. Vielleicht möchtest du ein paar Ballen für dich selbst und deine sicher schöne Frau mit nach Hause nehmen?»

«Gewiss nicht», antwortete ich.

«Und für den Rückweg laden wir eure Töpferwaren», fuhr er fort, ohne auf meine Grobheit zu achten. «Sie sind begehrt in der Welt.»

«Was hat es mit den Passagieren auf sich?», fragte ich den Kapitän barsch - Feind bleibt Feind, wie ich damals noch dachte.

«Es sind Kaufleute aus unserem Land. Sie haben eine Einladung ihrer Athener Kollegen. Der Passierschein erstreckt sich auch auf sie. Sieh her.» Noch einmal zeigte er auf Alkibiades' Brief. Dabei lächelte er milde und müde, wie jemand, der Widerstand gewohnt ist und genau weiß, dass er ihn am Ende doch überwinden wird. Sicher gab es in vielen Häfen Zöllner, die ihm das Leben schwer zu machen versuchten. Er hatte das schon zu oft erlebt, um mich noch ernst zu nehmen.

«Weißt du zufällig, wie es zu dieser Sondererlaubnis kam?», fragte ich ihn unvermittelt, worauf sein Lächeln noch breiter wurde.

«Das solltest du doch besser wissen als ich, Hauptmann der Toxotai», erwiderte er, nahm einen Lederbeutel von seinem prächtig verzierten Gürtel und legte ihn mit einer einladenden Geste vor mich auf den Tisch. Wieder klang das Silber. Das Lächeln wich ihm nicht aus dem Gesicht.

Ich sah ihn an. In meinem Blick lag Abscheu, ich wusste es. Er jedoch blieb vollkommen ruhig, freundlich und gelassen. Die Wellen schlugen gegen die Planken. In der Kajüte war es unerträglich heiß. Man hätte die Luft schneiden können, aber der Perser schwitzte nicht. Er lächelte nur.

Ich weiß nicht, wieso ich den Beutel nahm. Vielleicht, weil ich ausgerechnet wegen meiner Unbestechlichkeit von Alkibia-des ausgewählt worden war, Perianders Mörder zu suchen. Für einen Moment hielt ich ihn in der Hand und wog im Geist das Silber. Er war aus einem Widderhoden, wie er auch in Athen hergestellt wird. Ich steckte ihn wortlos ein. Dann erhob ich mich und mit mir der Kapitän. Ich fühlte, er verachtete mich, und ich verachtete ihn. Wir waren wie Hure und Freier.

«Ihr könnt eure Ladung löschen», ordnete ich an, während ich wieder auf das Deck trat, wo mich die stechende Sonne empfing. «Die drei Bankiers können nach Athen, aber nur in Begleitung eines Athener Bürgers. Deine Mannschaft und du, ihr bleibt in Piräus. Hier habt ihr alles, was ihr braucht. Sollte es Schwierigkeiten oder Fragen geben, lass nach mir schicken. Meine Männer wissen, wo ich zu finden bin.»

Der Perser verbeugte sich vor mir.

«Dürfen die Passagiere ihre Diener mitnehmen?», war seine letzte Frage und «Meinetwegen» meine letzte, schroffe Antwort.

Ich verließ das Schiff und Piräus, so schnell ich konnte. Für den Rückweg wählte ich die ein wenig kürzere, zwischen den Langen Mauern verlaufende Straße. Ich gab Ariadne freie Zügel und ließ sie traben, aber der Ritt wollte mir keine Freude bereiten. Der Kapitän des persischen Frachters mit seinem Lächeln und seinem Beutel voller Silber spukte mir im Kopf herum. Wenn der Hauptmann der Toxotai kleine Geschenke bekam, so war dies nicht unüblich. Niemand hielt es für falsch, die Münzen anzunehmen, die einem im Amt zugesteckt wurden, weil man jemandem geholfen hatte. Aber das waren kleine Aufmerksamkeiten aus Dankbarkeit. Der Beutel des Persers war etwas anderes, und das wusste ich, wenn ich es mir auch nicht eingestehen wollte. Etwas in mir wusste, es war nicht richtig gewesen, das Geld zu nehmen. Etwas in mir und doch nicht ganz ich. Ein anderer Teil von mir. Natürlich hätte ich ihn sowieso die Ladung löschen und seine Passagiere von Bord gehen lassen müssen. Wie hätte ich mich Alkibiades' Anordnung wiedersetzen können? Wieso dafür nicht ein wenig Silber einstecken, zumal Alkibiades sich den Landungsschein sicher teuer hatte bezahlen lassen? Der Perser hätte mich für einen Idioten gehalten, wenn ich das Geld nicht angenommen hätte. Trotzdem blieb mir ein fahler Geschmack im Mund. Vielleicht hatte Sokrates ja recht, vielleicht sollte sich der Hauptmann der Toxotai über die Frage, was Gerechtigkeit sei, öfter Gedanken machen?

Als ich wieder in Athen ankam, war die schlimmste Mittagshitze überstanden. Ich ließ Ariadne in der Kaserne und ging zu einem naheliegenden, von Kolonnaden gesäumten Sportplatz, einer Palaistra. Lykon war oft dort. Ich wollte mit ihm noch einmal über Kritias sprechen, aber ich sah ihn nirgendwo, und er tauchte an diesem frühen Abend auch nicht auf. Ich war ver-dreckt und verschwitzt und reinigte mich in einem der Waschräume, bevor ich auf den Übungsplatz ging. In einem Knaben, der sich zur Vorbereitung eines Ringkampfes den ganzen Körper mit Öl einrieb, erkannte ich einen Freund meines Geliebten. Ich fragte nach ihm. Aber auch er hatte Lykon nicht gesehen und wusste auch nicht, wo er war.