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«Nikomachos! Es ist gut, dich zu sehen», erwiderte Thrasybulos, mehr nach Art eines Soldaten allerdings als nach der Art eines Bruders. «Wir wollten den Herbst abwarten, bevor wir Kritias entgegentreten. Jetzt sind wir gerüstet!»

Hinter Thrasybulos erschien Myson. Ich war froh, ihn wiederzusehen, und ihm schien es genauso zu gehen. Seine Augen leuchteten. Wie Thrasybulos war er in einen grauen Reisemantel gehüllt, unter dem sich ein Waffenrock verbarg. Aber sein Gruß bewies, dass er mein alter Schreiber und Freund geblieben war. Sofort erkundigte ich mich nach Lysias und erfuhr, dass er nicht nach Athen hatte zurückkehren wollen.

«Wo sind deine Männer jetzt?», fragte ich Thrasybulos, nachdem wir die üblichen Höflichkeiten ausgetauscht hatten.

«Sie halten sich hinter einer Insel kurz vor der Hafeneinfahrt verborgen», entgegnete er. «Ich wollte erst wissen, wie viele Soldaten hier in Piräus vor Ort sind, bevor wir an Land gehen.»

«Es sind nur zehn Männer, ein verrotteter Haufen», sagte ich. «Sie werde keine Schwierigkeiten machen.»

«Dann hat sich seit meiner Abfahrt nichts verändert», bemerkte Myson.

«Nein, sie sind höchstens noch verrotteter als damals», bestätigte ich.

Thrasybulos warf den Mantel ab und durchmaß den Innenhof mit großen Schritten.

«Das ist gut», sagte er und rieb sich die Hände. «Dann wird die Landung nicht schwierig.»

Mittlerweile war Chilon auf seine neuen Gäste aufmerksam geworden und kam zu uns hinaus in den Innenhof. Thrasybulos begegnete ihm freundlich, nahm seine Einladung zu einem kleinen Essen und zum Übernachten aber beinahe ein wenig zu selbstverständlich hin. Ich sah zu Myson hinüber und runzelte die Stirn. Ja, bedeutete er mir stumm, unser Freund hat sich verändert.

Nach dem Imbiss zogen wir uns zurück, um die Landung vorzubereiten. Thrasybulos erklärte uns seinen Plan und die Rollen, die er uns darin zugedacht hatte. Myson sollte noch heute Nacht mit einem kleinen Boot zu den Trieren hinausrudern und den Kapitänen Bescheid geben. Der Mond stand günstig. Der Weg müsste sich auch in der Dunkelheit finden lassen. Ein brennender Pfeil würde das Signal dafür sein, dass Thrasybulos' Männer die Riemen zu Wasser gelassen hatten und die Schiffe in Richtung Piräus steuerten. Sobald die Flamme in den Nachthimmel stieg, mussten wir die Landungsfeuer entzünden, damit die Schiffe den Hafen sicher ansteuern konnten.

«Die Landungsfeuer sind ein Risiko», bemerkte ich halb in Gedanken, als Thrasybulos zum Schluss gekommen war.

«Warum?», fragte er knapp.

«Weil Charmides' Soldaten das Feuer entdecken und sicher nachsehen werden, was es damit auf sich hat, so betrunken sie in dem Moment auch sein mögen.»

«Wir werden sie zu empfangen wissen», antwortete Thrasybulos und tätschelte seinen Schwertknauf.

«Das gibt Aufsehen», gab Myson zu bedenken.

«Es geht nicht anders», bestimmte Thrasybulos. Myson und ich verstummten. Wir waren Soldaten genug, um zu wissen, dass wir Thrasybulos' Befehlsgewalt nicht in Zweifel ziehen durften. Außerdem hatte er recht. Piräus konnte bei Nacht nur mit einem Landungsfeuer angesteuert werden. Kurz vor der Einfahrt standen einige Felsen gefährlich nah an der Fahrrinne. Sie waren schon bei Tag eine Gefahr für jeden Schiffsbug.

«Ich habe einen Vorschlag», sagte Chilon unbefangen, obwohl Thrasybulos' Gesicht ihm zu schweigen gebot. «Wenn ihr sicher sein könntet, dass Charmides' Soldaten heute Nacht tief und fest schlafen, dann könntet ihr die Landungsfeuer doch ohne Gefahr entzünden?»

Thrasybulos nickte, wenn auch nicht eben freundlich.

«Ich glaube, ich habe etwas, was euch hilft», sagte Chilon, drehte sich um und ging hinaus. «Kommt gleich in den Hof!», rief er uns noch zu, als er schon im Flur war.

Myson, Thrasybulos und ich sahen uns ein wenig ratlos an, besprachen noch einmal die Landung und gingen schließlich gemeinsam in den Innenhof, wo Chilons Sklave gerade eine kleine Holzkarre mit zwei kleinen Fässern bestückte.

«Das ist der schwerste Wein, den ich in meinen Kellern habe», erklärte Chilon munter, als er aus dem Haupthaus trat, «und das hier wird ihn noch sehr viel schwerer machen.» Er hielt eine Silberphiole in die Luft. «Das ist das beste Schlafmittel, das es nur gibt. Es wirkt langsam, aber dann umso stärker.» Er ging zu den Fässern, löste die Korken und gab in jedes ein Löffelchen des weißen Pulvers, das das kleine Gefäß barg.

«Werden die Wachen nicht misstrauisch, wenn wir ihnen zwei Fässer Wein bringen?», fragte Myson.

«Oh, das würden sie gewiss», antwortete Chilon, während er die Korken mit Wachs versiegelte. «Deswegen werden wir ihnen den Wein auch nicht bringen. Wir sorgen dafür, dass sie ihn stehlen.»

Chilons Plan war einfach und baute ganz auf die Habgier und Trunksucht von Charmides' Soldaten. Myson, der der Älteste von uns war und daher am ungefährlichsten schien, sollte seinen staubigen Reisemantel anlegen und den Karren mit den Fässern so oft an der Kaserne vorbeiziehen, bis die Soldaten auf ihn aufmerksam würden. Wenn sie fragten, was er denn suche, sollte er erklären, er sei ein Händler aus Theben und habe noch zwei Fässer Wein zum Verkauf übrig. Sobald die Soldaten erfuhren, dass er ein Fremder und daher schutzlos war, würden sie nicht lange fackeln und ihm die Fässer abnehmen. Den Rest erledigten der Wein und das Pulver dann von selbst.

«Bringen wir Myson nicht in Gefahr?», fragte ich.

«Nicht, wenn er sich nicht wehrt», antwortete Chilon. «Charmides' Soldaten werden ihn in Ruhe lassen, sobald sie haben, was sie wollen.»

«Wir werden ihm folgen, sicher ist sicher», bestimmte Thrasybulos, der so endlich Gelegenheit fand, das Kommando wieder an sich zu ziehen. Chilon schmunzelte; diesmal war er klug genug zu schweigen.

Wir ließen uns nicht viel Zeit. Noch gab es ein wenig Tageslicht, das uns begleitete. Myson warf seinen Reisemantel über, griff den kleinen Wagen und machte sich auf den Weg. Wir folgten mit einigem Abstand. Es war ein Schauspieler an dem alten Schreiber verloren gegangen. Je näher wir der Kaserne kamen, desto schwerer wurden seine Schritte, desto gebeugter sein Rücken. Er schien zehn Jahre gealtert, als er wie zufällig vor dem Kasernentor anhielt, sich den Schweiß von der Stirn wischte und erschöpft auf die Holzkarre setzte, um zu verschnaufen. Chilon und ich sahen uns an. Wir mussten uns beherrschen, nicht loszulachen.

Es dauerte nicht lange, bis zwei Soldaten auftauchten. Langsam und zögernd, wie eine Katze eine Maus anschleicht, gingen sie auf Myson zu und sprachen ihn an. Obwohl sie sich eine überhebliche Miene gaben, waren sie nicht halb so selbstsicher, wie sie es gerne gewesen wären. Myson tat verängstigt und antwortete mit krummem Rücken und zur Seite geneigtem Blick. Das ermutigte die beiden und gab ihnen Oberhand. Ihre Gesten wurden ausladender, ihre Stimmen lauter, wenn wir aus der Entfernung auch nicht verstanden, was sie sagten. Einer der beiden fing an, den Wagen mit langsamen Schritten zu umkreisen. Der andere blieb vor Myson stehen und stemmte die Arme in die Hüfte. Aber noch wagten sie nicht, den Alten zu berauben. Da erschienen zwei weitere Soldaten am Tor, durch den rauen Ton ihrer Kameraden und Mysons Gejammer offenbar neugierig geworden. Mit ihnen änderte sich alles. Der Soldat, der bisher nur drohend vor Myson gestanden war, trat plötzlich einen Schritt nach vorne, packte meinen alten Schreiber am Kragen und zog ihn von der Karre. Myson hob abwehrend die Arme, ließ aber alles geschehen. Im gleichen Moment hörte der andere auf, um den Wagen zu kreisen, sprang seinem Kameraden zur Seite und stieß Myson weg. Zum Glück war der geschickt genug, nicht zu stolpern. Am Boden hätten sie unweigerlich auf ihn eingetreten, feige und verschlagen, wie sie waren. Jetzt mischten sich auch die Neuen ein. Ich wollte schon losrennen, um Myson in seiner Not beizustehen, als der sich frei machen konnte und in unsere Richtung gerannt kam. Die Soldaten folgten ihm noch halbherzig ein paar Schritte, gaben aber schnell wieder auf, war es ihnen doch wichtiger, zu ihrer Beute zurückzukehren, um die auch gleich ein Streit entbrannte. Sie hatten den Köder geschluckt.