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»Ich kann's kaum erwarten«, strahlte Mr. Hitchens.

Zimmer 614 war beeindruckend. Die Sonne strömte durch die breite Fensterfront, und in Gedanken dankte Mrs. Pollifax Bishop, der alles arrangiert hatte. Sie warf einen Blick in den kleinen, doch bis obenhin gefüllten Kühlschrank in der Ecke, nahm ihren Hut ab und ließ sich dann auf das Bett sinken, um den Stadtplan, den Bishop ihr - zusammen mit einem Bündel Hongkong-Dollars - gegeben hatte, eingehend zu studieren. Feng-Imports lag laut Bishop im Stadtteil West Point - unweit des buddhistischen Man Mo Tempels - und versteckt als das unscheinbare Haus Nummer 31 in der Dragon Alley. Die Lage des Hauses war auf dem Stadtplan ganz leicht mit Bleistift markiert, und Mrs. Pollifax schätzte die ungefähre Entfernung vom Hotel. Sie würde ein Taxi nehmen müssen, stellte sie fest, als ihr Finger über exotische Namen wie Ice House Street, Cotton Tree Drive, Jardine's Bazaar und Yee Wo Street fuhr. Ganz sicher nicht New Jersey, dachte sie erfreut und überlegte, daß es wohl am besten wäre, in der Dragon Alley zu sein, noch ehe der Laden öffnete, um Sheng Ti abzufangen, bevor er das Haus betrat.

Wenige Minuten später saß Mrs. Pollifax erwartungsvoll im Goldenen-Lotus-Saal, in dem sie bereits im Juni des letzten Jahres opulent gespeist hatte. Ein weiß livrierter Ober goß ihr gewandt dampfenden Kaffee ein. Sie nippte an der Tasse, wartete auf Mr. Hitchens und beobachtete die fremdartigen Gesichter an den Tischen um sie herum. Geschäftsleute gestikulierten heftig über irgendwelchen Kostenrechnungen. Die jungen Pärchen mit ihren Kameras waren offensichtlich Touristen. Als Mr. Hitchens endlich auf dem Stuhl neben ihr Platz nahm, trug er Hosen mit Bügelfalten und ein Jackett. Er sah jetzt älter, weniger exzentrisch und eine Spur weniger interessant aus, doch in seinen Augen und auf seinem Gesicht spiegelten sich Erregung und Unternehmungslust.

»Sie werden nicht glauben, wen ich gerade in der Halle gesehen habe«, platzte er mit jungenhafter Begeisterung heraus. »Den drittreichsten Mann der Welt! Den drittreichsten Mann der westlichen Welt, um genauer zu sein... Hier im Hotel!«

»Nun sind Sie es, der sehr gut informiert ist«, erwiderte sie. »Wer um alles in der Welt ist dieser drittreichste Mann der

Welt?«

»Er heißt... eh... « Er legte die Stirn angestrengt in Falten. »Ach ja: Lars... Lars Petterson.« Er strahlte. »Als ich auf mein Zimmer kam, machte ich den TV an, und HongkongTelevision brachte gerade ein Interview mit ihm... «

»Ich habe sicherlich auch einen TV im Zimmer, aber er ist mir gar nicht aufgefallen«, erwiderte Mrs. Pollifax zerstreut.

Er lachte. »Ich bin femsehsüchtig, müssen Sie wissen; besonders nach Serien wie die >I-Love-Lucy-Show< oder die >Mary-Tyler-Moore-Show< - und nach grünen Bananen«, fügte er hinzu. »Wahrscheinlich ein Schock für meine bisherigen drei verflossenen Ehefrauen, die wohl erwartet hatten, ein Psychologe müsse ein aufregendes Leben rühren.«

»Und mit Fernsehserien und grünen Bananen hatten sie nicht gerechnet«, stellte Mrs. Pollifax amüsiert fest.

»Anscheinend nicht... Oh, danke sehr«, sagte Mr. Hitchens, als der Ober ihm den Kaffee eingoß. »Dort ist er!« flüsterte er aufgeregt und nickte mit dem Kopf in Richtung des Eingangs.

»Wer?« fragte Mrs. Pollifax.

»Mr. Petterson - der Mann, von dem ich Ihnen eben erzählt habe.«

Mrs. Pollifax schielte unauffällig über den Rand ihrer Kaffeetasse, um einen verstohlenen Blick auf den drittreichsten Mann der Welt zu werfen.

»Der Mann an der Tür«, erklärte Mr. Hitchens, »der, der gerade mit dem Ober spricht.«

Mrs. Pollifax' Blick fiel auf einen außerordentlich attraktiven jungen Mann, blond und braungebrannt. Allein seine leicht gebogene Nase bewahrte ihn davor, geradezu unverschämt gut auszusehen. Er trug einen orangefarbenen Blazer, silbergraue Hosen, ein gestreiftes blaues Hemd und ein orangefarbenes Halstuch. Mrs. Pollifax blinzelte verblüfft. »Wer ist das, sagten Sie?«

»Lars Petterson. Ein Däne, glaube ich - obwohl er einen englischen Akzent hat.« Sein Blick kehrte zu Mrs. Pollifax zurück. »Ist etwas?« fragte er.

Mrs. Pollifax, noch immer leicht verwirrt, lächelte: »Nein, nein, alles in Ordnung.«

Es war jedoch nichts in Ordnung. Gegenwart und Vergangenheit gerieten durcheinander. Denn der angeblich drittreichste Mann der Welt, der eben gerade den Saal betrat, war für Mrs. Pollifax kein Unbekannter. Sie hatte ihn als Robin Burke-Jones in der Schweiz kennengelernt. Er war ein überaus erfolgreicher Dieb und Fassadenkletterer gewesen, der Scheichs und andere reiche Leute diskret um ihren Schmuck und ihre Juwelen erleichterte. Einen kurzen Augenblick wirbelte eine Flut von Bildern durch Mrs. Pollifax' Kopf: Unter anderem das Bild, als sie Robin mit ihrer Schmuckschatulle in der Hand überraschte und er dann verwundert fragte: »Sie werden mich also nicht anzeigen? Sie werden der Polizei nichts erzählen?« Oder das Bild, als er ihr mit einem Seil die Flucht über den Balkon ermöglichte - die Flucht vor einem Killer, der in der Hotelhalle auf sie wartete. Die Bilder von einer schier endlosen Nacht, die sie gemeinsam mit einem kleinen Jungen im Castle Chillon verbrachten, von dem Fluchtweg, den sie schließlich doch entdeckten, von Robin, der in einem winzigen Ruderboot saß und heiser flüsterte: »Hier bin ich! Warum haben Sie denn solange gebraucht?«

Der liebe Robin! Sie freute sich irrsinnig, ihn hier zu sehen. Das letzte Mal hatte sie ihn anläßlich seiner Hochzeit gesehen, bei der sie Trauzeugin gewesen war. Und zu Weihnachten hatte sie von ihm und seiner Frau Court die übliche Karte erhalten.

Als Robin heiratete, hatte er für immer den Gefahren der Fassadenkletterei und des Einbrecherhandwerks abgeschworen und war ein anständiger Bürger geworden, erinnerte sich Mrs. Pollifax. Das war es! Sie hätte gleich darauf kommen können! Robin war bei der Interpol, die seine beachtlichen Talente erkannt und ihm einen Job auf der anderen Seite des Gesetzes angeboten hatte.

»Allerdings«, so überlegte sie weiter, und ihre Neugier regte sich, »würde mich brennend interessieren, was er hier in Hongkong zu suchen hat - als Lars Petterson, der drittreichste Mann der Welt!«

3

»Ich denke, ich werde noch eine Tasse Kaffee trinken«, erklärte Mrs. Pollifax eine halbe Stunde später, als sich Mr. Hitchens anschickte zu gehen.

»Oh«, machte Mr. Hitchens und fügte dann eilig hinzu: »Natürlich - ja.« Einen Augenblick lang schien er betroffen, doch dann nickte er und lächelte. »Nun denn«, sagte er. »Da wir beide nur eine Woche bleiben, sehen wir uns vielleicht beim Rückflug wieder.« Er steckte ihr die Hand entgegen. »Es war mir eine echte Freude, Sie kennengelernt zu haben.«

Sie erhob sich, um ihm die Hand zu reichen. »Lassen Sie doch von sich hören, wenn Sie Ihren Vermißten gefunden haben«, sagte sie. »Oder rufen Sie mich an, wenn Sie wollen... Zimmer 614.«

Sein Lächeln wirkte etwas hilflos und erinnerte sie daran, daß er noch nie in einem fremden Land gewesen war. Wahrscheinlich würde er sie völlig vergessen haben, sobald er mit seinem chinesischen Freund unterwegs war. Doch sie verstand sehr gut, daß er im Augenblick den Wunsch hatte, mit dem einzigen Menschen, den er hier kannte, zusammen zu sein. »Viel Glück bei der Jagd!« wünschte sie ihm lächelnd und sah ihm nach, als er in Richtung Hotelhalle davonging.

Als ihr Blick ihm nicht mehr folgen konnte, setzte sie die Tasse ab, griff nach ihrer Handtasche und ging zum Früh-stücksbuffet, das in der Mitte des Goldenen-Lotus-Saals aufgebaut war und hinter dem Robin verschwunden war. Robin hatte sie vermutlich nicht gesehen, und sie kam zu dem Schluß, es sei ein Gebot der Fairneß, sich ihm bemerkbar zu machen -denn wer konnte wissen, in welch ungünstige und für ihn möglicherweise peinliche Situation ihn ein überraschendes Zusammentreffen mit ihr bringen konnte. Sie schlenderte -anscheinend an den ausgebreiteten Köstlichkeiten interessiert -um das Büffet herum, während ihr Blick Robin suchte. Er saß mit dem Gesicht in ihre Richtung und unterhielt sich angeregt mit einem kleinen und ziemlich korpulenten chinesischen Gentleman, der an seinem Tisch saß. Als Mrs. Pollifax bis zu den köstlich duftenden aufgeschnittenen Ananasscheiben vorgedrungen war, machte sie eine plötzliche, unvermittelte Bewegung, die Robins Aufmerksamkeit erregen mußte. Er sah zu ihr herüber.