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Da nun ringsum alles still geworden war, begann der hohe Rabbi zu sprechen. Er sagte, daß unter ihnen eine sei, die dahinlebe in der Sünde des Ehebruchs, den Kindern des verfluchten Stammes gleich, den Gott vertilgt hat. Und er rief die Sünderin an, daß sie vortrete und bekenne und die Strafe auf sich nehme, die Gott, der Her, über sie verhängen wollt'.

Unter den Frauen erhob sich ein Flüstern und Raunen, sie blickten einander voll Schrecken an, aber keine von ihnen trat vor, keine wollte die Sünde Moabs begangen haben.

Zum zweitenmal erhob der hohe Rabbi seine Stimme. Er sagte und verkündete, daß um dieser verborgenen Sünde willen das große Kindersterben über die Stadt gekommen sei. Und er beschwor die Sünderin bei den heiligen Buchstaben und den zehn furchtbaren Namen Gottes, sie möge hervortreten und bekennen, damit die Not ein Ende hätte.

Aber wiederum hatte der hohe Rabbi vergeblich gesprochen. Die die Sünde begangen hatte, schwieg und wollt' sich nicht abkehren von ihrem Weg.

Da kam die finstere Wolke des Zornes über den hohen Rabbi. Er nahm die heiligen Rollen aus ihrem Schrein und sprach die Worte des großen Bannes über die Sünderin, daß sie verdorren möge wie die Felsen von Gilboa, die David verflucht hat. Daß die Erde ihr tun möge, wie sie getan hat dem Datam und dem Abirom. Daß ihre Name ausgelöscht und ihr Geschlecht verflucht sei im Namen der Funkelnden und im Namen der Flammenden und im Namen der strahlenden Lichter und das Z adekiel, der das Ohr ist und das Auge. Und daß ihre Seele hinabsteigen möge in den Schrecken und dort verbleiben bis an das Ende der Zeiten.

Dann verließ er das Haus Gottes. Und in den Gassen der Judenstadt war Angst und Jammer und Ratlosigkeit und Verzweiflung.

Als der hohe Rabbi wieder daheim in seiner Kammer saß, kam ihm ein Tag und ein Geschehnis aus den vergangen Jahren in den Sinn. Da waren zwei Metzger vor ihn hingetreten und hatten Klage geführt, sie hätten in dieser Nacht all das Ihrige verloren. Ein Dieb war in ihre Fleischbank eingedrungen und hatte mit ihrem Gut als ein Übeltäter gehaust. Soviel er konnte, hatte er von dem Fleisch mit sich fortgeschleppt, und was übrig geblieben war, das war besudelt.

Auch damals hatte der hohe Rabbi die Gemeinde zusammengerufen und den Dieb ermahnt, er möge bekennen und den Schaden gutmachen, soweit es in seinen Kräften stehe. Doch da der Dieb schwieg und im Bösen verharrte, hatte der hohe Rabbi den Bann über ihn verhängt, der ihn und sein Geschlecht ausstieß aus der Gemeinschaft der Kinder Gottes.

In der Nacht darauf aber war ein Hund vor des hohen Rabbi Haus gestanden, der hatte laut geheult und nicht aufgehört mit seinem Jammern und so furchtbar anzuhören war seine Klage gewesen, daß der hohe Rabbi den Dieb in ihm erkannte und den Bann von ihm nahm.

Wenn also die Gewalt des Bannes so groß ist, sagte sich der hohe Rabbi, daß selbst die Kreatur ihn nicht erträgt, in deren dunkle Seele kein Leuchten der Erkenntnis Gottes dringt, wie soll es möglich sein, daß diese Ehebrecherin fortlebt unter der Last des Fluches und nicht vor mich hintritt und ihre Sünde bekennt, eh' noch der Tag vorüber ist.

Aber die Stunden liefen, die Nacht kam und ging dahin, und der hohe Rabbi hatte vergeblich gewartet. Da rief er seinen schweigenden Diener, das Werk seiner Hände, der den Namen Gottes zwischen den Lippen trug, und hieß ihn, den Koppel-Bär und den Jäckele-Narr in den Gassen suchen, denn er bedurfte ihrer.

Und als sie kamen, sagte er zu ihnen:

»Wenn der Tag verweht und die Schatten fliehen, werdet ihr wiederum auf den Friedhof gehen, und du, JäckeleNarr, wirst auf deiner Geige eines von den Liedern spielen, die die Kinder an den Tagen des Laubhüttenfestes singen. Und die Geister der Verstorbenen werden dich hören, denn sie bleiben sieben Tage lang durch die irdischen Melodien mit dieser Welt verbunden. Dann kehrt ihr hierher zurück und du, Jäckele-Narr, hörst nicht auf zu spielen. Sobald ihr aber diese Kammer betreten habt, sollt ihr sie sogleich wieder verlassen, und hütet euch, zurückzublicken. Denn das, was ich zu tun begehre, ist ein Geheimnis, das den Flammenden gehört, die auch genannt sind die Throne, die Räder, die Mächte und die Scharen, und eure Augen sollen es nicht sehen.«

Sie gingen und taten nach seinem Befehl. Jäckele-Narr spielte auf seiner Geige die fröhlichen Weisen des Laubhüttenfestes, und Koppel-Bär machte seine Sprünge, und so gingen sie zwischen den Gräbern des Friedhofs und zurück durch die einsamen Gassen und hinter ihnen schwebte ein Leuchten, das stieg mit ihnen die Treppe hinauf und trat mit ihnen in die Kammer des hohen Rabbi.

Sobald sie aber die Kammer verlassen hatten, sprach der hohe Rabbi das verbotene Wort aus, das geschrieben steht im Buch der Finsternisse, das Wort, das die Erde erbeben macht und die Felsen entwurzelt, das Wort, das die Toten zurück ins Leben ruft.

Da stand das Kind vor ihm in irdischer Gestalt und war von Fleisch und Blut, und sein Leuchten war erloschen. Und es warf sich zur Erde nieder und weinte und bat und klagte und wollte zurück in den Garten der Toten.

»Ich lasse dich nicht zurück in die Wahrheit und in die Ewigkeit«, sagte der hohe Rabbi, »und du mußt von neuem beginnen das irdische Leben, es sei denn, daß du mir Antwort gibst auf meine Frage. Im Namen dessen, der der Einzige ist und der Alleinige, im Namen dessen, der war und der sein wird, beschwöre ich dich: Sprich und bekenne, wer jene Sünde begangen hat, um derentwillen das große Sterben über die Stadt gekommen ist.«

Das Kind senkte den Blick zur Erde und schüttelte den Kopf.

»Wer jene Sünde begangen hat«, sagte es, »um derentwillen uns Gott zu sich rief, das weiß ich nicht und auch der Diener des Herrn weiß es nicht, der über uns gesetzt ist. Das weiß nächst Gott nur einer und der bist du.«

Da kam ein Stöhnen aus der Brust des hohen Rabbi. Und er sprach das Wort, das den Zauber löste, und das Kind floh zurück in die Heimat der Seelen.

Der hohe Babbi aber verließ sein Haus und ging einsam durch die nächtlichen Gassen des Ghettos hinab zum Fluß und dem Ufer entlang, an den Fischerhütten vorüber, bis er zur steinernen Brücke kam.

Dort unter der steinernen Brücke stand ein Bosenstrauch, der trug eine rote Rose, und an seiner Seite wuchs ein Rosmarin aus der Erde, und sie hielten einander so eng umschlungen, daß die Blätter der Rose die weiße Blüte des Rosmarins berührten.

Der hohe Rabbi bückte sich und grub den Rosmarin aus der Erde. Dann nahm er den Bann von dem Haupte des Weibes, das die Ehe gebrochen hatte.

Schwarze Wolken jagten über den Himmel, das bleiche Licht des Mondes hing an den Pfeilern und Bogen der steinernen Brücke. Der hohe Rabbi trat an das Ufer und warf den Rosmarin hinab in den Fluß, daß er dahintrieb mit den Wellen und in den rauschenden Tiefen versank. In dieser Nacht erlosch die Pest in den Gassen der Judenstadt.

In dieser Nacht starb in ihrem Haus auf dem Dreibrunnenplatz die schöne Esther, die Frau des Juden Meisl.

In dieser Nacht fuhr auf seiner Burg zu Prag der Kaiser des Römischen Reiches, Rudolf II., mit einem Schrei aus seinem Traum.

Des Kaisers Tisch

An einem Frühsommertag des Jahres 1598 gingen zwei junge böhmische Herren von Adel Arm in Arm durch die Gassen der Prager Altstadt. Der eine war Herr Peter Zaruba von Zdar, Student der Rechte an der Universität Prag, ein unruhiger und unternehmender Geist, der Pläne schmiedete, wie man der utraquistischen Kirche zu ihren Rechten verhelfen, die landesherrliche Gewalt des Kaisers mindern und die der Stände mehren und wie man vielleicht sogar einen König böhmischer Nation und reformierten Glaubensbekenntnisses erlangen könnte. Solchen Gedanken hing der Peter Zaruba nach. Der andere, ein wenig älter an Jahren, hieß Georg Kaplir von Sulavice und saß im Rerauner Kreis auf seinem Gut. Er befaßte sich nicht viel mit Politik und Glaubenssachen, seine Gedanken kreisten um das Schmalz, das Federvieh, die Butter und die Eier, die er dem Obersthofmeisteramt für die kaiserliche Küche geliefert hatte, und um die Juden, denen er die Schuld an den schlechten Zeiten beimaß. Er war nach Prag gekommen, um nach seinem Geld zu sehen, denn das Obersthofmeisteramt war seit vielen Monaten mit der Begleichung der Rechnungen im Rückstand. Er und der Peter Zaruba waren ein Jahr zuvor in Verwandtschaft zueinander getreten, — einer von den Kaplirs hatte eine Zaruba zur Frau genommen.