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Sie waren in der Heiligen-Geist-Kirche gewesen, und der Georg Kaplir hatte sich gewundert, daß sie auf ihrem Weg so vielen Juden begegnet waren. Der Peter Zaruba hatte ihm erklärt, die Juden seien hier bei sich zu Hause, denn diese Kirche sei auf allen vier Seiten von Judengassen und Judenhäusern umgeben. Der Kaplir sagte, das sei eine Schande, daß man nicht zur Andacht in die Kirche gehen könne, ohne auf die breiten Judenbärte zu stoßen, und der Peter Zaruba meinte, die Juden könnten Bärte so breit wie die Zuber tragen, ihm sei's gleich.

Für einen, der wie der Georg Kaplir seine Tage im Berauner Kreis verbrachte, gab es in der Prager Altstadt vielerlei zu sehen. Der spanische Gesandte fuhr in seinem Galawagen, von Hartschierern und Hellebardieren geleitet, zum erzbischöflichen Palais. Im Wacholdergäßlein sprach ein närrischer Bettler die Vorübergehenden mit den Worten um ein Almosen an, er nehme alles: Dukaten, Dublonen, Rosenobels und Portugalöser, nichts sei ihm zu gering. In der Teinkirche wurde unter großem Gepränge die Taufe eines Mohren, der zur Dienerschaft des Grafen Kinsky gehörte, vollzogen, und der hohe Adel Böhmens drängte sich zu diesem Schauspiel. Die Buchdrucker und die Zeltmacher, die beide an diesem Tage ihr Innungsfest hatten, begegneten einander in der Plattnergasse mit ihren Fahnen und gerieten in Streit, weil keiner der beiden Züge dem anderen den Weg freigeben wollte. Auf dem Johannesplatz hielt ein Kapuzinermönch eine Ansprache an die Moldaufischer, in der er sagte, er sei auch ein Fischer, das Miserere sei seine lange Rute, an der hänge das Paternoster als eine goldene Angel, und das de profundis, der Toten liebste Speise, sei der Köder, und damit zöge er die armen Seelen wie Karpfen oder Weißfische aus dem Fegefeuer. Und vor einer Schenke auf dem Kreuzherrnplatz waren zwei Schlächtermeister aneinander geraten, weil der eine das Pfund Schweinefleisch um einen Heller billiger hergab als der andere.

Für all dies hatte aber der Georg Kaplir von Sulavice weder Aug' noch Ohr, er sah nur die Juden, denen er auf seinem Weg begegnete. Auf dem Altstädter Ring stand einer im Halseisen am Pranger, weil er sich, wie auf einem an seiner Brust befestigten Zettel zu lesen war, wiederholtermaßen und gröbliche gegen die Marktordnung vergangen hatte. Und der Georg Kaplir ließ es sich nicht nehmen, diesem Juden ins Gesicht zu sagen, was er von ihm dachte. Er sprach ihn dabei mit Moises und mit Eisig an, denn so hießen die beiden Berauner Juden, die er kannte.

»He, du Moises oder Eisig!« rief er. »Hast du heute deinen Büß- und Wehetag? Wenn heute dein Messias kam' und dich da stehen sah', der hätte wenig Freud' an dir.«

Da er keine Antwort erhielt und auch keine erwartete, ging er weiter. Auf dem Kleinen Ring holte er den Peter Zaruba ein.

Hinter der Moldaubrücke, wo die Insel lag, gerieten sie in einen ganzen Trupp von Juden, die unter scharfer Bewachung, daß keiner echapieren könnt', in die Kirche »Maria an der Lake« geführt wurden. Dort sollten sie die Judenpredigt anhören, die ein Jesuitenpater in hebräischer Sprache hielt, um sie für die Taufe zu gewinnen. Sie gingen wie Trunkene, denn sie hatten, um die Predigt nicht anhören zu müssen, zu einem alten und erprobten Mittel gegriffen: Zwei Tage und zwei Nächte hatten sie durchwacht, und nun waren sie in einem solchen Zustand der Erschöpfung, daß sie in Schlaf fallen mußten, sobald sie sich in der Kirche zum Sitzen niederließen.

»Juden hier, Juden dort, Juden drüben, Juden herüben, überall Juden«, erzürnte sich der Kaplir. »Sie haben sich dermaßen vermehrt, daß ihrer bald mehr sein werden als Christen im Land.«

»Das steht in der Allmacht Gottes«, sagte der Zaruba, den es zu verdrießen begann, daß sein neuer Verwandter von nichts anderem zu reden wußte, als von seinem Schmalz, seinen Eiern und von den Juden.

»Ich sehe«, fuhr dieser fort, »in ihrer Menge und in ihrem Reichtum nur ein trauriges Zeichen, daß Gott wider uns Christen erzürnt ist.«

Der Zaruba ging auf diesen Gedanken ein und spann ihn weiter.

»Vielleicht«, meinte er, »hat sie uns Gott, da sie doch Unbekehrte sind, als einen Spiegel der Besserung und zu unserer Erleuchtung vor Augen gesetzt.«

»Ach, geh du mit deiner Erleuchtung, daß ich dich nicht auslach'!« schrie der Kaplir halb belustigt und halb erzürnt. »Sie kommen bei uns auf die adeligen Höfe, aber nicht wegen der Erleuchtung, sondern sie kaufen das Schmalz, die Butter, den Käse, die Eier, die Leinwand, die Schafwolle, die Häute und das Groß- und Kleinvieh. Sie zahlen bar, das ist wahr, für den Stein Wolle legt der Jude dir vier Gulden auf den Tisch. Und wenn sie nicht bar zahlen, so geben sie Sicherheiten und gute Bürgschaft. Und dann bringen sie dem Gutsherren die Schnüre und die Litzen für die Livreen der Dienerschaft ins Haus, Zimt, Ingwer, Nägelein und eingemachte Muskatnüsse für die herrschaftliche Küche, und Seidenfransen, Flor und Schleier für die Frau und die Töchter.«

»Du siehst also selbst«, sagte der Peter Zaruba, »und gibst es zu, daß durch die Juden die Kommerzien florieren.«

»Mein Vater hochseligen Gedächtnisses«, sprach Georg Kaplir weiter, »hat mich aber unterwiesen, daß man den Juden nichts verkaufen soll. Jeder zu den Seinen, hat er immer gesagt, der Jud' soll mit Juden Handelschaft treiben und der Christ mit Christen. Und so hab' ich es auch mein Leben lang gehalten. Wenn nur die oben in der Burg nicht gar so säumige Zahler wären! Sag mir, Peter, wohin geht das viele Geld? Wohin gehen die Zollgefälle, die Landeskontributionen, die Kreissteuer, die Haussteuer, die Kopfsteuer, die Akzisen, der Kammerzins, die Umlagen, die Bierkreuzer, die Mautgebühren —, wohin läuft des Kaisers Geld?«

Sie waren auf dem Platz vor der Burg angelangt, da war ein großes Kommen und Gehen von Lakaien, Kanzlisten, Kurieren, Stallknechten, Standespersonen, hohem und niederem Klerus und Offizieren zu Pferd und zu Fuß. Armbrustschützen von des Kaisers Leibgarde hielten die Wache am Tor.

»Da mußt du den Philipp Lang fragen«, sagte der Zaruba und wies mit der Hand auf die hohen Fenster der Burg. »Der ist des Kaisers Leib- und Kammerdiener, und es heißt, daß er seine Hände in allen Staatsgeschäften hat. Vielleicht weiß der, wohin des Kaisers Geld geht.«

Der Georg Kaplir war stehengeblieben.

»Hör mich, Peter!« schlug er seinem Anverwandten vor. »Hätt'st du nicht Lust, mit dabei zu sein, wenn ich mein

Geschäft dort oben erledige? Ich werd' dich dem Johann Osterstock präsentieren, zweitem Sekretär im Obersthofmeisteramt, der ist's, der mir mein Geld auszahlt, wenn der erste Sekretär die Rechnung durchgesehen und für richtig befunden hat. Ein freundlicher Herr, der Johann Osterstock, von meinem Vater im zweiten Glied ein Vetter, spricht auch immer von unserer Verwandtschaft, und das Ende wird sein, daß er uns beide, dich und mich, zu einer Collation an des Kaisers Tisch lädt.«

»An des Kaisers Tisch?« unterbrach ihn der Peter Zaruba. »Mich an des Kaisers Tisch?«

»Ja, dich auch, Peter, wenn du mit mir kommst«, erklärte ihm der Kaplir. »Wie man so sagt, an des Kaisers Tisch. Wir werden mit den Herren Offizieren von der Leibwache speisen. Diese Ehre hat mir der Johann Osterstock immer erwiesen.«

»Hör mich an, Georg!« sagte der Peter Zaruba nach einem kurzen Schweigen. »Wie lang ist es jetzt her, daß die Anna Zaruba mit deinem Bruder Heinrich zusammengegeben worden ist?«

»Am Freitag nach Invocavit war's ein Jahr«, gab der Kaplir verwundert zur Antwort. »In der Chrudimer Kirche.«

»Und in dieser Zeit hat sie euch nie gesagt, daß kein Zaruba von Zdar von des Kaisers Tisch ißt, noch je gegessen hat?« fuhr ihn der Peter Zaruba an. »Und sie hat euch nie von der Prophezeiung des Johannes Zischka erzählt?«