2 auf Schritt und Tritt — на каждом шагу
3 Darauf kannst du Gift nehmen! — В этом ты можешь не сомневаться!
N a d j a: Wirklich?
K u r t: Darauf kann ich Gift nehmen.
N a d j a: Gift? Gift heißt яд, отрава. Und was bedeutet diese Redensart?
K u r t: Sie bedeutet «davon bin ich fest überzeugt».
N a d j a: Und was hat das mit Gift zu tun?
K u r t: Im Mittelalter verlangte manchmal das Gericht von einem Angeklagten, er solle Gift nehmen, um seine Unschuld zu beweisen. Wenn er an dem Gift nicht starb, wurde er freigesprochen.
N a d j a: Schrecklicher Aberglauben! Gut, daß die Zeiten vorbei sind! Ich bin glücklich, daß ich im 20. Jahrhundert lebe. So etwas gibt es jetzt nicht mehr.
K u r t: Sind Sie so sicher?
N a d j a: Darauf kann ich Gift nehmen!
Die erste Nadja-Stunde
Sie kamen spät nach Hause. Vor dem Hotel trafen sie Kornejew und mich. Wir hatten uns vorher telefonisch verabredet. Es interessierte uns sehr, wie diese beiden Tage verlaufen waren, oder, um in Nadjas Sprache zu reden, welchen Verlauf sie genommen hatten 1. Das erfuhren wir bald. Bei Tee und Kuchen erzählte man uns in großen Zügen 2 über alles, was an diesen Tagen geschehen war. Herta und Kurt waren sehr zufrieden mit Nadja, die ihnen große Hilfe geleistet hatte.
1) Vergraben Sie nicht Ihr Talent 3!
H e r t a: Nadja, Sie haben heute gut gearbeitet. Sie haben Talent für Fremdsprachen und besonders — für deutsche Redewendungen.
N a d j a: Und weshalb haben Sie heute so streng an mir Kritik geübt 4?
H e r t a: Verstehen Sie mich richtig, Nadja! Daß Sie so viele Redewendungen kennen, ist gut. Nun müssen Sie aber
1 den Verlauf nehmen = verlaufen — протекать
2 in großen Zügen — в общих чертах
3 sein Talent vergraben — зарыть свой талант
4 Kritik üben = kritisieren — критиковать
lernen, sie alle richtig anzuwenden und wirklich zu beherrschen. Ich glaube, Sie werden mit dieser Aufgabe fertig werden 1. Sie haben Talent.
K u r t: Und man darf sein Talent nie vergraben, Nadja.
N a d j a: Auch russisch sagt man so: зарыть свой талант в землю, дать заглохнуть таланту. Wie ist denn diese Redensart entstanden?
K u r t: Es war einmal ein reicher Römer, der eine Reise in ferne Länder machen mußte. Vor der Reise rief er seine Diener zu sich und gab jedem einige Talente 2 Gold. Als er zurückgekehrt war, fragte er seine Diener: «Was habt ihr mit dem Geld gemacht?» Alle berichteten, welch großen Nutzen es ihnen gebracht habe. Nur einer sagte: «Ich habe damit nichts gemacht. Ich habe es in die Erde vergraben.» — «Schade. Was man vergräbt, bringt keinen Nutzen. Das ist schlecht», sagte der Herr. Seither bedeutet «sein Talent vergraben» — «seine Begabung nicht entwickeln».
2) Da liegt der Hund hegraben!
K u r t: Man hört sehr oft die Redewendung «da liegt der Hund begraben».
N a d j a: Russisch heißt es auch so: Вот где собака зарыта! — d. h. Das ist die Ursache. Das ist der Kern der Sache — суть дела. Darum handelt es sich. Aber warum sagt man so? Wissen Sie das?
K o r n e j e w: Darüber habe ich Verschiedenes gelesen. Diese Redewendung ist sehr alt. Wir finden sie schon bei dem griechischen Historiker Plutarch, der im 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung lebte. Er berichtet von einem Hund. Der
1 fertig werden mit etwas — справиться с чем-либо
2 das Talent — талант — в древности самая крупная на Ближнем Востоке денежная единица (около 1500 руб. серебром)
Herr dieses Hundes, Xanthipp, trat eine Seereise an 1 und ließ den Hund allein zurück. Der treue Hund sprang ins Wasser und schwamm dem Schiff nach, mit dem sein Herr fuhr. Er konnte es aber nicht erreichen und kam um. Man begrub ihn auf der Insel Salamis.
N a d j a: Da war also der Hund begraben. Und weiter? Wie bekam dann diese Redewendung die Bedeutung «Das ist der Kern der Sache»?
K o r n e j e w: Vielleicht so: erst als sein Hund begraben war, verstand Xanthipp, wie treu das Tier gewesen war, d. h. er erkannte nun seinen wahren Charakter.
K u r t: Ich kenne eine andere Erklärung, und sie scheint mir richtiger. Im Mittelalter suchten viele Menschen nach versteckten Schätzen. Man glaubte, der Teufel bewache diese Schätze in der Gestalt eines schwarzen Hundes. Den Teufel durfte man aber nicht nennen, deshalb sagte man statt «Schatz» — «Hund». «Da liegt der Hund begraben» heißt also: Hier ist die gesuchte Stelle. Hier ist der versteckte Schatz, oder: Das ist es, worum es sich handelt 2. Hier liegt die Ursache.
l eine Seereise antreten — отправиться в морское путешествие
2 es handelt sich um — речь идёт о
Daß «Geld» und «Hund» früher Synonyme waren, sieht man auch aus einer Stelle bei Hans Sachs 1. Ein junger Mann glaubt, er habe Geld in der Tasche. Er klopft auf die Tasche und sagt: «Da liegt der Hund.»
H e r t a: Der schwarze Hund... Ich erinnere mich an eine Stelle in Goethes «Faust»:
«Da stehen sie umher und staunen,
Vertrauen nicht dem hohen Fund.
Der eine faselt von Alraunen,
Der andere von dem schwarzen Hund 2.»
3) Das also war des Pudels Kern!
K u r t: Aus dem «Faust» stammt ja auch eine synonymische Redewendung: «Das also war des Pudels Kern!»
N a d j a: «Так вот что за этим скрывалось!» Wo steht das doch im «Faust»? Ich erinnere mich nicht.
K o r n e j e w: Diese Worte spricht Faust, als er bemerkt, daß der schwarze Pudel niemand anderes ist als Mephistopheles.
H e r t a: Erinnern Sie sich jetzt, Nadja? Faust kommt in sein Studierzimmer mit dem schwarzen Pudel, der ihm gefolgt ist. Und plötzlich verwandelt sich der Hund in Mephistopheles.
N a d j a: Ach ja, richtig.
4) Das geht auf keine Kuhhaut! 3
K u r t (ironisch): Jetzt scheint es mir, Nadja, Sie haben vielleicht doch recht, wenn Sie so großes Interesse für Redewendungen zeigen. Verzeihung, an den Tag legen 4.