N a d j a: Wohl kleine, unwichtige Dinge?
K u r t: Ja. Z. B. «Ach, deine Sorgen, das sind ja nur kleine Fische!» Und was sind «faule Fische 3»?
H e r t a: Lügen, Ausreden, Betrügereien, denen man auf den Grund kommen 4 muß.
K u r t: Ja, und wenn ein Mensch durch sein hartnäckiges Schweigen auffällt, kann man sagen: «Er ist stumm wie ein Fisch 5».
H e r t a: Und wenn sich jemand irgendwo sehr wohl fühlt, so sagt man ...
N a d j a: Er fühlt sich hier wie ein Fisch im Wasser. Russisch kann man auch sagen: Он чувствует себя здесь как рыба в воде. Aber wie sagt man auf deutsch «ни рыба ни мясо»?
K u r t: Weder Fisch noch Fleisch. 6 Ja, das kam mir heute in den Sinn, als ich eine Theaterkritik in der «Berliner Zeitung» las. Sie war weder positiv noch negativ, weder für noch gegen. Der Kritiker lavierte hin und her, er wollte es mit niemandem verderben, seine Kritik war weder Fisch noch Fleisch.
H e r t a: Hört auf! Ich habe schon Halluzinationen. Ich sehe schon überall Fische ...
1 böse sein auf jemanden (или jemandem) — сердиться на кого-либо
2 kleine Fische — пустяки, мелочи, незначительные дела
3 faule Fische — пустые отговорки, вздор, обман
4 einer Sache (Dat.) auf den Grund kommen (gehen) — вникнуть в суть дела; выяснить суть дела; основательно исследовать что-либо
5 stumm wie ein Fisch — нем как рыба
6 weder Fisch noch Fleisch — ни рыба ни мясо; ни то ни сё; ни два ни полтора
5) Schneiden Sie sich nicht ins eigene Fleisch 1!
N a d j a: Jetzt gehen wir zum Fleisch über. Da will ich Ihnen etwas aus meinem Leben erzählen. Sie wissen ja, daß ich mich schon immer für die deutsche Sprache interessiert habe. Es stand fest, daß 2 ich Deutschlehrerin werde. Ich bereitete mich schon zu diesem Beruf vor. Da lernte ich eines Tages ein Mädchen kennen, das mich überreden wollte, ich solle die Schule verlassen und mit ihr zusammen Friseuse lernen 3. Ich erzählte meinem Deutschlehrer von diesen Plänen. Er sagte: «Auf keinen Fall! Jetzt, wo du schon gute Leistungen erzielt hast, willst du alles aufstecken? Du darfst dich doch nicht ins eigene Fleisch schneiden!» Ich sah ein, daß mein Lehrer recht hatte, und beschloß, die Schule zu beenden und gut Deutsch zu lernen. Dazu muß man aber Sitzfleisch haben 4, und das hatte ich nicht. Da sagte ich mir: «Ohne Fleiß kein Preis 5», und «Fleiß bricht Eis 6». Und es ging! Ich bekam Sitzfleisch! — Aber warum lachen Sie so? Habe ich etwas Dummes gesagt?
H e r t a: Nadja, Sie sprechen so komisch! Sitzfleisch kann man nicht «bekommen», Sitzfleisch kann man nur «haben» oder «nicht haben».
N a d j a: Das will ich mir merken. Ach, es ist noch ein weiter Weg, bis ich die deutsche Sprache so beherrsche wie mein Lehrer! Ihm sind all diese Redewendungen in Fleisch und Blut übergegangen 7...
6) Das ist mir Wurst! 8
N a d j a: Vom Fleisch können wir zur Wurst übergehen. Wurst macht man aus Fleisch. Ich habe schon öfters den Ausdruck gehört: das ist mir Wurst. Was heißt das eigentlich?
1 sich ins eigene Fleisch schneiden — просчитаться; подрубать сук, на котором сидишь
2 es stand fest, daß — было решено, что; здесь: я твёрдо решила, что
3 Friseuse (lies: [fri'zø:z∂]) lernen — учиться на парикмахера
4 Sitzfleisch haben — быть усидчивым; kein Sitzfleisch haben — быть непоседой
5 Ohne Fleiß kein Preis. (Пословица.) — Без труда не вытянешь и рыбки из пруда.
6 Fleiß bricht Eis. (Пословица.) — Терпение и труд всё перетрут.
7 das ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen — это вошло ему в плоть и кровь
8 Das ist mir Wurst! — Мне всё равно! Мне безразлично!
H e r t a: Es ist ein Synonym für «gleich», «gleichgültig», «einerlei».
N a d j a: Und ist es einerlei, ob ich sage, «Das ist mir gleichgültig» oder «Das ist mir Wurst»?
K u r t: Nein, das ist nicht einerlei. Es besteht ein stilistischer Unterschied. «Das ist mir Wurst» ist Umgangssprache und klingt etwas grob.
N a d j a: Aber was hat eigentlich eine Wurst mit «gleichgültig» zu tun? Das finde ich sonderbar.
K o r n e j e w: Die Wurst hat zwei Enden. Ist es Ihnen nicht gleich, an welchem Ende Sie zu essen beginnen?
N a d j a: Doch. Ach so, darum. Jetzt ist mir ein Licht aufgegangen 1.
7) Wenn etwas weder Salz noch Schmalz hat 2...
N a d j a: Nun sagen Sie mir ehrlich, Herr Bruck: nicht wahr, eine Sprache ohne volkstümliche Redewendungen hat weder Salz noch Schmalz. Habe ich recht? Warum haben künstliche Sprachen keinen Erfolg? Weil sie keine Redewendungen enthalten, also weder Salz noch Schmalz haben. Ist das richtig?
K u r t: Sie haben nicht unrecht. Aber — immer das gleiche «Aber» — was nützen Redewendungen, wenn man sie nicht richtig gebrauchen kann?
N a d j a: Ich sehe, Sie wollen schon wieder Salz auf meine Wunde streuen 3 ... Und ich dachte, daß wir gute Freunde sind.
K u r t: Das sind wir.