Выбрать главу

»Wenn er doch nicht so viel rauchen würde. Mir tränen schon die Augen. Und dauernd geht er auf und ab. Kann er nicht still sitzen? Ich liege auf dem Schreibtisch, direkt an der Heizung. Der Computer brummt leise. Die Schreibmaschine war schlimmer, die machte so einen Krach, dass ich es auf dem Schreibtisch nicht ausgehalten habe. Aber dafür gab es eine Menge Papier, warme Papierberge, auf denen man liegen konnte, zerknülltes Papier auf dem Boden, in dem man rascheln konnte. Das ist vorbei. Computer. Manchmal laufe ich über die Tasten und mache schöne Bilder, dann schreit er und jagt mich weg. Er ist ja so nervös.«

Isolde musste lachen, setzte sich in den Sessel und hatte Lust, mitten im Auspackchaos einfach weiterzulesen. Das Buch hatte eine deutsche Schriftstellerin geschrieben, die als Katzenfreundin bekannt war, und es hätte auch wirklich Nero sein können, der hier über Robert lästerte:

»Er schreibt Tiergeschichten. Sie schreiben alle Tiergeschichten. Sie erleben ja sonst nichts. Sie gucken unsereinen an, denken, sie verstehen uns, und schreiben darüber. Pah. Er hat keine Ahnung. Er weiß nicht, dass ich ihn für einen mickrigen Burschen halte. Wenn er nachts schläft, gehe ich über die Dächer, schaue in die Fenster und sehe, was anderswo alles so los ist. Bei ihm — nichts. Computer, Dosenfutter, schlafen. Das ist alles.«

Isolde holte sich ein Glas Wein und las die Schimpfkanonade des Katers über den Dichter zu Ende, nicht mal eine Freundin habe der Hungerleider, aber na gut, Frauen parfümierten sich auch immer so, das könne er ohnehin nicht leiden, aber diese Raucherei, wenn das so weiterginge, wolle er einfach eines Tages weggehen und sich eine nette alte Oma suchen, und dann könne der Dichter ja Zettel an alle Bäume nageln: »Kater entlaufen, schwarz, hört auf Moritz.«

»Ich werde ihn dann«, hieß es in der Geschichte weiter, »vom Fenster der alten Dame aus bei der Suche beobachten und mich nicht mucksen. Er wird herumrennen und nach mir rufen, und ich werde denken: Schrei du nur, ich bin jetzt hier und pfeif auf dich.«

Aus. Isolde klappte das Buch zu. Was für eine böse Geschichte! Dachten sie wirklich so, die Katzen, die bei den Menschen wohnten? Hatte Nero so gedacht? War er damals weggeblieben wegen Roberts Zigarren, wegen ihres Parfüms, wegen Dosenfutter? Hatte er sie rufen und suchen gehört und sich absichtlich nicht gemeldet, als sie so bitterlich weinend zurück nach Deutschland fuhren, ohne ihn?

Nein, Unsinn, er hatte sie beide geliebt, er wollte wieder zurück in seine Heimat, er war ein wilder Stromer, er wollte vielleicht wieder frei sein ...

Ach, dass sie aber auch gerade jetzt diese Geschichte lesen musste, schon krochen wieder trübe Gedanken in ihr hoch, nicht mal der gute Rotwein half dagegen.

Energisch legte Isolde das Buch weg und machte sich wieder ans Auspacken und Einräumen.

Der kleine alte Schreibtisch wurde bestückt mit Lampe, Füller, Papier, einem Stapel unbeantworteter Briefe, hier würde sie genug Zeit dafür haben. Das Radio lief, ein Countertenor sang die herrliche Arie aus Händels Xerxes über den Baum, dessen Schatten so unendlich schön war, nie wieder würde ein Schatten so voller Trost und Schutz sein, ombra mai fu.

Nie wieder würde vieles so sein wie früher. Aber im Nie wieder steckte auch immer etwas Neues, es gab ja nicht den luftleeren Baum, das ereignislose Leben. Solange ich lebe, dachte Isolde, kommt etwas Neues, ein neuer Baum, ein anderer Schatten, andere Aufregungen, andere Buhe, andere Lieben, andere Katzen. Nichts bleibt, das haben wir doch schon in der Schule gelernt, alles fließt. Justus wird gleich anrufen und fragen: »Ist noch Liebe da?« Das fragte er immer, immer als Erstes.

Und natürlich rief Justus an, sie sah seine Nummer auf dem Display, nahm ab und sagte: »Es ist noch Liebe da.«

»Wie geht es dir?«, wollte er natürlich wissen, und er hatte schon mal angerufen, in Sorge, aber sie erklärte ihm, wie tief und traumlos sie geschlafen hatte. »Du fehlst mir«, sagte Justus, »jetzt schon.« Und sie freute sich, denn es ist schön, wenn man jemandem fehlt, und sie dachte: Es ist vielleicht doch besser, ein bisschen mehr, nur einen Hauch, nur ein winziges Millimeterchen mehr geliebt zu werden, als selbst zu lieben, das Herz ist dann nicht ganz so in Gefahr.

Justus fragte nach dem Haus, nach den Möbeln, ob alles gut angekommen sei, nach dem Wetter, und er erzählte, dass es in Deutschland grau und trübe war, in Deutschland und in seinem Herzen, und sobald er weg könne, würde er sie besuchen kommen, und bis dahin solle bitte noch Liebe da sein.

Isolde versprach es und sah aus dem Fenster. Kleine Wolken lagen über dem See, der Oleander in ihrem Garten hielt Winterschlaf und durch die Pinie tobte ein Eichhörnchen.

Am Abend kamen Danilo, Clara, Romeo. Danilo lang und dünn, Clara klein und dick, Romeo ein puscheliges Etwas von einem Hund, beigefarben, quirlig, herumwuselnd, keine Sekunde still, mit einer roten Schleife um den Hals. Sie saß mit Clara am Tisch, Wein trinkend, und Danilo stand auf einer Leiter und befestigte den roten Glaslüster an der Decke, den beide als molto bello! bellissimo! bestaunten. Man redete über alles, über das Dorf, über Neuigkeiten, über die Familie, über Romeo, der aus Mailand stammte, von einem Züchter — dabei gab es so viele herrenlose, herumirrende Hunde, die ein gutes Zuhause brauchen könnten, aber das war mit Clara nicht zu machen, es musste immer alles vom Besten sein. Für die geplante Hochzeit wusste sie schon ganz genau, wo man die Betten und wo die Küche kaufte, wie das Bad gekachelt werden müsste und welches Geschirr von der Familie zu schenken sei, und das Wichtigste war natürlich das Brautkleid, bloß nichts hier aus dem Ort, aus Mailand musste es sein, und Danilo verdrehte die Augen, und Clara fragte: »Wie war dein Hochzeitskleid?«

»Ich hatte keins«, sagte Isolde, und Clara riss die Augen auf. Isolde erzählte von der Studentenhochzeit damals, in einem lila Minikleid, mit allerdings silbernen Schuhen, Robert in schwarzer Lederjacke, weißes Hemd, aber kein Schlips. »Boheme«, sagte Clara, und es klang wie eine Mischung aus Abscheu und Bewunderung, und Danilo rief: »Siehst du, es geht ohne dieses ganze Theater!«, und sie sagte streng: »Pass du lieber auf, dass du nicht von der Leiter fällst«, und sie rollte die Augen: »Männer!«

Romeo sollte zur Hochzeit eine weiße Schleife kriegen, auch das war schon geplant, und dann war Danilo fertig, drückte den Schalter, und der rote Glaslüster warf ein warmes, schönes Licht durchs Zimmer.

»So einen will ich auch«, sagte Clara, »im Schlafzimmer! Damit es da romantisch ist!« Und Isolde erzählte, dass der aus Berlin sei, aus einem ganz besonderen Kaufhaus mit verrückten Sachen. »Das gibt es auch in Venedig«, sagte Clara. »Unsere Hochzeitsreise geht sowieso nach Venedig, da kaufen wir einen.«

Romeo rannte plötzlich zur Tür und bellte und bellte und wollte sich gar nicht mehr beruhigen. Clara schimpfte mit ihm, und Isolde öffnete die Tür und rief hinaus ins Dunkle: »Ist da jemand?« Aber da war nichts, vielleicht nur ein kleines Bauschen in den Büschen, und hatte da etwas gemaunzt? Schon möglich, hier liefen viele Katzen herum. Allmählich beruhigte sich Romeo wieder.

Danilo setzte sich mit an den Tisch, und beim nächsten Glas Wein rückten die beiden mit ihrer Bitte heraus: Würde Isolde einer ihrer Trauzeugen sein? Der andere war Danilos Bruder Sebastiano, aber wenn sie bereit wäre, jetzt, wo sie doch hier wohnte ...

«Meine Schwestern sind so blöde«, sagte Clara, »und alle so dick, wie sieht denn das aus. Aber du, mit einem schönen Hut ... würdest du das machen?«

Isolde war sehr gerührt und versprach, es zu machen, sie freute sich über die Ehre und überlegte schon, was sie schenken sollte, aber Clara kam ihr zuvor und hatte an alles gedacht:

»Bei Montani, du weißt schon, in diesem Haushaltswarenladen in der Via Garibaldi, liegen Listen aus, da kannst du dich eintragen mit einem Geschenk. Wir haben alles genau aufgeschrieben.«

Isolde kannte solche Listen: sechs Küchenmesser, ein Fleischbeil, vier Siebe, zwölf Cognacschwenker, ein Badezimmerteppich, weiß, zwölf Kuchengabeln, drei Fleischplatten, ein Dampfkochtopf. Es war immer dasselbe, und am Anfang war alles neu und strahlend und schön, die Küche wurde eingerichtet mit lauter frisch ausgepackten Sachen, und im Laufe der Zeit kamen Bisse und Sprünge und erste Scherben, wie in der Küche, so in der Liebe. Robert und sie hatten damals alles Nötige auf dem Flohmarkt zusammengekauft. Die Tassen waren noch da, die Liebe nicht. In einem Lied hatte sie mal gehört: