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Isolde lachte und sagte, dass ihrer Meinung nach Männer und Frauen nicht wirklich gut zusammenpassten und dass das doch auch reizvoll wäre, es immer wieder zu versuchen, aber Danilo trank mit glasigen Augen noch einen Amaro und lallte: »Die Liebe, das ist das Schwierigste, die Liebe.«

»Nein«, sagte Isolde, »schau, Danilo, es mangelt ja nicht an Liebe in der Welt, Liebe ist ja immer da, aber wir wollen zu viel. Die Liebe soll uns immer ALLES sein, das kann sie aber nicht. Verstehst du?«

Nein, er verstand nicht, aber er bedankte sich für den schönen Abend und trollte sich singend davon.

Isolde sah ihm nach und kriegte gerade noch mit, wie jemand vom Katzenteilerchen im Garten wegsauste, mit mächtigem Geraschel ab durch die Büsche. Nero? Sie dachte täglich an diesen wunderbaren, großen, wilden Kater, der ihr vor so vielen Jahren als winziges Kätzchen hier zugelaufen war und der sie hier in diesem Dorf eines Tages nach all den gemeinsamen Jahren in Deutschland auch wieder verlassen hatte, der einfach bei der Abreise nicht wieder aufgetaucht, nicht mehr mitgefahren, nie mehr mitgefahren war. Nero.

Dann kam Justus zu Besuch. Er kam mit dem Auto und brachte den Best ihrer Sachen mit, worum sie ihn gebeten hatte. Er sah blass und zerzaust aus und drückte Isolde lange an sich und seufzte: »Du fehlst mir, du fehlst mir!«

»Ich bin ja jetzt da«, lachte sie, »und du bist auch da, und nun fehlt doch gar nichts mehr!«, und er fragte: »Ist denn noch Liebe da?« »Liebe ist auch noch da«, sagte sie und kochte einen großen Topf Spaghetti mit einer wunderbaren Sauce, wie nur sie das konnte, nein, nicht nur sie: Bei Mariagrazia hatte sie gelernt, so eine Sauce zu kochen, aber für Justus war das die beste Sauce der Welt. Liebe ist wichtig, aber Spaghetti mit einer guten Sauce sind auch sehr wichtig.

Während sie aßen, hatte Isolde immer das Gefühl, irgendwie beobachtet zu werden.

»Was ist«, fragte Justus, »warum bist du so unruhig, du guckst immer zur Tür, erwartest du noch jemanden?«

»Nein«, sagte Isolde, und das stimmte ja auch und stimmte doch nicht. Sie erwartete schon noch jemanden, aber nicht wirklich und nicht jetzt, ach, und überhaupt, nein. Und trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, jemand sähe sie an, und einmal war ihr, als hätte sie am Fenster zwei grüne glühende Kohlen gesehen, aber husch, waren die auch schon wieder weg, und wahrscheinlich hatte sie sich alles auch nur eingebildet.

Justus blieb fast zwei Wochen, spielte jeden Tag lange auf ihrem inzwischen gut gestimmten Klavier und füllte das kleine Haus mit Musik. Kurz vor der Hochzeit von Danilo und Clara musste er leider wieder abfahren. Es war schön gewesen, ihn dazuhaben, aber Isolde war auch nicht ganz unglücklich, als sie das Haus wieder für sich allein hatte. Sie brauchte Platz und Stille und Zeit, um sich zu überlegen, wie sie in Zukunft leben wollte. So schrecklich viel Zukunft gab es für sie ja auch nicht mehr, sie war, wie gesagt, nicht mehr die Jüngste, aber sie wollte das Beste daraus machen. Was das Beste war, wusste sie allerdings nicht. Wer weiß das schon?

Während sie Justus da gewesen war, hatte sich die kleine Elsa nicht ein einziges Mal blicken lassen. Die Vögel hatten das Tellerchen leer gepickt, die Eichhörnchen, der Igel, aber keine Katze.

Als Isolde von der Straße unten zurückkam ins Haus — sie war ein kleines Stück mit Justus gefahren und hatte ihm dann nachgewinkt und war zu Fuß nach Hause gegangen —, begegnete sie dem alten Bauern, von dessen Hof Nero und Rosa stammten. Er ging ganz krumm und freute sich, als er sie erkannte. Er hielt mit beiden Händen ihre Hand fest und fragte: »Beckenbauer! Spielt der noch?« »Nein«, sagte Isolde, »schon lange nicht mehr, aber er lebt noch, ich werde ihn von Ihnen grüßen.« »Ja«, sagte der alte Bauer, »machen Sie das, grüßen Sie ihn, tanti saluti, er ist ein so guter Junge.« Und sie sah in seiner Nähe eine zutrauliche kleine Katze, rot und weiß, wie Rosa gewesen war. Der Bauer war gut mit seinen Tieren gewesen, hatte sie gefüttert und im Heu schlafen lassen. Aber er war schon lange kein Bauer mehr. Er wohnte jetzt bei seinem Sohn, der Postbote war und aus dem kleinen Acker, auf dem der Vater einst die Ziegen gehalten hatte, einen Parkplatz gemacht hatte.

An diesem Abend, als würde sie ahnen, dass der fremde Mann wieder weg war, kam Elsa und fraß, gierig, hungrig, und zum ersten Mal näherte sie sich Isoldes ausgestreckter Hand und nahm ein Stückchen Fleisch. Isolde wusste, dass diese Katze bei ihr bleiben würde, irgendwann, nun musste sie nur noch Geduld haben. Vielleicht war sie es gewesen, abends auf der Fensterbank? Nein, sie hatte keine so glühenden Augen, sie war sanft und furchtsam, aber wer sollte es denn dann ...? Nein, nein und nein.

Die Hochzeit von Clara und Danilo kam heran. Isolde dachte an ihre eigene Hochzeit mit Robert, damals, als sie noch jung und noch Studenten waren. Sie waren so glücklich gewesen, so überzeugt von ihrer Liebe, und sie hatten geheiratet wie die Hippies — mehr Blumen als Geld, mehr zu trinken als zu essen, bunte Kleider, lustige Freunde, ein rauschendes, großzügiges, trotzdem preiswertes Fest. Es war auch eine lange und gute Ehe daraus geworden, aber ewig hatte sie dann doch nicht gehalten. Irgendwann waren Isolde und Robert nicht mehr wirklich freundlich und liebevoll miteinander umgegangen und hatten sehr undramatisch beschlossen, sich, ein wenig vorerst, zu trennen. Aus ein wenig wurde schließlich länger, und Robert hatte Angelika kennengelernt und Isolde Justus, und so lebten sie nun ein neues Leben, einander in Freundschaft verbunden, denn aus dem alten blieben schließlich viele gemeinsame Erinnerungen und Erlebnisse, viele Weißt-du-nochs. Und natürlich auch Erinnerungen an gemeinsame Katzen, und so rief Robert ab und zu an und fragte: »Na, ist er aufgetaucht?«

»Nein«, sagte Isolde. »Ich weiß gar nicht, ob er noch lebt. Jeder will ihn mal gesehen haben, aber keiner ist sich wirklich sicher, ob er es auch tatsächlich war. Weißt du, hier laufen inzwischen viele Katzen mit einer weißen Pfote herum!«

Robert lachte. »Das kann ich mir vorstellen«, sagte er, »die hat er Kindern und Kindeskindern vererbt.« Und Isolde erzählte von Elsa, und Robert sagte: »Dann wirst du ja bald wieder eine Katze haben, das freut mich, zu dir gehören Katzen, Isolde«, und er erzählte, dass Angelika eine Katzenallergie hätte, und Isolde grinste: Das geschieht dir recht, dachte sie.

Bei der Hochzeit war sie tatsächlich die Trauzeugin, im Standesamt und in der Kirche. Sie saß vorn bei der Familie, hatte sich schön gemacht, trug den Hut mit den Bosen und sah Danilo aufmunternd an, der sehr viel zaghafter in diese Ehe ging als Clara, die alles fest im Griff hatte und im gerafften langen weißen Kleid hin und her lief und den Kellnern und Köchen Anweisungen gab, während Danilo am Tisch, an der langen Hochzeitstafel im Ristorante Paradiso sitzend, mit seinem Bruder telefonierte, der nur fünf Pätze weiter weg saß, aber sie hatten beide neue Handys und mussten ausprobieren, wie die funktionierten. Auch andere junge Männer und Onkels und Cousins holten ihre iPhones und Handys heraus, ließen es klingeln, verglichen Klingeltöne, zeigten sich Fotos, telefonierten laut schreiend miteinander oder schickten sich SMS, die Frauen tippten sich mit dem Zeigefinger an die Stirn: Tutti scemi, una gabbia di matti — lauter Verrückte, ein Narrenhaus.

Es wurde sehr viel gegessen, noch mehr getrunken, und dann wurde die Hochzeitstorte aus einem Nebenzimmer hereingefahren, auf einem Servierwagen.

Das heißt: Sie sollte hereingefahren werden, aber plötzlich ertönten spitze Schreie, Flüche, und dann erschien Claras Mutter weinend im Zimmer und rief: »La torta! La torta! Maledetto!« Und alle liefen hin, um das Elend zu besichtigen:

Irgend jemand war über die Hochzeitstorte hergefallen, hatte unten angefangen, Biskuit und Sahne wegzufressen, dann war das ganze hohe Tortengebäude samt Hochzeitspaar aus Zuckerguss auf der Spitze zusammengestürzt. Man sah Pfotenspuren in der Glasur, und das, was einmal eine Hochzeitstorte gewesen war, lag als süßer Trümmerhaufen auf, unter und neben dem Servierwagen.