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Alle empörten sich, Clara brach in Tränen aus und schrie: »Meine Torte! Meine Torte!« Danilo trank einen großen Schnaps, jemand versuchte, auf einer Platte zu retten, was zu retten war, und die Großmutter bekreuzigte sich und sagte: »Un brutto segno, molto brutto!« Ein ganz, ganz schlechtes Zeichen ... Nur Isolde starrte stumm und mit Herzklopfen auf dieses Werk der Zerstörung und dachte daran, wie sie einmal in Köln eine Buttercremetorte für den Geburtstag ihrer Freundin Leonie gebacken hatte und wie sie die völlig zermatschte und zerstörte Torte auf dem Fensterbrett gefunden hatte und einen Nero sah, der noch dicker als sonst wirkte, im Sessel schnarchte und im Bart eindeutig Buttercremespuren hatte.

Nachdem man sich beruhigt und zwei kleine Obstkuchen herangeschafft und den Kaffee herumgereicht hatte, wurden Reden gehalten, auch Isolde wünschte dem Paar mit erhobenem Glas in holprigem Italienisch Glück. Und sie dachte an Justus, der sie beinahe täglich am Telefon fragte: »Ist denn noch Liebe da?« Und sie wusste nicht, ob noch Liebe da war oder ob es genug Liebe war, wie er sich das eben so vorstellte, und wann Liebe denn eigentlich genug war. Ach.

Und sie hob lächelnd das Glas auf die Jungvermählten und küsste beide und wünschte alles Glück der Welt, und das wünschte sie ihnen wirklich, wenn sie auch nicht daran glaubte.

Romeo bellte und war nur still, wenn jemand ein Stück Schinken oder Wurst vom Tisch zu ihm hinunterwarf, und fast konnte man zusehen, wie er stündlich dicker wurde.

In der Nacht torkelte Isolde betrunken und melancholisch nach Hause, die Schuhe mit den hohen Absätzen in der Hand, und als sie sich ihrem Haus näherte, hörte sie ein Rascheln und sah einen Schatten — etwas sprang auf und lief weg. Vielleicht war es Elsa gewesen — das Tellerchen, das Isolde gefüllt hingestellt hatte, war jedenfalls leer.

Aber kann eine schmale Elsa so laut rascheln und so einen großen Schatten werfen?

Isolde schloss auf und ließ die Tür weit offen stehen, hörte noch ein bisschen Musik, trank ein letztes Glas Wein und sah auf den See, auf den Himmel voller Sterne und hatte wieder dieses irritierende Gefühl, genau in der Mitte zwischen Glück und Unglück zu sein. Zu schweben, in einem seltsamen, nicht benennbaren Zustand. Etwas würde sich verändern, das spürte sie ganz deutlich.

Das Telefon klingelte, und sie dachte: Ja, es ist noch Liebe da, und ging nicht dran. Sie mochte jetzt nicht reden, sie hatte den ganzen Tag geredet, und die Worte waren ihr ausgegangen.

In der Nacht lag sie bei weit geöffnetem Fenster lange wach und ließ die Gedanken einfach so wandern — zu Clara und Danilo und ihrem neuen Eheleben, zu Robert und seiner Freundin, zu Justus und seinem Klavier, und immer wieder war ihr, als hörte sie im Garten ein Rauschen und Rascheln, und einmal maunzte auch jemand, etwas, ein Jemand, ein Etwas, es maunzte jedenfalls. Sie fühlte sich gut und wohl und sicher und hatte das Gefühl, als würde irgendwann bald etwas Schönes passieren.

Und tatsächlich, etwas wirklich Schönes passierte schon am nächsten Tag.

Isolde stand in der Küche und kochte sich eine Gemüsesuppe, als auf spitzen Pfoten, sehr langsam, sehr vorsichtig, den Blick starr auf sie gerichtet, Elsa durch die offene Tür in die Küche kam. Immer näher. Dann setzte sie sich einen Meter von Isolde entfernt auf den Küchenboden, sperrte ihr Mäulchen auf und machte: »Mäh!«

»Mäh?«, fragte Isolde. »Bist du ein Schaf? Kannst du Fremdsprachen? Wie macht die brave Katze?«

Und Elsa antwortete: »Mau!«

»Das lass ich durchgehen«, sagte Isolde, »miau oder maunz wäre besser, aber mau ist auch in Ordnung. Was aber bedeutet mau, Elsa, meine Liebe?«

Und Elsa riss wieder das kleine rosa Mäulchen mit den spitzen weißen Zähnchen auf, ruderte mit einer Vorderpfote durch die Luft und krähte: »Mau-mau!«

»Maumau?«, fragte Isolde. »Willst du Karten spielen? Sollen wir tatsächlich Mau-Mau spielen, meinst du das?«

Elsa wurde ungeduldig, und Isolde hatte ihren Spaß daran, sie ein wenig hinzuhalten, sie in dieser Küche zu behalten, sich mit ihr zu unterhalten.

Elsa kam einen Schritt näher. »Maunz!«, sagte sie sehr laut und deutlich, und Isolde rief: »Ach so! Maunz! Maunz heißt in der Katzensprache Hunger, oder?«

Ihr war, als ob Elsa nickte. Sie kam noch ein Stück näher und rieb plötzlich ihren kleinen Kopf an Isoldes Bein. »Maunz maunz maunz«, machte sie und gurrte weich, und Isolde war glücklich und bewegte sich nur ganz langsam, füllte ein in der Nähe stehendes Tellerchen — ihr schönstes, das mit den Veilchen, eigentlich nicht für Katzen gedacht, aber es stand nun einmal nah — mit ein paar Stückchen von der Knackwurst, die sie sich gerade in ihre Suppe schnibbelte, und stellte den Veilchenteller ganz sachte neben ihre Füße. Elsa wich nicht zurück. Sie stand neben ihrem Fuß, fraß die Wursträdchen, schnurrte beim Fressen. Als sie fertig war, reckte sie sich und begann, sich umständlich zu putzen.

Isolde traute sich, sich wieder zu bewegen. Sie füllte ein Schälchen mit Wasser, stellte es an die Wand neben den Schrank, stellte den Veilchenteller mit noch drei Stückchen Wurst daneben und sagte: »Das ist jetzt dein Plätzchen, Elsa.« Und Elsa schaute, machte sich lang, machte einen Buckel, stolzierte zum Teller, nahm im Vorübergehen die letzten drei Wurststückchen zu sich und stakste dann, als wäre sie schon immer hier gewesen, ins Wohnzimmer.

Da stand ein Sofa. Früher war es mal grün gewesen, jetzt war es rot, vor ein paar Jahren neu bezogen von Danilos Bruder Sebastiano. Es war dasselbe Sofa, auf das damals Nero mit seiner Rosa gesprungen war und signalisiert hatte: »Hier sind wir jetzt zu Hause, bitte nicht beim Schlafen stören!«

Nun war es rot, und nun war es die kleine graue Elsa, die hinaufsprang, ein paarmal die Steppe trat, wie Isolde das immer nannte, und sich dann drehte, einrollte, hinlegte und sofort, aber sofort einschlief. Robert hatte immer gesagt: »Das ist der Milchtritt, den machen kleine Katzen bei ihrer Mutter«, und Isolde hatte gesagt: »Nein, so treten Löwen die Steppe platt, ehe sie sich hinlegen.«

Wie auch immer, welcher Tritt es nun auch gewesen sein mochte: Elsa lag, Elsa schlief, Isolde hatte wieder eine Katze und liebte sie, sofort, von ganzem Herzen, wie man nur eine Katze lieben kann.

Und sie war sehr glücklich, aber Elsa zu streicheln traute sie sich noch nicht. Sie wollte nicht stören, und sie ging in die Küche zurück, füllte sich Suppe in einen Teller und aß die Suppe auf den Knien in dem Sessel, der dem Sofa gegenüberstand. Sie sah immerfort ihre Elsa an und dachte: Wir beide werden jetzt alt miteinander.

Danach ging sie ganz normal und nicht besonders leise im Haus umher, wusch ab, hängte Wäsche auf, machte den Fernseher an — Elsa lag da, blinzelte ab und zu, aber sie schlief, als hätte sie seit Monaten keinen Schlaf gefunden, und wahrscheinlich hatte sie auch noch nie so warm, sicher und ungestört irgendwo gelegen.

Und dann war alles, als wäre sie immer schon da gewesen. Von dem Moment an, an dem Elsa beschlossen hatte, zu bleiben, blieb sie auch. An den ersten beiden Tagen musste vorsichtshalber die Türe noch offen stehen, damit sie bei seltsamen Geräuschen jederzeit fliehen konnte. Am dritten Tag hatte Isolde die alte Katzenklappe aktiviert, und Elsa begriff sofort, dass man hier ein und aus gehen konnte, wie und wann immer man wollte, und am dritten Tag streichelte Isolde sie auch zum ersten Mal richtig und lange und kraulte sie hinter den Ohren, als sie von ihrem Streifzug zurückkam. »Elsa«, sagte sie, »du bist meine Elsa, du wohnst jetzt hier, du sollst es gut haben.« Elsa sah sie an, als wollte sie sagen: »In Ordnung, vielen Dank auch. Hauptsache, der Teller ist immer gefüllt, du bist ein nettes altes Mädchen, wir versuchen es mal miteinander.«