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Und so war eigentlich alles in bester Ordnung, doch immer wenn Isolde sich ans Klavier setzte und spielte, stieß Elsa einen Klagelaut aus und verließ sofort das Zimmer. Das wäre nun nicht nötig gewesen, denn so schlecht spielte Isolde auch wieder nicht. Aber was will man machen, Katzen haben ihren eigenen Kopf, ihren eigenen Geschmack, und es war ganz offensichtlich, dass Elsa das Klavier hasste. Nero hatte es geliebt, so sehr, dass er selber oft genug auf den Tasten herumgelaufen war und abenteuerliche Töne erzeugt hatte, und seine Spezialität war gewesen, mitten in der Nacht mit allen vier Pfoten aufs Klavier zu springen, sodass das ganze Haus wach wurde. Er war ja auch mit Kagels Kater Karl damals in Köln eng befreundet gewesen, und zusammen waren sie oft zu Kagels Freude über das Klavier gelaufen, und Kagel, der ein berühmter Komponist war, hatte gerufen: »Schönberg! Schönberg!« Das war ein äußerst moderner Komponist gewesen. Jetzt war Kagel tot, Karl war tot, Schönberg war schon sehr lange tot, und wo Nero war, wusste niemand, vielleicht war er auch längst tot. Und sie hatte nun eine Elsa, die das Klavier nicht mochte, dafür aber nicht so anspruchsvoll und unverschämt war, das hatte auch sein Gutes.

Am fünften Abend folgte Elsa Isolde ins Schlafzimmer, wartete einen Moment ab, sprang dann aufs Bett und schlief in dieser Nacht zum ersten Mal am Fußende. Das war also auch geschafft. Und von dieser Nacht an schlief Isolde wieder gut, fest und tief und ohne böse Träume, die sie hochschrecken und denken ließen: Was soll nur werden? Was soll nur werden?

Ja, was sollte schon werden, es war wieder eine Katze da. Da konnte ja gar nichts mehr passieren, und das Einkaufen machte für zwei auch wieder viel mehr Spaß als für einen allein. Isolde kaufte Hühnerleber und hackte sie klein, mischte Haferflocken darunter, kaufte Katzenkekse und Kaninchenhäppchen in Gelee, und Elsa wurde kräftiger, das Fell begann zu glänzen, sie bedankte sich ab und zu mit einer Maus auf der Küchenmatte, man kam gut miteinander aus.

Eines Tages hatte Isolde unbändigen Appetit auf Sauerkraut. Ja, sie war in Italien, nein, dort aß man kein Sauerkraut, ja, sie wollte die Speisen des Landes zubereiten und etwas italienischer und weniger deutsch werden, aber sie hatte nun mal aus Deutschland noch ein paar Dosen Sauerkraut mitgebracht, und sie liebte Sauerkraut, seit sie mal im Elsass gewesen war. Die Elsässer essen morgens, mittags und abends Sauerkraut, na, vielleicht nicht ganz so, aber doch sehr oft, und sie haben eine tolle Idee: In das heiße Sauerkraut auf der Platte stellen sie ein eiskaltes Piccolofläschchen mit Sekt oder Champagner, das sie vorher gut durchschütteln, und dann steht der kalte, geschüttelte Champagner in dem heißen Sauerkraut, und wenn man jetzt vorsichtig den Korken löst, macht es einen Knall und der Champagner spritzt weißschäumend heraus und fließt über das Sauerkraut, und das ist dann so lecker, also, das kann man sich überhaupt nicht vorstellen.

Isolde konnte es sich vorstellen, sie dachte schon den ganzen Tag an Sauerkraut, und ein gutes Mettwürstchen hatte sie auch noch im Haus. Also wurden Kartoffeln geschält, gestampft, mit Milch, Butter und Muskat zu einem köstlichen Kartoffelbrei verarbeitet, das Sauerkraut wurde mit Schweineschmalz erhitzt, obendrauf lag das Mettwürstchen, und als alles fertig war, kam es auf eine weiße Platte, und dann das Fläschchen Champagner mitten hinein —

»Elsa, Achtung!«, warnte Isolde, und knall-bumms, der Korken schoss hoch, Elsa sauste in den Garten, der Champagner floss übers heiße Sauerkraut und Isolde lief das Wasser im Mund zusammen. Sie setzte sich und stand dann gleich noch einmal auf und ging in die Küche, denn es fehlte Senf. Senf musste sein zur Mettwurst, wo war denn der vermaledeite Senf? Sie suchte auf dem Gewürzregal, im Kühlschrank, schließlich fand sie ihn unten im Küchenschrank bei den Nudeln, wo er nicht hingehörte — dieser Haushalt war noch nicht perfekt. Der wird auch nie perfekt, dachte Isolde vergnügt, auf perfekt kann ich verzichten, Hauptsache, es ist immer genug Liebe da, um mit Justus zu reden! Und sie pfiff vergnügt vor sich hin, ging zurück zu ihrem Sauerkraut und — erstarrte.

Die Wurst war weg.

Das Sauerkraut stand da und dampfte, der Kartoffelbrei lockte goldgelb, aber die Wurst war weg. Man sah Spuren auf dem Tisch, auf dem Boden, Sauerkrautfäden, Fettflecken, die Spuren der Wurst verschwanden im Garten.

Elsa?

»Elsa!«, rief Isolde wütend, und Elsa sah furchtsam um die Ecke, furchtsam und wurstlos. Es war eindeutig: Elsa war das nicht gewesen. Aber wer dann? Wer kommt blitzschnell in ein Haus, bei dem die Tür zum Garten offen steht, nutzt den einzigen unbewachten Moment, ahnt, riecht, weiß: Da ist eine Wurst, und schnappt zu und hast — du — nicht — gesehen?

Isolde wusste sofort: Es kam nur einer für so eine Tat infrage, nur einer, dem sie das auch verzeihen würde, dass ihr leckeres Essen nun so geschrumpft war ...

Mit weichen Knien setzte sie sich an den Tisch, aß Sauerkraut und Kartoffelbrei ohne Wurst, trank ihr Bier, ließ die Tür nicht aus den Augen. Elsa kam auf leichten Pfoten wieder herein und sprang aufs Sofa, und mehr geschah nicht.

Mehr geschah zunächst nicht.

Die Wurst blieb, natürlich, verschwunden. Und ihr Verschwinden ließ sich nicht auf einen möglicherweise starken Windstoß zurückführen oder auf die Kinder von Mariagrazia, die ihr einen Streich spielen wollten, auch kein Eichhörnchen konnte es gewesen sein, und Zauberei schied definitiv aus. Es war ...

Isolde dachte den Gedanken nicht zu Ende, machte sich an den Abwasch und putzte die Wurst- und Sauerkrautspuren von Tisch und Boden.

Dann setzte sie sich ans Klavier, um sich ein bisschen zu beruhigen, und spielte ein schönes kleines Stück von Schubert, das ihr inzwischen sogar ganz gut gelang. Umso empörender war es, dass Elsa sofort aufstand und das Zimmer verließ. Bei Schubert! Ihr war das alles Katzenmusik, unerträglich geradezu, und Isolde spielte mit leichter Wut weiter und versuchte sich an einem kleinen Bondo von Mozart, und sie probierte aus und blätterte in den Noten und spielte ... und hatte auf einmal das Gefühl, jemand wäre hinter ihr. Jemand würde sie beobachten. Sie spürte es ganz deutlich, da war etwas, jemand, und bohrte ihr einen Blick in den Bücken, man spürt so was doch, oder?

Elsa konnte es nicht sein, die hatte das Haus vor einer guten Viertelstunde beleidigt verlassen, und meist stromerte sie dann so weit weg, dass sie das Klavier aber auch garantiert nicht mehr hören konnte.

Isolde spielte weiter und drehte sich dabei auf ihrem Klavierhocker ganz langsam um ... Da saß er.

Sie hörte auf zu spielen, ließ die Hände sinken, sie sah ihn an, und er sah sie an. Nero Corleone, wenn man es übersetzt, heißt es: Nero Löwenherz, Nero, der Mutige, der große Nero mit der weißen Pfote, die sich alles nahm, was sie wollte. Er war alt geworden. Sein Fell war zerzaust und nicht mehr so glänzend tiefschwarz wie früher, das linke Ohr zur Hälfte abgerissen. Aber seine Augen waren groß und grün und furchtlos wie eh und je, seine rechte Vorderpfote war weiß wie eh und je, und seine rosa Zunge leckte ums Mäulchen herum, die fette Wurst hatte Spuren im Bart hinterlassen. Er saß auf dem Teppich wie eine Statue und sah sie an. Isoldes Herz klopfte so laut, dass sie sicher war, er würde es hören, und dann wollte sie »Nero!« sagen, aber sie bekam keinen Ton heraus.

Nero begann, sich in aller Buhe zu putzen. Die weiße Pfote fuhr übers Gesicht, immer wieder, er hielt die Augen fast geschlossen bei seiner Arbeit, aber sie sah genau, dass er sie anblinzelte.

»Nero, mein Herzallerliebster, wo warst du all die Jahre?«, flüsterte Isolde, und Nero dachte: Na, wo werde ich gewesen sein, im Himalaya? Auf den Balearen? Am Schwarzen Meer? Ich war hier in Italien, sie stellt ja immer noch so dusselige Fragen wie damals!

Mein Nero«, sagte Isolde, und sie weinte.

Jetzt heult sie schon wieder!, dachte Nero. Ob sie noch so eine Wurst hat? Wenn nicht, ja, das wäre dann in der Tat ein Grund zum Heulen.