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Wir warteten an einem Häuschen mit vielen Wegweisern. Da kamen dann Herr Funke und die Jungens mit Maik. Zwei Jungens vorn und zwei hinten, und Rolf zeigte immer wie es nicht weh tut auf der Schulter, wie sie den Ast tragen sollen. Herr Funke hat erzählt, wie sie schon wütend gewesen sind. Maik hat ganz wenig gestreut. Dabei hatte er es versprochen gehabt. Dann saß er auf einmal auf einem Baumstumpf mit dem leeren Sack auf den Knien. Ringsherum Kiefern. Maik ist weggerannt als die Jungens angefangen haben zu werfen. Hat natürlich nichts genützt. Grad wenn Herr Funke mit dabei ist. Der wirft hundert Meter weit und trifft immer. Sie haben immer zusammen geworfen. Herr Funke sagte, das war wie früher ne Orgel, wie aus einer sowjetischen Stahlorgel. Maik hat sein Unterhemd anbehalten, das hat geleuchtet egal wohin er ist. Sie mußten immer nur nach dem Unterhemd werfen. Maik hat auch keine Schuhe mehr gehabt, aber die Augen offen. Ist aber paarmal gegen was gehauen. Als Herr Funke merkte, daß wir alle mit dabeisein wollen, hat er gesagt, wir sind in Ordnung. Herr Funke ist ein Strenger, sagt Adelheid immer, aber gerecht. Das ist was ganz Seltenes, wenn er nichts zu meckern hat. Wir haben es aber geschafft, weil wir zusammengehalten haben mit Adelheid. Wir stellten uns hin wie morgens beim Appell drum rum um Maik. Herr Funke sagte, wie stolz er auf uns ist. Alle haben ihre Aufgabe erfüllt.

Die Jungs haben ihn dann auf die Veranda getragen wo Herr Funke und Herr Meinhardt, der Hausmeister, standen. Adelheid sagte, Herr Meinhardt hat gesagt, da könnte jeden Tag so ein Satansbraten kommen, das würde die Küche ganz schön entlasten. Das ging dann schnell, und weil alle was mitbekommen wollten. Herr Funke lobte Herrn Meinhardt, weil der sein Handwerk versteht und auch immer an die Schüssel denkt und die drunterhält. Die Jungens mußten die ganze Zeit rühren. Wir kümmerten uns ums Brotschneiden und brachten den Teekübel auf den Sportplatz. Wir nahmen den Handwagen und die Jungens haben das Gestell für den Spieß gebracht. Und Rolf hat das Holz angemacht über das dann der Lagerspieß kam. Herr Funke lachte, weil der Maik gar nicht wiederzuerkennen war. Hat ganz schön lang gedauert, bis wir randurften, lange nach Nachtruhe. Ich esse aber lieber Wurst. Wurst schmeckt mir besser als so ein Schnitzel. Herr Funke hat viel erzählt von früher und wie sie gekämpft haben und die ganzen Opfer und wie sie trotzdem immer an den Sieg geglaubt haben. Deshalb machen wir auch Ehrenwache. Und dann hat Herr Funke Gitarre gespielt, und Adelheid hat gesungen und wir auch. Ich dachte immer an den Gürtel. Wenn ich den schon gehabt hätte. Und dann sagte Herr Funke: Wer will denn den Kopf mal sehen? Und hat ihn rausgeholt aus dem Sack, wo er die ganze Zeit drin war. Wer will den Kopf tragen, hat Herr Funke gefragt. Ich hab Maiks Kopf so angefaßt, wie Herr Funke es uns gezeigt hat, an den Haaren. Ganz schön schwer war der, weil ich mich ja nicht dreckig machen wollte. Das hatte ich nicht gedacht, daß Maiks Kopf so schwer ist. Ach du grüne Neune hab ich gedacht. Weil er so schwer war, haben wir uns abgewechselt, Sylvia und ich. Sylvia ist meine beste Freundin. Wenn wir zurück sind, wollen wir uns besuchen.

Es grüßt Euch Eure Sabine, Gruppe M 4

[Brief vom 24. 3. 90]

JAHRHUNDERTSOMMER

Salwitzky steht zwischen Tür und Tisch, die Hände in den Hosentaschen der Ausgangsuniform, und blickt zum Fenster. Wegen der Nachmittagssonne und der Hitze ist die Verdunkelung halb zugezogen. Davor sitzt Vischer, einen Ellbogen auf dem breiten Fensterbrett, den Rücken am Spind, in der Linken das Buch. Es ist still wie auf dem Land. Nur manchmal hört man das Schlurfen von Stiefeln oder die hohen Schwungradtöne der Mannschaftswagen. Die Kompanie ist auf dem Schießplatz.

«Dreiviertel fünf«, sagt Salwitzky, schiebt die Schirmmütze noch weiter zurück und fährt sich mit der Hand über die Stirn.»Und?«

«Nichts«, sagt Vischer.

«Du siehst ja nicht hin.«

«Ich seh, wenn sich was bewegt.«

«Wenn du nicht hinsiehst, kannst du auch nichts sehn!«

Ein Pfiff ist zu hören, nicht auf ihrem Flur, dann das Kratzen von Hockern über ihnen.

«Wenn die wiederkommen und uns hier sehen und sich scheckig lachen, mach ich Randale.«

«Mach Randale«, sagt Vischer leise, legt das aufgeschlagene Buch auf die Seiten, steht auf, nimmt Schreibblock und Kuli aus dem Spind und setzt sich wieder. Er schiebt das Linienpapier zurecht.

«Was wird denn das jetzt?«Salwitzky geht ein Stück um den Tisch, gerade so weit, daß er die grau-blaue Tür der Stabsbaracke mit der kaputten Klinke sehen kann.

Vischer hält den Kopf schief und dicht über dem Blatt.

«Was machst du denn?«

Vischer schaut in das Buch und schreibt weiter.

«Ich hab dich was gefragt.«

«Mensch, Sally, das siehst du doch!«

Salwitzky dreht sich um. Er rüttelt am Schloß seines Spinds, stellt seine Tasche vom Hocker auf den Tisch, öffnet den Reißverschluß und schließt ihn wieder. Er lüftet seine Schirmmütze und wischt sich mit dem Unterarm über Augen und Stirn. Die Achselhöhlen seines hellgrauen Hemdes sind dunkel.

«Schreibst du ’ne Beschwerde?«

«Nee«, sagt Vischer, blättert die Buchseite um, schlägt ein Bein über das andere und beugt sich wieder vor.

«Mach ich nie wieder«, sagt Salwitzky,»so was ist nichts für mich. In Urlaub geht’s zusammen mit der Kompanie oder gar nicht.«

«Kommst schon nach Hause.«

«Wenn ich dich ansehe, wenn ich dich da so hocken sehe, glaub ich’s nicht mehr.«

«Vor fünf passiert da nichts, das weißt du doch.«

«Wenn ich den Achtundzwanziger nicht krieg …«

«Kriegste auch nicht.«