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«Ja! Scheiße auch!«Salwitzky tritt gegen den Hocker vor ihm, der ans Bettgestell kracht und umfällt. Salwitzky hebt ihn auf und tritt erneut dagegen. Der Hocker bleibt kurz vor der Tür liegen.

«Das ist der Jahrhundertsommer, Visch! Jahrhundertsommer ohne uns! Wir hängen hier rum, und da draußen … Das kommt nie wieder!«

«Kannst dich auf’n Kopp stellen, Sally …«

Salwitzky fährt herum.»So siehste aus! Sally und auf’n Kopp stellen, das würde dir gefallen. «Salwitzky hebt den Hocker auf und schiebt ihn zurück unter den Tisch.»Das würde dir gefallen, oh, Mann!«

Salwitzky wirft sich auf eines der unteren Betten in der Mitte, die Ausgehschuhe auf der Querstrebe am Fußende.»Haste Kummer, Visch? Ist sie dir davongelaufen?«

Vischer blättert weiter.

«Sag an, Visch. Stimmt’s?«

«Quatsch.«

«Schon gut, Visch, brauchst nichts zu sagen. «Salwitzky preßt seine Hände gegeneinander und läßt die Finger nacheinander knacken.»Mußt halt öfters mal hier raus, Visch, dann haste den Ärger nicht.«

Vischer schreibt weiter. Auf dem Flur über ihnen dröhnt das Radio. Solange es zu hören ist, singt Salwitzky mit.

«Nee, wirklich«, sagt er dann.»Gesprächig wie ein Schraubenzieher — lesen, schreiben, lesen! Mehr machste zu Hause wohl ooch nicht. «Mit den Händen drückt Salwitzky gegen die Matratze über seinem Kopf.

«Haste kein Geld mehr? Brauchste welches?«

«Danke, nein.«

«Wirklich?«

«Hast doch selber nichts.«

«Hier nicht, hier brauch ich ooch nichts. Aber zu Haus, was denkste, was ich zu Haus hab. Brauchste welches? Mußte nur sagen.«

«Mußt nichts machen, Sally. «Vischer lehnt sich zurück und liest, den Kuli noch zwischen den Fingern.

«Gibt schon Sachen, die du gern hättest, bin doch nicht blöd!«

«Zum Beispiel Ruhe«, sagt Vischer. Das Radio über ihnen ist nicht mehr zu hören.

«Auf’n Kopp stellen. Das gefällt dir doch. Dir gefällt’s ja überhaupt hier.«

«Was?«

«Kannst es gar nicht besser haben als hier, wo sich die Jungs auf’n Kopp stellen.«

«Wie ›auf’n Kopf stellen‹?«

«Weißte genau, weißte doch ganz genau. Und dazu Blumenvase und Tischdecke und der ganze Scheiß.«

«Das hier?«Vischer zeigt auf die Milchflasche hinter der Verdunkelung, in der ein paar verblühte Wiesenblumen im Wasser stehen.

«Schleimst dich doch wie ’n Gaskranker an jeden ran. ›Kann ich dir was mitbringen? Kaffee, Wodka? Hattatatata und schönen Dank auch.‹ Wie mir das auf’n Sack geht!«

Vischer schüttelt den Kopf und schreibt weiter.

«Bringst das Zeug doch immer nur rein, aber selbst trinken, nee, damit bezahlst du sie doch!«

«Was?«

«Deine Schwänze.«

Vischer lacht auf.»Nur Scheiße im Kopp, Sally, nur Scheiße.«

«Hast dich doch massieren lassen, von dem Weib, hab ich doch gesehen, wie du hier lagst und dich nicht mehr eingekriegt hast.«

«Von Rosi?«

«Hast dir einen abgestöhnt, war doch dabei!«

«Und hast dich hingelegt, Sally, vergiß das nicht«, sagt Vischer und sieht zum ersten Mal auf.»Da war einer ganz heiß drauf, von Rosi massiert zu werden.«

«Ich hatte das Hemd an und hab nicht rumgestöhnt …«

«Hochgeschobenes Unterhemd, Sally, und weißte, was du gesagt hast, wer da auf deinem Arsch sitzen sollte?«

«Dir gefällt’s hier doch, Visch, genau wie der Tunte, hat Rosi selbst gesagt, weil er hier nicht allein ist, lauter saftige Jungs, die sich für ihn auf’n Kopp stellen, hat Rosi gesagt. Und du, Visch, du bist genauso, ganz genauso.«

«Mach ’n Kopp zu, Sally«, sagt Vischer, steht auf und zieht die Verdunkelung zurück.»Halt einfach deine Klappe.«

Über der Stabsbaracke blitzt es. Vischer setzt sich, das Fensterbrett wie einen Tisch vor sich, die Knie an der kalten Heizung, den Rücken Salwitzky zugewandt, der weiterredet.

[Brief vom 30. 3. 90]

Vischer dreht sich erst wieder herum, als das Gequietsche beginnt. Salwitzky hält sich mit beiden Händen an den Eisenstäben hinter seinem Kopf fest, drückt die Füße gegen die Querstrebe am anderen Ende und bewegt sich, das Bettgestell schuckert hin und her.»Rosi, du Sau!«schreit Salwitzky und kommt aus dem Rhythmus, stemmt die Füße gegen die Matratze des oberen Bettes, und dann, als hätte er nur Schwung geholt, tritt er gegen das Fußende und wieder gegen die Matratze. Er schaukelt hin und her, er schreit:»Du Sau!«Die Stahlfedern quieksen, das Gestell scheuert auf dem Boden.»Du Sau, du Sau, du Sau!«

Plötzlich ein hoher Ton — die Metallrohre fahren auseinander, Salwitzky schreit, hält das Bett mit den Füßen über sich, schreit. Salwitzky ist ein Artist, ein schreiender Artist. Er kann Vischer nicht sehen, weil ihm die Beine, das Bett, die Matratze im Weg sind.»Hast du’s, hast du’s?«

Vischer antwortet nicht.»Hast du’s?«schreit Salwitzky und reckt, was eine übermäßige Anstrengung zu sein scheint, seinen Kopf zur Seite, so daß er endlich Vischer sehen kann, der das obere Bett festhält und lächelt.

Salwitzky wälzt sich zur Seite und steht auf. Gemeinsam stecken sie die Röhren am Fußende ineinander. Salwitzky bückt sich und nimmt die Bügelfalte seines rechten Hosenbeins so vorsichtig, als würde sie schmerzen, zwischen Daumen und Zeigefinger. Dann untersucht er die Bügelfalte des linken Hosenbeins. Auf seinem Rücken sieht man kleine über die Schultern verteilte Schweißflecken.

Vischer schreibt wieder, den Kopf schief und dicht über dem Blatt. Salwitzky steht hinter ihm. Nur an den Grasbüscheln ist zu sehen, wie windig es ist.

Die ersten Regentropfen sind so groß, daß man sie einzeln auf dem hellgrauen, bei diesem Licht fast bläulichen Asphalt erkennt.

Salwitzky beugt sich über Vischers Schulter hinweg, dreht den Fenstergriff und öffnet einen Flügel. Die Tropfen klatschen so laut wie Schneebeeren auf den Asphalt. Sie übertönen sogar das Stiefelgetrappel, zumindest so lange, bis der Rost des Fußabtritts zu scheppern beginnt, regelmäßig, fast rhythmisch.

Vischer erblickt eine Hand vor seinen Augen, eine fremde schwere Hand mit dicken Fingern, die Vischer, als sie sich spreizen und sich die Kuppen mit den halb zugewachsenen Fingernägeln emporrecken, an Würmer oder ähnliches erinnern. Sehnen und Adern treten hervor, und die Narbe unter dem Ehering wird weiß. Langsam sinkt diese Hand auf Vischers Papier, und während das Stiefelgetrappel und die Stimmen auf dem Gang immer lauter werden und Türen aufschlagen und der Asphalt bereits ganz dunkel ist, zerknüllt diese Hand das Blatt vor Vischers Augen lautlos.

DER SPITZEL

«Müssen wir ihn eben zum Sprechen bringen, wenn Spitzel schweigt, was, Spitzel? Ist doch logisch, findet Spitzel auch, daß das logisch klingt?«

Edgar schob die Bohnerkeule auf dem Gang hin und her. Zentimeterweise kam er wieder näher an die Meute heran, die sich vor der offenen Stubentür drängte. Um besser zu sehen, stützten sich die hinteren auf die Schultern der Vordermänner und sprangen hoch oder rissen andere, die sich ebenfalls hochstemmten, nach hinten. Wenn sie nicht gerade johlten oder schrien, verstand Edgar jedes Wort.

«Prima Idee! Also, Spitzel, warum so stumm?«

«Der ist nicht stumm. Wenn er was nicht ist, dann stumm, stumm nu wirklich nicht.«

Es war noch dasselbe Gerede wie vorhin. Edgar hatte geglaubt, es würde zehn, fünfzehn Minuten dauern, höchstens zwanzig. Zwanzig Minuten mit der Bohnerkeule sind eine lange Zeit, ein ganzer Flur: vom Zimmer des Polit und den Toiletten aus entlang der Türen der Zugchefs, des KC und der Waffenkammer, vorbei am Treppenhaus und der Schreibstube, dann zwei Türen erster Zug, zwei zweiter, zwei dritter, Waschraum, Treppenhaus, die Unteroffiziere, Fernsehzimmer, Klubraum.

«Hörst du, Spitzel, was er sagt? Warum weigert sich Spitzel?«