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Ich blinzelte, hob rasch die Hand vor die Augen und verbiß mir im letzten Moment ein Stöhnen, als das grelle Licht einer Gaslampe wie eine dünne Nadel in meine Augen stach.

Eine Hand berührte mich an der Stirn, blieb einen Moment darauf liegen, wie um meine Temperatur zu überprüfen, und zog sich zurück.

»Bewegen Sie sich nicht, Mister Craven«, sagte eine Stimme. »Die Schmerzen und das Schwindelgefühl werden bald vergehen. Aber Sie müssen Geduld haben. Und keine Angst mehr. Sie sind in Sicherheit. Bei Freunden.«

Etwas an der Art, in der er das Wort Freunde aussprach, mischte sich wie ein unangenehmer Geschmack in den freundlichen Klang seiner Stimme.

Mühsam hob ich erneut die Lider. Im ersten Moment war das Licht so grell, daß ich nichts außer Schatten mit verschwommenen Rändern und leeren Flächen erkannte, wo die Gesichter sein sollten. Dann gewöhnten sich meine Augen an die gleißende Helligkeit.

Ich lag auf dem Rücken in einem breiten, sauber bezogenen Bett. Um mich herum stand eine Anzahl Männer - vier oder fünf, die ich erkennen konnte, ohne den Kopf zu wenden, auf der anderen Seite des Bettes weitere, deren Stimmen ich hörte.

»Das Labyrinth«, murmelte ich. »Der ...« Ich brach ab, verwirrt und verstört, versuchte den Kopf zu bewegen und zahlte dafür mit einem raschen, dumpfen Schmerz, der wie eine stumpfe Nadel durch meinen Schädel stach.

Einer der Fremden beugte sich über mich, sah mich einen Moment ernst an und lächelte dann. »Erschrecken Sie nicht«, sagte er. »Sie haben nichts zu befürchten. Wir werden Ihnen alles erklären.«

Aber ich hörte seine Worte kaum.

Mein Blick hatte sich weiter geklärt, und ich erkannte die Männer jetzt deutlicher denn als verschwommene Schatten.

Es waren Männer unterschiedlichen Alters, aber eines hatten sie alle gemeinsam.

Ihre Kleider.

Es waren sehr sonderbare Kleider. Schwarze, in wadenhohen, weichen Lederstiefeln steckende Wollhosen, darüber ein weites wollenes Gewand von blendendweißer Farbe. Darunter schien Metall zu schimmern, als trügen sie Kettenhemden.

Aber was mich am meisten faszinierte - und gleichzeitig einen ersten, noch beinahe sanften Hauch von Furcht in mir erweckte, ein Gefühl, das stärker und stärker wurde - war das blutigrote, gleichschenklige Kreuz, das auf den Brustteilen ihrer Kleider prangte.

Ich hatte Kleider wie diese schon einmal gesehen. Nicht wirklich, nicht an einem Menschen, sondern auf einer Abbildung in einem Buch.

Es waren nicht irgendwelche Kleider.

Es war eine Uniform.

Die Uniform der Tempelherren. Der Männer, die Howard Lovecraft den Tod geschworen hatten ...

Über den Dächern von Amsterdam ging die Sonne auf. Die Dämmerung hing noch wie ein Hauch dünnen, rauchigen Nebels in der Luft und verwischte die Konturen der Häuser und Straßenschluchten, aber das Licht der roten Morgensonne war schon jetzt kräftig genug, die Nacht zu durchdringen und aufzulösen. Selbst hier drinnen, hinter den geschlossenen Doppelscheiben des Fensters, glaubte ich die Wärme ihrer Strahlen wie ein sanftes Streicheln auf der Haut zu spüren.

Es würde ein schöner Tag werden. Die wenigen Wolken, die sich an den Morgenhimmel dieses Julitages verirrt hatten, waren klein und weiß, und das Wasser der Grachten tief unter mir glänzte wie geschmolzenes Gold. Die wenigen Kähne, die darauf fuhren, wirkten wie Spielzeugschiffchen, aus der Höhe meines in der vierten Etage gelegenen Zimmers betrachtet.

Ja - es würde ein schöner Tag werden, nicht nur für Amsterdam. Nach dem ungewöhnlich harten und langen Winter, mit dem das Jahr begonnen hatte, brach der Sommer nun mit doppelter Macht herein, als wolle er gutmachen, was sein kalter Bruder den Menschen zugefügt hatte.

Und trotzdem spürte ich in mir nichts als Kälte. Kälte und ein Gefühl der Leere, das auf schwer in Worte zu fassende Weise weh tat.

Mein Blick löste sich von dem trügerisch ruhigen Bild, das das erwachende Amsterdam bot, und saugte sich am östlichen Horizont fest. Natürlich war es Einbildung, dessen war ich mir vollends bewußt, aber für einen Moment meinte ich, einen dunklen, pulsierenden Fleck in der Masse der Häuser zu erkennen, ein höllischer schwarzer Pfuhl, der wie das aufgerissene Maul eines steinernen Ungeheuers zuckte und bebte ...

Mit einem Ruck wandte ich mich vom Fenster ab, preßte die Lider zusammen und zwang mich, an etwas anderes zu denken. Das Bild war nicht real. Es existierte nicht wirklich. Das mächtige Patrizierhaus, in dem ich mich aufhielt, befand sich nahezu am anderen Ende Amsterdams; Meilen um Meilen von der Van Dengsterstraat und dem menschenmordenden Moloch entfernt.

Und trotzdem kostete es mich unglaubliche Mühe, es zu vertreiben. Es war nicht dieses Bild, das mich ängstigte. Es war das Wissen, aus dem es geboren wurde.

Ich trat vom Fenster zurück, ging unschlüssig zwei- oder dreimal durch das kleine, behaglich eingerichtete Zimmer und ließ mich schließlich langsam auf die Bettkante sinken. Ich war nicht müde, sondern im Gegenteil von einer kribbelnden, unangenehmen Energie erfüllt; jenem sonderbaren Tatendurst, der manchmal willkürlich und ziellos auftritt und es einem unmöglich macht, still zu sitzen und nichts zu tun.

Aber das einzige, was ich im Moment tun konnte, war eben nichts.

Seit nahezu sechsunddreißig Stunden war ich jetzt ein Gefangener dieses Zimmers. Nicht, daß ich Grund zur Beschwerde gehabt hätte - der Raum war wesentlich behaglicher und komfortabler eingerichtet als das Hotelzimmer, in dem ich meine ersten Nächte in dieser Stadt verbracht hatte, das Essen, das dreimal am Tag von einem muskelbepackten und offenbar mit Taubstummheit geschlagenen Lakaien gebracht wurde, vorzüglich, und das Regal neben der Tür bot eine exorbitante Auswahl kurzweiliger Bücher (mit dem kleinen Schönheitsfehler, daß sie in Holländisch abgefaßt waren). Aber die Tür hatte eben an der Innenseite keine Klinke, und der Diener, der auf jedes Klingeln in Sekunden erschien, hatte eine Statur, die selbst Rowlf davon abgehalten hätte, ihn angreifen und überwältigen zu wollen.

Es war ein Gefängnis, wenn auch ein komfortables.

Die ersten dreißig der besagten sechsunddreißig Stunden hatte ich vorwiegend damit verbracht, zu schlafen.

Zwei weitere Stunden lang war ich zuerst wütend, dann ausfallend und schließlich hysterisch geworden und hatte mich als krönender Abschluß in einer Art Amoklauf immer wieder gegen die Tür geworfen und mich damit vollends lächerlich gemacht.

Und während der restlichen vier Stunden hatte ich gewartet. Ger Looskamp - von dem Dutzend Männer, die mich aus dem wildgewordenen Labyrinth gerettet hatten, war er der einzige, dessen Namen ich überhaupt kannte! - hatte mir versprochen, mich in alles einzuweihen, sobald die Zeit dazu reif war. Nur wann dieser Zeitpunkt sein würde, wußte ich nicht.

Es gab in diesem Zimmer keine Uhr, und mein Taschenchronometer hatte die Attacken des Labyrinths nicht halb so gut überstanden wie ich, so daß ich die Zeit nur schätzen konnte. Aber wenn jetzt die Sonne aufging, dann mußte ich gegen zwei oder drei Uhr nachts aufgewacht sein - eine Zeit, zu der ich normalerweise zu Bett zu gehen pflegte. Meine Ungeduld hatte mittlerweile ein Ausmaß erreicht, das mich schon ernsthaft mit den Gedanken an eingeschlagene Scheiben und verwegene Sprünge aus dem vierten Stockwerk spielen ließ.

Aber dazu war immer noch Zeit.

Ich war vielleicht eine weitere halbe Stunde unruhig im Zimmer auf und ab gegangen, als draußen auf dem Korridor Schritte laut wurden und ich Stimmen vernahm. Sekunden später klopfte es an meine Tür, und auf mein gemurmeltes »Bitte!« hin klirrte der Riegel, und der vierschrötige Lakai blickte durch einen Spalt zu mir herein.