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»Mijnheer Mister Craven? Der Meister möchte Ihnen jetzt schaun, wenn Du sich ruhiggeschlafen genügend vorkommst.«

Gegen meinen Willen stahl sich ein flüchtiges Grinsen auf meine Lippen. Der Riesenkerl sprach das Englische fast ohne Akzent, aber mit dem orthographischen Feingefühl einer Dampframme. Ich nickte und folgte ohne ein weiteres Wort seiner einladenden Geste. Looskamp hatte neue Kleider neben meinem Bett bereitlegen lassen, aber ich glaubte kaum, daß ich Hut und Mantel jetzt brauchte.

Vielleicht würde ich sie überhaupt nie wieder brauchen.

Der Diener schloß pedantisch die Tür hinter mir, wiederholte seine auffordernde Handbewegung und ging vor mir den Korridor entlang.

Trotz meiner Erleichterung, endlich aus dem Zimmer heraus zu sein, machte sich ein nagendes Gefühl der Beunruhigung in mir breit, während ich dicht hinter dem breitschultrigen Riesen die schmalen, für meine an englische Verhältnisse gewohnten Sinne überaus steile Treppe hinabstieg.

Die freundliche Behandlung, die mir bisher zuteil geworden war, mochte durchaus täuschen. Vielleicht war es die gleiche Art von Zuvorkommenheit, die man einem zum Tode Verurteilten zuteil werden ließ, in seiner letzten Nacht. Looskamp und seine Brüder waren Tempelherren, und wenn ich von Necron und seinen Mordbuben absah, dann stand dieser Orden ziemlich einsam an der Spitze meiner Feinde.

Meiner menschlichen Feinde.

Wir erreichten das Erdgeschoß. Mein Führer gebot mir mit einer Geste, zurückzubleiben, und klopfte an eine gewaltige, zweiflügelige Tür, die genau gegenüber des Einganges tiefer in das Gebäude hineinführte. Einen Moment lang musterte ich die Eingangspforte beinahe sehnsüchtig - sie sah recht stabil aus, aber es gab in jedem Flügel ein großes, buntbemaltes Fenster aus Bleiglas und ohne irgendwelche Gitter oder sonstigen Zierrat. Ich traute mir durchaus zu, mit einem beherzten Sprung das Glas durchbrechen zu können.

Aber ich verwarf den Gedanken beinahe ebenso rasch wieder, wie er mir gekommen war. Die scheinbare Sorglosigkeit, mit der mich mein »Diener« stehengelassen hatte, bewies mir, wie sicher er meiner war.

Mit einem lautlosen Seufzer wandte ich mich wieder um, trat neben ihn und wartete, bis er die Tür geöffnet hatte.

Dahinter lag ein großer, überraschend heller Raum; etwas, das wie eine gelungene Mischung aus Bibliothek, Arbeitszimmer und Salon aussah. An den Wänden wechselten sich Bücherborde mit Bildern, antiken Waffen und kleinen, aus edlen Hölzern gefertigten Schränkchen ab, und vor dem mächtigen Kamin, in dem trotz der Jahreszeit ein mächtiges Feuer loderte, thronte ein Monstrum von Tisch, wie ich noch keines gesehen hatte.

Der Mann hinter diesem Tisch wirkte verloren angesichts der Unmenge von Pergamentrollen, Karten und Büchern, mit der die Platte überladen war. Und gleichzeitig ... es fiel mir schwer, das richtige Wort zu finden ... würdevoll. Sein grau gewordenes, streng zurückgekämmtes Haar gab dem faltigen Gesicht darunter etwas Weises, und die eingesunkenen Augen, vom Alter längst trüb geworden, musterten mich mit einer sonderbaren Mischung aus sanfter Neugier und Kälte. Er war alt, dieser Mann. Uralt.

»Mister Craven!«

Der Klang der Stimme ließ mich zusammenzucken. Sie war hinter mir erklungen! Erschrocken fuhr ich herum.

Looskamps Lippen verzogen sich zu einem verzeihenden Lächeln. Er hatte neben der Tür gestanden, wohl nicht aus Zufall in einem Winkel, in dem ich ihn nicht sofort sehen konnte. Überhaupt hatte ich plötzlich das bestimmte Gefühl, daß der Eindruck, den der weißhaarige Alte auf mich gemacht hatte, genau berechnet gewesen war.

»Ich hoffe, Sie haben sich gut erholt«, sagte Looskamp, als ich auch nach endlosen Sekunden noch keinen Laut von mir gab.

»Das ... Zimmer ist sehr komfortabel, danke«, sagte ich. »Nur fehlt die Klinke an der Tür. Sie sollten einen Schlosser kommen lassen.«

Looskamp lachte. Er löste sich mit einer Bewegung, die seine schwerfällig Erscheinung Lügen strafte, von seinem Platz an der Tür und ging an mir vorbei auf den Tisch zu, hinter dem der Alte saß. Ich folgte ihm unaufgefordert, blieb zwei Schritte davor stehen und blickte abwechselnd zu Looskamp und dem Alten.

Wie der schwarzhaarige Flame trug auch der Greis das weiße, mit einem blutroten Kreuz bestickte Zeremonienhemd der Tempelherren. Der einzige Unterschied war, daß das Kreuz auf seiner Brust nicht gleichschenkelig war, sondern dem glich, das man in Kirchen und auf Bibeln zu sehen pflegt. Er mußte sehr weit oben in der Hierarchie der Templer stehen. Wenn mich meine Erinnerung nicht trog, trugen dieses Kreuz nur wenige, mächtige Mitglieder des Zirkels.

»Mister Craven«, sagte Looskamp mit einer Geste auf den Alten, »darf ich Ihnen Jean Balestrano vorstellen? Er hat sich sehr auf das Treffen gefreut.« Er lächelte flüchtig. »Man kann sagen, daß Ihr Name mittlerweile auch in den höchsten Rängen unseres Ordens einen gewissen Ruf genießt.«

»Balestrano?« Der Name kam mir bekannt vor, irgendwie auf unangenehme Weise, aber ich vermochte ihn nicht einzuordnen.

»Bruder Balestrano«, sagte Looskamp mit eigenartiger, fast lauernder Betonung, und als ich ihn ansah, gewahrte ich ein sonderbares Flackern in seinen Augen. Was war das? Ehrfurcht?

»Das ... sagt mir leider nichts«, antwortete ich vorsichtig.

»Sag es ihm, Bruder Ger«, sagte der Alte. Seine Stimme klang überraschend klar. Kräftig und fest wie die eines jungen Mannes. »Jetzt ist nicht der Moment für ein geheimnisvolles Gehabe.«

Looskamp zögerte noch einen Moment, dann zuckte er die Achseln und sagte: »Bruder Balestrano, Robert Craven, ist der Großmeister unseres Ordens.«

Obwohl ich halbwegs darauf vorbereitet gewesen war, trafen mich seine Worte wie eine Ohrfeige.

»Der ... Großmeister?« keuchte ich. »Sie sind ...«

»Der Mann, den zu treffen Bruder Howard jetzt in Paris ist«, unterbrach mich der Alte. »Sie sehen, Mister Craven, es gibt nicht viel, worüber ich nicht informiert wäre.«

Ich wollte auffahren, aber er schnitt mir mit einer herrischen Geste das Wort ab und fuhr mit einer Stimme, die jeden Gedanken an Widerspruch gleich im Keime erstickte, fort: »Ich weiß nicht, was Bruder Howard Ihnen über mich erzählt hat. Aber was immer es war, ich bitte Sie, es für zehn Minuten zu vergessen und mich anzuhören.«

»Er hat nicht viel erzählt«, sagte ich kalt, hin und her gerissen zwischen Zorn, Überraschung und ganz einfacher, banaler Wut. Das also war der Mann, der Howard zehn Jahre lang wie ein Tier rund um die Welt hatte hetzen lassen! Auf seinen Befehl hin waren zahllose Mörderkommandos ausgeschwärmt, um sein sogenanntes Todesurteil auszuführen.

Er hatte Howard bisher nicht erwischt, aber zahllose Unschuldige waren allein bei dem Versuch, den Mordbefehl auszuführen, ums Leben gekommen. »Nur, daß Sie ihn umbringen lassen wollen«, fügte ich hinzu. Meine Stimme bebte.

Balestrano machte eine wegwerfende Geste. »Ich sagte bereits - jetzt ist nicht die Zeit, darüber zu streiten, Mister Craven«, sagte er. »Was Bruder Howard getan hat, geht nur mich und den Orden etwas an, und ich werde nicht darüber diskutieren. Auch nicht mit Ihnen!«

»Was wollen Sie dann?« schnappte ich.

Balestranos uralte, wissende Augen glitzerten. »Sie sind uns etwas schuldig, Mister Craven«, sagte er.

»So?« Ich versuchte, meiner Stimme einen möglichst abfälligen Klang zu verleihen. »Bin ich das?«

Balstrano nickte. »Ihr Leben, Craven. Ohne das rechtzeitige Eingreifen Bruder Looskamps und seiner Ritter wären Sie schon vor Tagesfrist gestorben.«

»Das war wohl eher Zufall«, begann ich, wurde aber sofort wieder unterbrochen, diesmal von Looskamp.

»Nein, Craven, das war es nicht«, sagte er ernst. Er lächelte, wartete, bis ich aufgehört hatte, ihn anzustarren, und den Unterkiefer wieder nach oben klappte, und deutete auf einen freien Stuhl.