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Ich schwieg. Looskamps Worte ließen mich erschaudern, denn wie bei Balestrano zuvor spürte ich, daß sie weder gelogen noch übertrieben waren. Er meinte alles, was er sagte, vollkommen ernst.

Für die Dauer eines Atemzuges glaubte ich mich zurückversetzt in die sinnverdrehenden Gänge und Katakomben des Labyrinths, spürte ich noch einmal den Pestgestank des Bösen, der dieses Wesen beseelte. Und dann hatte ich fast so etwas wie eine Vision.

Die Vision einer Stadt, Amsterdams, das von diesem Moloch verschlungen worden war, einer gigantischen Masse zusammengeballter Häuser und Gebäude. Grachten, in denen Blut floß statt Wasser, Häuser, die zu Menschenfallen geworden waren, Straßen, die geradewegs in die Hölle führten. Ich schauderte.

Looskamp hatte recht. Er war ein Zyniker, ein berechnender, gemeiner Zyniker, hinter dessen freundlichem Lächeln sich pure Bosheit verbarg.

Aber er hatte recht.

Ich hatte gar keine andere Wahl, als mich ihnen anzuschließen und mich dem Grauen ein zweites Mal zu stellen.

»Sie haben gewonnen«, murmelte ich. »Ich helfe Ihnen.«

Balestrano nickte. »Das habe ich erwartet, Craven.«

Ich sah ihn an und versuchte eine Spur von Falschheit oder Verrat in seinen uralten Augen zu gewahren, aber da war nichts.

»Wann wird es ... soweit sein?« fragte ich leise. »Wann wird dieses ... Ding erwachen?«

»Wenn wir nichts dagegen unternehmen?« Looskamp überlegte einen Moment und zuckte dann die Achseln. »Bald. In ein paar Tagen. Vielleicht in einer Woche. Länger nicht.«

»Dann bleibt uns nicht viel Zeit«, murmelte ich.

Looskamp schüttelte den Kopf. »Nein.«

Ich nickte, strich versonnen mit den Fingerspitzen über den Kristallknauf meines Degens und atmete hörbar ein, ehe ich die entscheidende Frage stellte:

»Wann brechen wir auf?«

Balestrano lächelte.

»Jetzt.«

Es war Mittag geworden. Die Stadt war vollends zum Leben erwacht und pulsierte wie ein gewaltiges, steinernes Herz. Auf den Grachten tummelten sich Boote und Kähne, und die schmalen Straßen, die die Wasserwege säumten und durch zahllose Brücken miteinander verbunden waren, quollen schier über von Menschen.

Mir war kalt. Trotz der wärmenden Strahlen der Sonne, die wie ein großes gütiges Auge im Zenit des Himmels stand, schien ich innerlich zu Eis erstarrt; meine Finger und Zehen prickelten, und meine Muskeln schienen in einen einzigen, großen Kampf gefangen.

Aber es war diesmal nicht der Odem des Bösen, den ich spürte und der mich frösteln ließ, sondern Angst. Ganz ordinäre Angst. Der Gedanke, ein zweites Mal - und noch dazu freiwillig - in dieses Labyrinth zu gehen, trieb mich schier in den Wahnsinn. Meine Hände zitterten, und mein Unterkiefer schmerzte, so fest preßte ich die Zähne zusammen.

Looskamp, der hoch aufgerichtet im Heck des Bootes neben mir stand und mit einer Hand das Ruder führte, lächelte aufmunternd. Seit wir das Haus verlassen hatten, hatten wir kaum ein Wort miteinander geredet, obgleich wir jetzt die zweite Stunde unterwegs waren. Looskamp hatte das Boot, das von vier stummen Ordensbrüdern gerudert wurde, kreuz und quer durch die Stadt gelenkt.

Immer wieder hatten wir angehalten, und der Tempelherr war an Land gegangen, um in einem Haus zu verschwinden oder mit einem Passanten, der scheinbar zufällig am Ufer stand, ein paar hastige Worte zu wechseln.

Es war ein Aufmarsch. Der Templer rief seine Leute zusammen, und ich wußte, daß außer uns jetzt noch fast vier Dutzend anderer Männer unterwegs zur Van Dengsterstraat waren. Eine kleine Armee. Aber erbärmlich wenig gegen den Feind, gegen den wir zogen.

Wir erreichten eine Stelle, an der sich zwei Grachten wie Straßen kreuzten, und Looskamp stemmte sich gegen das Ruder, um unser Boot in die rechtsseitige Abzweigung zu lenken. Wir wurden schneller, und mit jedem Häuserblock, der an uns vorüberglitt, schien das Leben hinter uns zurückzubleiben.

Die Zahl der Passanten nahm ab, zuerst langsam, dann immer schneller, und schließlich ruderten die Männer das Boot durch das brackige Wasser der heruntergekommenen Hafengegend, die ich nur zu gut kannte. Ich schauderte.

»Angst?« fragte Looskamp plötzlich.

Irritiert sah ich ihn an, schüttelte den Kopf und nickte gleich darauf.

Looskamp lachte. »Ich auch, Robert.« Er deutete mit einer Handbewegung auf die vier breitschultrigen, in braune Umhänge gehüllten Männer, die das Boot von der Stelle pullten. »Auch diese Männer haben Angst. Aber wir müssen es tun.«

Er straffte sich ein wenig, sah an sich herab und schloß einen Knopf seines Mantels, der sich weit geöffnet hatte. Darunter trug er die weiße Templeruniform, und wenn man genau hinsah, konnte man die Umrisse des mächtigen Schwertes durch den Stoff erkennen.

»Wir müssen es tun, weil vielleicht das Überleben zahlloser Unschuldiger davon abhängt, daß wir Erfolg haben«, sagte er; Die Worte klangen wie eine Rechtfertigung.

»Wie ... wollen Sie - wir«, korrigierte ich mich hastig, »vorgehen?«

Looskamp wies mit einer Kopfbewegung zum Bug hinab. »Wir erreichen die Van Dengsterstraat in wenigen Minuten«, sagte er. »Dort warten wir, bis auch die anderen Brüder eingetroffen sind. Einige sind schon dort und erwarten uns, aber es wird eine Stunde dauern, bis wir vollzählig sind. Dann gehen wir hinein. Auf dem gleichen Weg, den Sie genommen haben, Robert.«

»Das meine ich nicht«, antwortete ich verärgert. »Ich mache mir keine besonderen Sorgen darüber, wie wir hineinkommen, Looskamp.«

»Ger«, sagte er. »Nennen Sie mich Ger. Wir ziehen Schulter an Schulter in einen Kampf auf Leben und Tod, Robert. Wir sollten uns nicht mit Förmlichkeiten aufhalten.«

»Meinetwegen«, antwortete ich, grober, als ich eigentlich wollte, denn ich verspürte - fast gegen meinen Willen - ein starkes Gefühl der Sympathie für den schwarzhaarigen Holländer. »Ich frage mich nur, wie wir das Herz des Labyrinths finden wollen. Ich kann dir den Weg nicht zeigen. Ich weiß ja selbst nicht, wie ich hingekommen bin.«

Ger winkte ab. »Das ist kein Problem, Robert. Es wird uns selbst hinführen, in seiner Gier. Aber es wird nicht leicht werden. Ich -«

Das Boot erzitterte. Etwas Gigantisches, Dunkles erschien unter der glitzernden Wasseroberfläche, und plötzlich wurde Looskamp das Ruder aus der Hand geprellt, so wuchtig, daß er mit einem Aufschrei nach hinten kippte und ich ihn im letzten Augenblick davor bewahren konnte, über Bord zu fallen.

Aber nur für einen Moment. Dann erbebte das Boot unter einer zweiten Erschütterung, hart wie ein Faustschlag. Ich verlor den Halt unter den Füßen, kippte nach vorne und fiel, halb geworfen, halb von Gers Gewicht gezogen, kopfüber ins Wasser.

Der Schatten glitt an mir vorüber. Ich spürte den Sog, als das Wasser von einem gigantischen Körper mit Macht beiseite gepreßt wurde, geriet in einen Strudel und wurde mit haltlos rudernden Armen und Beinen herumgewirbelt.

Verzweifelt rang ich um Atem. Alles war so schnell gegangen, daß ich nicht einmal Zeit gefunden hatte, wirklichen Schrecken zu empfinden.

Dafür schnürte mir der Anblick, der sich mir bot, schier die Kehle zu.

Dicht vor uns schien die Gracht zu explodieren. Das Wasser wurde von ungeheuren Kräften beiseite gepreßt und hochgeschleudert, so daß weißer Schaum bis an die Wände der Häuser rechts und links der Gracht spritzte.

Das Boot hatte sich schräg auf die Seite gelegt und war achtern abgesackt, so daß sein tangbewachsener Bug steil in die Luft stach. Etwas Großes, Grüngraues, Schleimiges hatte sich um das hintere Drittel des kleinen Schiffchens geschlungen.

Ich wollte den Männern an Bord eine Warnung zuschreien, aber in diesem Augenblick traf mich eine zweite Druckwelle, preßte mich wieder unter Wasser und schleuderte mich gegen das gemauerte Grachtenufer. Der Aufprall trieb mir die Luft aus den Lungen. Ich schrie, bekam Wasser in den Mund, würgte und versuchte an die Oberfläche zu kommen, aber schon raste eine neue Druckwelle heran und preßte mich noch tiefer in das schlammige Wasser herab.