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Das Schlimmste aber waren die Gebetsstühle. Bei meinem ersten Hiersein hatten Dutzende, wenn nicht Hunderte von Menschen darin gesessen, gebetet und gesungen. Schon damals waren sie mir unnatürlich starr und wie Puppen vorgekommen.

Jetzt waren es Leichen. Mumifizierte, in betenden Haltungen erstarrte Körper, schon vor Jahrzehnten oder vielleicht sogar Jahrhunderten gestorben und in einem zeitlosen Augenblick des Grauens eingefroren. Deutlicher als bisher begriff ich plötzlich, was Looskamp gemeint hatte, als er sagte, daß das Labyrinth mit Schein und Trug arbeitete. Ich hatte Leben gesehen, wo Tod war, Bewegung, wo die Stille der Ewigkeit längst Einzug gehalten hatte. Was ich gesehen hatte, war nichts als ein Schatten einer längst vergangenen Wirklichkeit gewesen.

Looskamps Gesicht war zu einer Maske des Zornes geworden, als ich mich zu ihm herumdrehte. Seine Augen waren geweitet, während sein Blick in hilflosem Entsetzen über die Bankreihen tastete.

»Selbst dies«, murmelte er. Seine Stimme zitterte und hörte sich an, als wolle sie brechen. »Selbst ein Haus des Herrn hat es in seiner Gier verschlungen.«

Seine Worte ließen mich innerlich erschauern. Ich hatte fast vergessen, daß die Tempelherren mehr als eine Vereinigung fanatischer Männer waren, sondern auch Priester; kämpfende Mönche, die sich zusammengetan hatten, um das Wort des Herren mit dem Schwert in alle Welt zu tragen. Sicher waren sie irregeleitet, religiöse Fanatiker, die sich in ihrem Wahn mehr vom Kern ihres Glaubens entfernt hatten, als sie selbst ahnten. Trotzdem waren sie sehr gläubig. Für einen Mann wie Looskamp mußte der Anblick dieser Kirche hundertmal schlimmer sein als für mich.

Ich wollte ihm ein Wort des Trostes sagen, aber in diesem Moment ertönte aus dem hinteren Teil des Gebetshauses ein splitternder, berstender Laut.

Ich fuhr herum. Ein Teil der Rückwand war zusammengebrochen; ein mannshohes und vielleicht vier Meter breites Loch war entstanden. Grauer Staub wallte auf, und aus der zerborstenen Maueröffnung regneten noch immer Steintrümmer herab.

Und hinter der Öffnung, halb verborgen hinter brodelndem Staub, bewegten sich Gestalten. Kleine, verkrüppelt wirkende Gestalten. Wesen, die auf grausige Weise an furchtbar verunstaltete Kinder erinnerten ...

Ein vielstimmiger Schrei brach aus den Reihen der Templer, als das erste dieser Wesen durch den Vorhang aus Staub und Qualm trat und ihm weitere folgten.

Es waren Kinder. Aber sie waren nicht verkrüppelt oder verunstaltet. Das, was hinter dem verwischenden Nebel wie grausige Buckel und pockennarbige Auswüchse ausgesehen hatte, waren Teile ihrer Kleidung; Fetzen, die von ihren verdreckten Körpern herabhingen, Säcke, die sie auf den Schultern oder den Rücken trugen.

Looskamp stöhnte. Manche der Kinder - es mußten an die dreißig sein, die mit wiegenden Schritten aus der Maueröffnung heraustraten und die Templer allmählich einzukreisen begannen - schleppten blanke Knochen mit sich herum.

Der Anblick war so furchtbar, daß wir die Gefahr, in der wir uns befanden, beinahe zu spät bemerkten!

Die Kinderarmee hatte uns eingekreist. Mit wiegenden, wie trunken erscheinenden Schritten waren sie nähergekommen, bis sie einen weit geschwungenen, an drei Seiten geschlossenen Dreiviertelkreis bildeten, in dessen Zentrum sich die Templer befanden.

Und plötzlich ging eine Veränderung mit ihnen vor sich. Sie blieben stehen, alle zugleich, wie auf ein geheimes, unhörbares Zeichen hin. Einige von ihnen schienen mich aus ihren erloschenen Augen direkt anzublicken, und auf ihren Gesichtern erschien plötzlich ein blödes, beinahe glückliches Lächeln.

Und dann blitzten Messer in ihren kleinen Händen auf.

Einer der Templer brüllte auf und taumelte zurück, beide Hände gegen den Oberschenkel gepreßt. Aus seinem Bein ragte der Griff eines Dolches, den ihm eines der Kinder warnungslos ins Fleisch gestoßen hatte!

»Zurück!« schrie Looskamp. Gleichzeitig sprang er selbst zur Seite, wich einem Messer aus, mit dem eines der Kinder nach ihm hieb, und versetzte dem Knirps gleichzeitig eine schallende Ohrfeige, die ihn zurück und zu Boden taumeln ließ. Dicht neben ihm riß einer der Templer sein Schwert in die Höhe; Looskamp wirbelte herum, fiel dem Mann in den Arm und fing den Hieb im letzten Moment ab.

Der vielleicht zehnjährige Knabe, dem er damit das Leben gerettet hatte, dankte es ihm auf recht sonderbare Weise - in seinen Händen blitzte plötzlich ein langer Dolch auf, mit dem er auf Looskamp eindrang. Der Tempelherr fluchte, schlug dem Knaben die geballte Faust auf das Handgelenk und brach in die Knie, als ihn ein geschleuderter Stein an der Stirn traf.

Endlich erwachte auch ich aus meiner Erstarrung. Mit einem Satz war ich neben Ger, wehrte mit einem Arm die heranstürmende Kinderhorde ab und versuchte ihn mit dem anderen auf die Füße zu zerren.

Looskamp stöhnte. Seine rechte Augenbraue war aufgeplatzt; Blut lief in bizarren Linien über sein Gesicht, und seine Augen wirkten glasig. »Wir müssen ... zurück«, murmelte er. »Keinen ... Kampf. Es sind ... Kinder.«

Ich nickte, richtete ihn ächzend auf und zog mich Schritt für Schritt zurück, während die Tempelritter bereits unter dem Ansturm der Kinderarmee zu wanken begannen. Wie durch ein Wunder war bisher keiner von ihnen ernsthaft zu Schaden gekommen - ihre fast mannsgroßen Schilde schützten sie vor den immer dichter heransausenden Steinen und Wurfgeschossen und bildeten eine Barriere. Aber lange würden sie sich nicht mehr halten können, das sah ich. Immer wieder zuckte eine Klinge durch eine Lücke zwischen zwei Schilden, mogelte sich unter ihren Rändern hindurch und fügte den Männern Wunden zu.

Wahrscheinlich wäre es ein leichtes für Looskamps Männer gewesen, die Angreifer niederzumachen. Und wahrscheinlich war ich nicht der einzige, der ahnte, daß unsere Gegner nur scheinbar Kinder waren; in Wahrheit waren es Labyrinthgeschöpfe, Kreaturen des Bösen, die die unsichtbare Monstrosität, die dieses Tunnelsystem beherrschte, erschaffen hatten, um uns ins Verderben zu stürzen, absichtlich in dieser äußeren Form, den Körpern unschuldiger Kinder, um unseren Widerstandswillen zu brechen; vielleicht auch nur, um uns zu quälen.

Und trotzdem hob nicht einer sein Schwert, um die Höllenkreaturen zu vernichten. Schritt für Schritt zogen sich die Templer zurück, bildeten einen immer dichter werdenden Kreis um mich und Looskamp und beschränkten sich darauf, mit ihren Schildern die geschleuderten Steine und Messer abzuwehren, so gut es ging.

Ich war froh, daß die Männer so und nicht anders reagierten. Ich wußte sehr wohl, daß wir Kreaturen der Hölle gegenüberstanden, aber meine Augen sagten mir das Gegenteil.

Looskamp fand endlich seine klare Besinnung wieder, streifte meinen helfenden Arm ab und nickte kurz und dankbar. Dann richtete er sich auf und rief seinen Männern mit hoch erhobener Stimme Befehle zu; Worte in einer fremden schnellen Sprache, die ich nicht verstand.

Die Tempelritter reagierten sofort. In einer fließenden, schnellen Bewegung zog sich der Kreis aus Schilden noch einmal um die Hälfte zusammen, so daß der Vormarsch der Kinder für einen Moment ins Leere stieß, platzte dann auseinander und bildete einen schlanken, nach vorne spitz zulaufenden Keil. Blitzartig formierten sich die Templer um, stießen die Angreifer mit ihren Schilden zu Boden oder trieben sie allein durch die ungestüme Wucht ihres abrupten Angriffes zurück.

Looskamp schwang sein Schwert, schlug eine heranstürmende Labyrinth-Kreatur mit der Breitseite der Klinge zu Boden und stürmte los. Hinter uns schloß sich die Gasse, die die Templer mit ihren Schilden gebildet hatten, wieder.